Aktuelle Änderungen im Arbeits- und Betriebsverfassungsrecht, Stand 18.06.2023
Aktuelle Änderungen im Arbeits- und Betriebsverfassungsrecht
Inhalt
- Aktuelle Änderungen im Arbeits- und Betriebsverfassungsrecht
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1. Rahmenbedingungen und Trends am Arbeitsmarkt
- 1.1 Die Auswirkungen der Jahrhunderterklärung der Internationalen Arbeitsorganisation auf das deutsche Arbeitsrecht
- 1.2 Die Rolle von ESG im Arbeitsrecht: Was Unternehmen wissen müssen
- 1.2.1 ESG und das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz
- 1.2.2 Nachhaltige Vergütungspolitik
- 1.2.3 Die EU-Richtlinie über die Nachhaltigkeitsberichterstattung (CSRD)
- 1.2.4 Equal Pay statt Gender Pay Gap
- 1.2.5 Die Rolle des Betriebsrats bei der Gestaltung von ESG-Konzepten
- 1.2.6 Fazit und Ausblick
- 1.3 Arbeitswelt-Report 2023 und die doppelte Transformation
- 1.3.1 Hintergrund und Kontext der Transformation
- 1.3.2 Der Rat der Arbeitswelt
- 1.3.3 Die Rolle des Betriebs als Transformationsort
- 1.3.4 Beschäftigungsfähigkeit als Voraussetzung und Ziel von Transformation
- 1.3.5 Bedarfsgerechte und transparente Weiterbildungsstrukturen
- 1.3.6 Tragfähige Rahmenbedingungen in einer flexiblen Arbeitswelt
- 1.3.7 Sektorübergreifende Kooperation für soziale Sicherheit in der Transformation
- 1.3.8 Das Arbeitsweltportal: Eine Ressource für die Zukunft der Arbeit
- 1.3.9 Fazit und Ausblick
- 1.3.10 Quellen:
- 1.4 Die sich wandelnden Kompetenzanforderungen: Einblicke aus der KOFA-Studie 2/2023
- 1.5 Zukunftskompetenzen: Schlüsselqualifikationen für die Arbeitswelt von morgen
- 1.6 Die Rolle des Betriebsrats in der digitalen Transformation: Einblicke aus der Hans-Böckler-Studie
- 1.7 Links zu weiteren interessanten Artikeln über bzw. aus der Arbeitswelt
- 2. Aktuelle Gesetzesänderungen
- 2.1 Das Arbeit-von-morgen-Gesetz
- 2.2 Novellierung des Berufsbildungsgesetzes 2020
- 2.3 Qualifizierungschancengesetz
- 2.4 Das Berufsbildungsgesetz (BBiG)
- 2.5 Betriebsrätemodernisierungsgesetz
- 2.5.1 Betriebsrätemodernisierungsgesetz — Welche Änderungen ergeben sich für die Betriebsratsarbeit?
- 2.5.2 Virtuelle Sitzungen möglich – Präsenzsitzungen sollen aber Regelfall bleiben
- 2.5.3 Betriebsratswahlen vereinfacht und Kündigungsschutz verbessert
- 2.5.4 Verantwortlichkeit für den Datenschutz
- 2.5.5 Mitbestimmung bei der mobilen Arbeit
- 2.6 Neue Regelungen zum Urlaub und zur Absonderung im Infektionsschutzgesetz
- 2.7 Verlängerung des Kinder‑, Kranken- und Betreuungsgeldes
- 2.8 Das Hinweisgeberschutzgesetz (HinSCHG) – Umsetzung der EU-Whistleblower-Richtlinie
- 2.9 Das Vereinbarkeitsrichtlinienumsetzungsgesetz (VRUG)
- 2.10 Anpassung des Mindestlohns
- 2.11 Änderungen im Nachweisgesetz
- 2.12 Änderungen im Teilzeit- und Befristungsgesetz
- 3. Bevorstehende Gesetzesänderungen
- 4. Aktuelle Rechtsprechung
- Anforderungen an die Substantiierung im Kündigungsrecht (BAG, Beschluss vom 21.03.2024, 2 AZN 785/23)
- Diskriminierung eines schwerbehinderten Bewerbers im kirchlichen Kontext (BAG, Urteil vom 25.01.2024, 8 AZR 318/22)
- Streit über Urlaubsgeldanspruch nach Ablösung durch Betriebsvereinbarung (BAG, Urteil vom 24.01.2024, 10 AZR 33/23)
- Tarifliche Nachtarbeitszuschläge und der Gleichheitssatz (BAG, Urteil vom 21.02.2024, 10 AZR 177/21)
- Prüfung der Kündigung wegen Kirchenaustritts vor dem Hintergrund der Religionsfreiheit (BAG, Urteil vom 1.02.2024, 2 AZR 196/22 (A))
- Einstweiliger Rechtsschutz — Verbot des Einsatzes von ChatGPT und anderen KI-Systemen (ArbG Hamburg, Beschluss vom 16.01.2024, 24 BVGa 1/24)
- Kündigung wegen Täuschung über vorläufige Impfunfähigkeit (BAG, Urteil vom 14.12.2023, 2 AZR 55/23)
- Anpassung der Vergütung bei Aufstockung von Teilzeit auf Vollzeit (BAG, Urteil vom 13.12.2023, 5 AZR 168/23)
- Vorlage von Bewerbungsunterlagen — digitales Leserecht (BAG, Beschluss vom 13.12.2023, 1 ABR 28/22)
- Entgeltfortzahlung bei Kündigung während krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit (BAG, Urteil vom 13.12.2023, 5 AZR 137/23)
- Berechtigung der Gesamtschwerbehindertenvertretung zur Teilnahme an Betriebsversammlungen (BAG, Beschluss vom 12.12.2023, 7 ABR 23/22)
- Urlaubsberechnung bei Krankheit während Kurzarbeit “null” (BAG, Urteil vom 05.12.2023, 9 AZR 364/22)
- Anrechnung von Urlaub in Doppelarbeitsverhältnissen (BAG, Urteil vom 5.12.2023, 9 AZR 230/22)
- Pflicht zur Einladung schwerbehinderter Bewerber zu Ersatzterminen (BAG, Urteil vom 23.11.2023, 8 AZR 164/22)
- Diskriminierung wegen Behinderung bei Bewerbungsverfahren (BAG, Urteil vom 23.11.2023, 8 AZR 212/22)
- Regelung der wöchentlichen Arbeitszeit bei Arbeit auf Abruf ohne vertragliche Festlegung (BAG, Urteil vom 18.10.2023, 5 AZR 22/23)
- Mitbestimmung des Betriebsrats bei Handyverbot während der Arbeitszeit (BAG, Beschluss vom 17.10.2023, 1 ABR 24/22)
- Nachwirkung kollektivrechtlicher Regelungen bei nicht identitätswahrendem Betriebsübergang (BAG, Urteil vom 19.09.2023, 1 AZR 281/22)
- Anspruch auf Teilzeit während der Elternzeit und Entgeltzahlung (BAG, Urteil vom 05.09.2023, 9 AZR 329/22)
- Beleidigende Äußerungen in einer WhatsApp-Gruppe und arbeitsrechtliche Konsequenzen (BAG, Urteil vom 24.08.2023, 2 AZR 17/23)
- Korrigierende Rückgruppierung und Anforderungen an die Eingruppierung (BAG, Urteil vom 16.08.2023, 4 AZR 339/22)
- Verwertbarkeit von Daten aus offener Videoüberwachung und elektronischer Anwesenheitserfassung (BAG, Urteil vom 29.06.2023, 2 AZR 297/22)
- Beweiswert von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen bei Entgeltfortzahlung (BAG, Urteil vom 28.06.2023, 5 AZR 335/22)
- Berechnung der betrieblichen Altersversorgung nach Teilzeitbeschäftigung (BAG, Urteil vom 20.06.2023, 3 AZR 221/22)
- Diskriminierung schwerbehinderter Bewerber bei der Stellenbesetzung (BAG, Urteil vom 14.06.2023, 8 AZR 136/22)
- Abberufung eines Datenschutzbeauftragten: Anforderungen und Voraussetzungen (BAG, Urteil vom 06.06.2023, 9 AZR 621/19)
- Maßregelungsverbot bei der Erstellung von Arbeitszeugnissen (BAG, Versäumnisurteil vom 06.06.2023, 9 AZR 272/22)
- Unvereinbarkeit von Betriebsratsvorsitz und Datenschutzbeauftragung (BAG, Urteil vom 06.06.2023, 9 AZR 383/19)
- Wirksamkeit von Kündigungen im Rahmen von Betriebsübergängen bei Luftverkehrsunternehmen (BAG, Urteil vom 01.06.2023, 2 AZR 150/22)
- Bewertung des privaten Dienstwagennutzens und dessen Auswirkungen auf die Nettovergütung (BAG, Urteil vom 31.05.2023, 5 AZR 273/22)
- Ausschluss eines Betriebsratsmitglieds bei Verletzung gesetzlicher Pflichten trotz Restmandats (BAG, Beschluss vom 24.05.2023, 7 ABR 21/21)
- Auskunftsanspruch des Betriebsrats über schwerbehinderte und gleichgestellte Arbeitnehmer (BAG, Beschluss vom 09.05.2023, 1 ABR 14/22)
- Bahnreisezeiten als Arbeitszeit bei Fahrzeugüberführung (VG Lüneburg, Urteil vom 02.05.2023, Az.: 3 A 146/22)
- Arbeitnehmerstatus in spiritueller Gemeinschaft bei Vereinsmitgliedschaft (BAG, Urteil vom 25.04.2023, 9 AZR 253/22)
- Anspruch auf Mindesturlaub — Verjährung und Mitwirkungsobliegenheiten des Arbeitgebers (BAG, Urteil vom 20.12.2022, 9 AZR 266/20)
- Urlaubsansprüche bei dauerhafter Erwerbsminderung (BAG, Urteil vom 20.12.2022, 9 AZR 245/19)
- Weisungsrecht bei Versetzung an ausländischen Arbeitsort (BAG, Urteil vom 30.11.2022, 5 AZR 336/21)
- Amtszeit der Schwerbehindertenvertretung — Schwellenwert (BAG, Beschluss vom 19.10.2022, 7 ABR 27/21)
- Informationspflicht des Arbeitgebers bei Fremdpersonaleinsatz (LAG Baden-Württemberg, Beschluss vom 12.10.2022, 4 TaBV 3/21)
- Tariflich verlängerte Überlassungsdauer von Leiharbeitnehmern (BAG, Urteil vom 14.09.2022, 4 AZR 83/21)
- Initiativrecht des Betriebsrats bezüglich elektronischer Arbeitszeiterfassung (BAG, Beschluss vom 13.09.2022, 1 ABR 22/21)
- Sonderkündigungsschutz für betriebliche Datenschutzbeauftragte (BAG, Urteil vom 25.08.2022, 2 AZR 225/20)
- Vergütung von Überstunden und Anforderungen an deren Darlegung (BAG, Urteil vom 04.05.2022, 5 AZR 359/21)
- Fairness von Aufhebungsvertragsverhandlungen (BAG, Urteil vom 24.02.2022, 6 AZR 333/21)
- Anspruch auf Nachgewährung von Freistellungstagen bei Krankheit (BAG, Urteil vom 23.02.2022, 10 AZR 99/21)
- Kein Anspruch auf Dankes- und Wunschformel im Arbeitszeugnis (BAG, Urteil vom 25.01.2022, 9 AZR 146/21)
- Kein individueller Anspruch auf Durchführung eines betrieblichen Eingliederungsmanagements (BAG, Urteil vom 07.09.2021, 9 AZR 571/20)
- Kein Mitbestimmungsrecht bei Fürsorgegesprächen (LAG Nürnberg, Beschluss vom 02.03.2021, 7 TaBV 5/20)
- 4.17 BVerfG-Entscheidung zu rassistischen Beleidigungen im Betriebsrat”
- Kündigung eines Betriebsratsmitglieds bei Betriebsstilllegung (BAG, Urteil vom 27.06.2019, 2 AZR 38/19)
- Freizeitausgleich für Betriebsratstätigkeit außerhalb der Arbeitszeit (BAG, Urteil vom 15.05.2019, 7 AZR 396/17)
- Pflicht zur Einführung eines Systems zur Arbeitszeiterfassung (EuGH, Urteil vom 14.05.2019, C‑55/18)
- Einblicksrecht des Betriebsrats in Bruttoentgeltlisten (BAG, Beschluss vom 07.05.2019, 1 ABR 53/17)
- Auskunftsanspruch des Betriebsrats bei Widerspruch der Arbeitnehmerin gegen die Mitteilung ihrer Schwangerschaft (BAG, Beschluss vom 09.04.2019, 1 ABR 51/17)
- Unterlassungsansprüche des Betriebsrats bei Dienstplangestaltung und der Einwand der unzulässigen Rechtsausübung (BAG, Beschluss vom 12.03.2019, 1 ABR 42/17)
- Unterrichtung des Betriebsrats über Arbeitsunfälle Dritter (BAG, Beschluss vom 12.03.2019, 1 ABR 48/17)
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1. Rahmenbedingungen und Trends am Arbeitsmarkt
In der sich ständig wandelnden Arbeitswelt ist es unerlässlich, sich stets auf dem neuesten Stand der aktuellen Gesetze und Rechtsprechungen zu halten. Veränderungen im Arbeits- und Betriebsverfassungsrecht können weitreichende Auswirkungen auf Unternehmen, Arbeitnehmer und Betriebsräte haben. Ob es um Fragen der Arbeitszeit, des Datenschutzes, der Mitbestimmung oder der beruflichen Weiterbildung geht — Kenntnisse über aktuelle Gesetze und Urteile sind von zentraler Bedeutung.
In diesem Seminar werden wir uns intensiv mit den wesentlichen Änderungen im Arbeits- und Betriebsverfassungsrecht seit dem Jahresende 2019 befassen. Unser Fokus liegt dabei auf den Gesetzen, die in den letzten Jahren erlassen wurden, sowie auf den Gerichtsentscheidungen, die in diesem Zeitraum von besonderer Bedeutung waren. Besondere Aufmerksamkeit werden das Qualifizierungschancengesetz, das Arbeit-von-morgen-Gesetz und das Betriebsrätemodernisierungsgesetz erhalten.
Das Qualifizierungschancengesetz und das Arbeit-von-morgen-Gesetz repräsentieren einen bedeutenden Schritt in Richtung Anpassung der Arbeitsgesetzgebung an die Herausforderungen der modernen Arbeitswelt. Sie betonen die Rolle der beruflichen Weiterbildung und stellen neue Möglichkeiten der Qualifizierung und Förderung bereit. Das Betriebsrätemodernisierungsgesetz hingegen zielt auf die Stärkung der Betriebsräte und die Modernisierung ihrer Arbeit ab. Wir werden diese Gesetze im Detail besprechen.
Neben den Gesetzen werden wir auch die Rechtsprechung betrachten, das sogenannte “Richterrecht”. Aktuelle Urteile von Arbeits- und Sozialgerichten können einen erheblichen Einfluss auf die Auslegung und Anwendung der Gesetze haben und sind daher ebenso wichtig zu verstehen.
Ziel dieses Seminars ist es, den Teilnehmenden einen umfassenden Überblick über die jüngsten Entwicklungen im Arbeits- und Betriebsverfassungsrecht zu geben und Ihnen die Werkzeuge an die Hand zu geben, um die Auswirkungen dieser Entwicklungen in Ihrer täglichen Arbeit besser zu verstehen und zu managen.
1. Rahmenbedingungen und Trends am Arbeitsmarkt
1.1 Die Auswirkungen der Jahrhunderterklärung der Internationalen Arbeitsorganisation auf das deutsche Arbeitsrecht
Die Internationale Arbeitsorganisation (IAO) hat im Laufe ihrer hundertjährigen Geschichte eine entscheidende Rolle bei der Gestaltung des Arbeitsrechts und der Arbeitspraktiken weltweit gespielt.
Im Jahr 2019 verabschiedete die IAO ihre Jahrhunderterklärung, ein wegweisendes Dokument, das die Zukunft der Arbeit und die Rolle der IAO in dieser Zukunft skizziert. Dieser Artikel untersucht die Auswirkungen dieser Erklärung auf das deutsche Arbeitsrecht.
1.1.1 Die Internationale Arbeitsorganisation (IAO)
Die IAO wurde 1919 gegründet und ist die älteste Sonderorganisation der Vereinten Nationen. Sie hat sich der Förderung von sozialer Gerechtigkeit und menschenwürdiger Arbeit verschrieben und spielt eine entscheidende Rolle bei der Festlegung und Durchsetzung internationaler Arbeitsstandards.
1.1.2 Jahrhunderterklärung der IAO
Die Jahrhunderterklärung der IAO wurde am 21. Juni 2019 von der Internationalen Arbeitskonferenz verabschiedet. Sie betont die Notwendigkeit von Investitionen in Infrastruktur und strategische Bereiche, um den tiefgreifenden Veränderungen in der Arbeitswelt zu begegnen, und fordert Politiken und Anreize, die nachhaltiges und inklusives Wirtschaftswachstum, die Gründung und Entwicklung nachhaltiger Unternehmen und den Übergang von der informellen zur formellen Wirtschaft fördern.
1.1.3 Die Auswirkungen der Jahrhunderterklärung auf das Arbeitsrecht
Die Jahrhunderterklärung betont die Bedeutung der Festlegung, Förderung und Ratifizierung internationaler Arbeitsnormen und der Überwachung ihrer Einhaltung. Sie fordert die IAO auf, über einen klaren, robusten, aktuellen und relevanten Bestand an internationalen Arbeitsnormen zu verfügen und ihn zu fördern und die Transparenz weiter zu steigern. Diese Forderungen haben direkte Auswirkungen auf das Arbeitsrecht, da sie die Notwendigkeit betonen, Arbeitsgesetze und ‑praktiken an internationale Standards anzupassen und die Einhaltung dieser Standards zu überwachen.
1.1.4 Die Bedeutung der Jahrhunderterklärung für das deutsche Arbeitsrecht
In Deutschland hat die Jahrhunderterklärung das Potenzial, das Arbeitsrecht in mehreren Bereichen zu beeinflussen. Sie könnte dazu führen, dass das deutsche Arbeitsrecht stärker auf die Förderung von sozialer Gerechtigkeit, die Verbesserung der Arbeitsbedingungen und die Gewährleistung der Einhaltung internationaler Arbeitsnormen ausgerichtet wird. Darüber hinaus könnte sie die Notwendigkeit betonen, das Arbeitsrecht an die sich wandelnden Strukturen der Arbeitswelt anzupassen.
1.1.5 Schlussfolgerung
Die Jahrhunderterklärung der IAO bietet eine wichtige Orientierung für die Gestaltung des Arbeitsrechts in Deutschland und weltweit. Sie betont die Notwendigkeit, das Arbeitsrecht an die sich wandelnden Strukturen der Arbeitswelt anzupassen und die Einhaltung internationaler Arbeitsnormen zu überwachen. Mit dem zunehmenden Einsatz von KI am Arbeitsplatz wird es immer wichtiger, diese Prinzipien zu beherzigen und sicherzustellen, dass die Vorteile der KI allen zugutekommen, während gleichzeitig die Herausforderungen, die sie mit sich bringt, angegangen werden.
1.1.6 Quellen:
Jahrhunderterklärung der Internationalen Arbeitsorganisation für die Zukunft der Arbeit, 21. Juni 2019:
Artikel zur Jahrhunderterklärung der ILO auf der ibp.Betriebsratscloud:
1.2 Die Rolle von ESG im Arbeitsrecht: Was Unternehmen wissen müssen
In der heutigen Geschäftswelt spielt ESG (Environmental, Social, Governance) eine immer wichtigere Rolle. Unternehmen werden zunehmend dafür verantwortlich gemacht, wie sie sich auf die Umwelt, die Gesellschaft und die Unternehmensführung auswirken. Dies hat auch Auswirkungen auf das Arbeitsrecht, da Unternehmen nun bestimmte Standards einhalten müssen, die sowohl intern als auch entlang ihrer Lieferketten gelten.
1.2.1 ESG und das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz
Seit dem 1. Januar 2023 ist das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz in Kraft. Dieses Gesetz verpflichtet Unternehmen, entlang ihrer gesamten Lieferkette Menschenrechte und Umweltstandards einzuhalten. Im Arbeitsrecht bedeutet dies, dass Unternehmen einen angemessenen Lohn zahlen müssen, der mindestens dem jeweils geltenden gesetzlichen Mindestlohn entspricht. Unternehmen müssen proaktiv Maßnahmen ergreifen, um sicherzustellen, dass ihre Lieferketten diese Standards erfüllen.
1.2.2 Nachhaltige Vergütungspolitik
Börsennotierte Unternehmen sind gesetzlich verpflichtet, eine nachhaltige Vergütungspolitik zu verfolgen. Nach dem ARUG II (Gesetz zur Umsetzung der zweiten Aktionärsrichtlinie) muss die Vergütungsstruktur der Vorstandsmitglieder auf eine nachhaltige und langfristige Entwicklung der Gesellschaft ausgerichtet sein. Dies bedeutet, dass die Vergütung der Vorstandsmitglieder nicht nur auf kurzfristige Gewinne ausgerichtet sein sollte, sondern auch die langfristigen Auswirkungen ihrer Entscheidungen auf die Umwelt und die Gesellschaft berücksichtigen sollte.
1.2.3 Die EU-Richtlinie über die Nachhaltigkeitsberichterstattung (CSRD)
Die Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) der EU, die Anfang 2023 in Kraft getreten ist, erweitert und ersetzt die bisherige Richtlinie zur nichtfinanziellen Berichterstattung (NFRD). Sie führt zu einer umfassenderen Nachhaltigkeitsberichterstattung und betrifft etwa 15.000 Unternehmen in Deutschland, darunter börsennotierte Unternehmen, Banken und Versicherungen. Diese Unternehmen müssen detaillierte Informationen über ihre sozialen und ökologischen Auswirkungen sowie ihre Strategien zur Bewältigung von Nachhaltigkeitsrisiken veröffentlichen.
Die Umsetzung der CSRD stellt eine große Herausforderung dar, da Unternehmen ihre internen Prozesse anpassen und sicherstellen müssen, dass ihre Berichte den neuen European Sustainability Reporting Standards (ESRS) entsprechen.
Die CSRD soll die Transparenz und Vergleichbarkeit von Nachhaltigkeitsinformationen verbessern und so eine bessere Entscheidungsgrundlage für Investoren, Kunden und andere Stakeholder bieten.
1.2.4 Equal Pay statt Gender Pay Gap
ESG im Arbeitsrecht umfasst auch das Prinzip des Equal Pay, bei dem Unternehmen gleiche Vergütung für gleichwertige Arbeit unabhängig vom Geschlecht gewährleisten sollen. Dies fördert Fairness, Gleichstellung und Diversität.
Ein aktuelles Urteil des Bundesarbeitsgerichts stärkt den Equal-Pay-Grundsatz, unterstützt soziale Gerechtigkeit und Geschlechtergleichstellung. Trotzdem bleibt der Gender Pay Gap eine Herausforderung im ESG-Kontext, die Unternehmen durch aktives Engagement für faire Entlohnung und Chancengleichheit angehen sollten, um ihn zu verringern.
1.2.5 Die Rolle des Betriebsrats bei der Gestaltung von ESG-Konzepten
Der Betriebsrat spielt eine wichtige Rolle bei der Umsetzung von ESG-Konzepten im Unternehmen. Obwohl der Betriebsrat nicht erzwingen kann, dass sich der Arbeitgeber dem Thema widmet, hat er im Rahmen der Ausgestaltung bei verschiedenen Themen Mitbestimmungsrechte. Dies bedeutet, dass der Betriebsrat aktiv an der Gestaltung und Umsetzung von ESG-Konzepten im Unternehmen beteiligt sein sollte.
1.2.6 Fazit und Ausblick
ESG und Arbeitsrecht sind eng miteinander verknüpft. Unternehmen, die das Thema ESG zu lange vor sich herschieben, riskieren nicht nur den Verlust von Kundenbeziehungen und Reputationsschäden, sondern auch Klagen betroffener Arbeitnehmer. Daher sollten sie sich proaktiv mit dem Themenkomplex ESG im Arbeitsrecht befassen und nachhaltige Standards einführen. Die Rolle des Betriebsrats bei der Gestaltung von ESG-Konzepten ist dabei von entscheidender Bedeutung. Es ist an der Zeit, dass Unternehmen ESG nicht mehr als bloße Compliance-Aufgabe sehen, sondern als Chance, ihre Arbeitspraktiken zu verbessern und einen positiven Beitrag zur Gesellschaft und zur Umwelt zu leisten.
1.3 Arbeitswelt-Report 2023 und die doppelte Transformation
Im Mai 2023 wurde der dritte Arbeitswelt-Report veröffentlicht, eine jährliche Publikation, die einen tiefen Einblick in die aktuelle und zukünftige Landschaft der Arbeitswelt in Deutschland bietet. Der erste Report, der im Jahr 2021 veröffentlicht wurde, stand noch im Zeichen der unmittelbaren Auswirkungen der Covid-19-Pandemie und der damit verbundenen Herausforderungen für die Arbeitswelt. Doch mit jedem weiteren Jahr und jedem weiteren Report hat sich der Fokus verschoben und erweitert, um die sich ständig verändernden Dynamiken und Herausforderungen der Arbeitswelt zu erfassen. Parallel dazu bietet das Arbeitsweltportal, eine Initiative des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales, eine Fülle von Informationen, Daten und Fakten rund um die Arbeitswelt.
1.3.1 Hintergrund und Kontext der Transformation
Die Arbeitswelt befindet sich in einem ständigen Wandel. Die aktuelle Phase der Transformation ist jedoch von besonderer Bedeutung, da sie zwei große Veränderungen umfasst: die digitale und die ökologische Transformation. Diese Veränderungen sind tiefgreifend und haben weitreichende Auswirkungen auf die Art und Weise, wie wir arbeiten und wie Unternehmen funktionieren. Die digitale Transformation hat die Arbeitswelt bereits erheblich verändert, indem sie neue Technologien und Arbeitsweisen eingeführt hat. Die ökologische Transformation hingegen steht noch am Anfang, wird aber zweifellos erhebliche Auswirkungen auf die Arbeitswelt haben, insbesondere in Bezug auf Nachhaltigkeit und Umweltschutz. Das Arbeitsweltportal analysiert diese und weitere Faktoren, die Umbrüche in der Arbeitswelt verursachen, wie den demografischen Wandel, sinkende Tarifbindung und Plattformarbeit.
1.3.2 Der Rat der Arbeitswelt
Eine zentrale Rolle bei der Gestaltung und Analyse der Transformation der Arbeitswelt spielt der Rat der Arbeitswelt. Dieses interdisziplinäre Expertengremium wurde im Januar 2020 vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) ins Leben gerufen und agiert unabhängig auf Grundlage seines Mandats. Der Rat verantwortet den Arbeitswelt-Bericht und hat die Aufgabe, Politik, betriebliche Praxis und Öffentlichkeit regelmäßig zum Wandel der Arbeitswelt zu informieren und zu beraten. Die Mitglieder des Rates sind interdisziplinär und praxisbezogen, um auch bei Unternehmen, Beschäftigten und Sozialpartnern Gehör zu finden.
1.3.3 Die Rolle des Betriebs als Transformationsort
Betriebe sind die Hauptakteure in dieser doppelten Transformation. Sie sind es, die die neuen Technologien einführen und umsetzen und die neuen Arbeitsweisen und ‑methoden entwickeln müssen. Dabei stehen sie vor der Herausforderung, diese Veränderungen in einer Weise zu bewältigen, die sowohl für das Unternehmen als auch für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vorteilhaft ist. Eine zentrale Rolle spielt dabei das Konzept der nachhaltigen Arbeit. Nachhaltige Arbeit ist menschengerecht und zielt darauf ab, das Erwerbsvermögen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter langfristig zu erhalten.
Sie berücksichtigt das Wechselverhältnis zwischen Arbeit, der ökologischen und sozialen Lebensgrundlage und wirtschaftlicher Produktivität. Nachhaltige Arbeit ist somit sowohl Mittel als auch Ziel der Transformation auf betrieblicher Ebene.
1.3.4 Beschäftigungsfähigkeit als Voraussetzung und Ziel von Transformation
Angesichts des demografischen Wandels und des damit verbundenen sinkenden Erwerbspersonenpotenzials ist es wichtig, den Fokus auf den Erhalt der Beschäftigungsfähigkeit und ‑motivation zu legen. Es gilt, in allen Branchen und Berufen nachhaltige Arbeit und attraktive Arbeitsbedingungen zu schaffen, um den wachsenden Bedarf an Arbeits- und Fachkräften zu decken.
1.3.5 Bedarfsgerechte und transparente Weiterbildungsstrukturen
Die Anpassung von Kompetenzen und Qualifikationen ist eine wesentliche Voraussetzung für die erfolgreiche Bewältigung der doppelten Transformation. Es ist wichtig, Weiterbildung als vierte Säule des deutschen Bildungssystems zu etablieren und individuelle und betriebliche Hemmnisse bei der Weiterbildungsbeteiligung abzubauen. Die Förderung von lebenslangem Lernen und die Entwicklung von Kompetenzen, die für die digitale und ökologische Transformation relevant sind, sollten im Mittelpunkt der Weiterbildungsstrategien stehen.
1.3.6 Tragfähige Rahmenbedingungen in einer flexiblen Arbeitswelt
Die doppelte Transformation kann neue Möglichkeiten für flexible Lösungen auf betrieblicher Ebene eröffnen. Es ist wichtig, diese Potenziale in der Ausgestaltung von Arbeitsort, ‑zeit und ‑organisation zu nutzen, um sowohl die Flexibilität der Unternehmen als auch der Beschäftigten zu fördern. Flexibilität kann dazu beitragen, die Arbeitszufriedenheit und Produktivität zu erhöhen und gleichzeitig die Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben zu verbessern.
1.3.7 Sektorübergreifende Kooperation für soziale Sicherheit in der Transformation
Die Transformation stellt vielfältige Herausforderungen an die soziale Sicherheit. Es bedarf Strategien, die dazu beitragen können, individuelle Risiken infolge von Transformationsprozessen und deren gesellschaftliche Konsequenzen zu minimieren. Eine sektorübergreifende Zusammenarbeit kann dazu beitragen, diese Herausforderungen zu bewältigen und eine soziale Sicherheit zu gewährleisten, die den Bedürfnissen einer sich verändernden Arbeitswelt gerecht wird.
1.3.8 Das Arbeitsweltportal: Eine Ressource für die Zukunft der Arbeit
Das Arbeitsweltportal ist eine wertvolle Ressource für alle, die sich für die Zukunft der Arbeit interessieren. Es bietet eine Fülle von Informationen, Daten und Fakten rund um die Arbeitswelt und analysiert verschiedene Faktoren, die Umbrüche in der Arbeitswelt verursachen. Mit seinen Infografiken, interaktiven Datensets, Interviews und Diskussionen bietet das Portal eine ausgewogene Perspektive auf die Entwicklungen in der Arbeitswelt.
1.3.9 Fazit und Ausblick
Die doppelte Transformation der Arbeitswelt ist eine Herausforderung, die wir gemeinsam bewältigen müssen. Der Arbeitswelt-Report 2023 bietet wertvolle Einblicke und Empfehlungen, wie wir diese Herausforderung bewältigen können. Es ist an der Zeit, dass wir diese Empfehlungen in die Praxis umsetzen und eine Arbeitswelt schaffen, die sowohl den Bedürfnissen der Unternehmen als auch der Beschäftigten gerecht wird. Für Betriebsräte und andere betriebliche Akteure bietet der Bericht eine Fülle von Informationen und Anregungen, wie sie ihre Rolle in der Transformation der Arbeitswelt gestalten können. Es ist an der Zeit, dass wir diese Transformation als Chance begreifen und die Weichen für eine nachhaltige, menschengerechte und zukunftsfähige Arbeitswelt stellen.
1.3.10 Quellen:
Artikel zum Arbeitswelt Bericht 2023 auf der ibp.Betriebsratscloud:
1.4 Die sich wandelnden Kompetenzanforderungen: Einblicke aus der KOFA-Studie 2/2023
In einer aktuellen Studie, die im Mai 2023 vom Kompetenzzentrum Fachkräftesicherung (KOFA) veröffentlicht wurde, wird der Zusammenhang zwischen ökologischer Nachhaltigkeit und personalpolitischen Maßnahmen in Unternehmen untersucht.
Die Studie zeigt, dass viele Unternehmen ihre Produkte, Dienstleistungen und Arbeitsprozesse bereits an ökologischer Nachhaltigkeit ausrichten. Allerdings könnte der Fachkräftemangel den ökologischen Wandel hemmen, da sechs von zehn Unternehmen den allgemeinen Personal- und Fachkräftemangel sowie fehlendes Wissen als Herausforderung für mehr ökologische Nachhaltigkeit sehen.
Die Studie zeigt ebenfalls, dass die Anforderungen an die Kompetenzen der Mitarbeiter sich verändern und dass Unternehmen Strategien entwickeln müssen, um diesen Herausforderungen zu begegnen.
Weitere Einblicke und Details finden Sie in unserem vollständigen Artikel:
1.5 Zukunftskompetenzen: Schlüsselqualifikationen für die Arbeitswelt von morgen
In einer sich ständig verändernden Arbeitswelt, sowohl in der Privatwirtschaft als auch im öffentlichen Sektor, sind bestimmte Fähigkeiten und Kenntnisse unerlässlich, um Schritt zu halten und erfolgreich zu sein. Diese Fähigkeiten, die als “Zukunftskompetenzen” bezeichnet werden, sind Schlüsselqualifikationen, die in der Arbeitswelt von morgen von entscheidender Bedeutung sein werden. Sie umfassen insbesondere
- digitale Kompetenz,
- ökologisches Bewusstsein,
- kritisches Denken,
- Kreativität
- emotionale Intelligenz und
- Anpassungsfähigkeit.
Unternehmen, Bildungseinrichtungen, öffentliche Einrichtungen und Einzelpersonen spielen alle eine entscheidende Rolle bei der Förderung dieser Kompetenzen.
1.6 Die Rolle des Betriebsrats in der digitalen Transformation: Einblicke aus der Hans-Böckler-Studie
In einer aktuellen Studie der Hans-Böckler-Stiftung mit dem Titel “Betriebsräte in der doppelten Transformation” wurde die Rolle von Betriebsräten in der digitalen Transformation untersucht.
Die Studie, die neun Betriebsratsgremien bei der Gestaltung ihrer digitalen Transformation begleitet hat, zeigt, dass Betriebsräte eine entscheidende Rolle bei der Gestaltung der digitalen Transformation spielen können. Sie können dazu beitragen, die Auswirkungen der digitalen Transformation auf die Beschäftigten zu mildern und gleichzeitig die Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens zu stärken. Die Studie betont auch die Bedeutung von Weiterbildung und Qualifizierung im Kontext der digitalen Transformation.
1.7 Links zu weiteren interessanten Artikeln über bzw. aus der Arbeitswelt
- ESG Reporting: 25 Fakten über ESG und Berichtspflicht, die Sie wissen müssen | INDUSTRIEMAGAZIN
- Künstliche Intelligenz: Vermessung bis ins Innerste | Netzpolitik.org
- Fachkräftemangel: Arbeit muss attraktiver werden | ZEIT ONLINE
- Arbeitszeit: Macht uns die 4‑Tage-Woche produktiver und gesünder? | BR.de
- Geringe Arbeitszeit schwächt den Standort Deutschland — iwd.de
- Arbeitszeit: und Zeiterfassung: Sieben Irrtümer — was gilt und was nicht? | RND
- Arbeitszeit per Gesetz | Deutschlandfunk
- Überstunden können krank machen: „Gesundheitsrisiko Personalmangel“ | Merkur.de
- Arbeitszeiterfassung: Das Land verweigert ein Gesetz | WELT
- Müdigkeit, Mattigkeit und Erschöpfung: Höherer Krankenstand in Berufsgruppen mit Personalmangel | Tagesspiegel
- Führungstrends der Zukunft – Der Wunsch nach mehr Gefühl | Team Gesundheit
2. Aktuelle Gesetzesänderungen
Seit dem Jahr 2020 wurden in Deutschland zahlreiche Gesetzesänderungen auf dem Gebiet des Arbeits- und Betriebsverfassungsrechts eingeführt. Diese haben weitreichende Auswirkungen auf Arbeitnehmer, Arbeitgeber und Betriebsräte. Besonders bedeutend waren Neuregelungen in den Bereichen des Mindestlohns, des Mindestlohns für Auszubildende, der Erweiterung des Kurzarbeitergeldes, der Digitalisierung von Krankmeldung und Arbeitslosenmeldung sowie Steuererleichterungen im Arbeitsrecht.
Obwohl wir uns in diesem Skript hauptsächlich auf die neuesten Änderungen konzentrieren werden, möchten wir zu Beginn unserer Betrachtung das sogenannte “Arbeit-von-morgen-Gesetz” hervorheben.
Obwohl dieses Gesetz bereits im Jahr 2020 in Kraft getreten ist, stellt es den Beginn einer bedeutenden gesetzlichen Entwicklung dar, die die Arbeitswelt in Deutschland nachhaltig verändert hat und weiterhin verändert.
2.1 Das Arbeit-von-morgen-Gesetz
Das Arbeit-von-morgen-Gesetz ist eine Schlüsselmaßnahme der Bundesregierung, um Arbeitnehmer und Unternehmen in Deutschland auf den technologischen Strukturwandel und die daraus resultierenden Herausforderungen vorzubereiten.
Durch eine verstärkte Förderung von Weiterbildung und Qualifizierung zielt das Gesetz darauf ab, die Anpassungsfähigkeit und Wettbewerbsfähigkeit des deutschen Arbeitsmarktes zu stärken.
2.1.1 Einleitung
Obwohl das Gesetz bereits 2020 in Kraft getreten ist, sind die Auswirkungen und Implikationen nach wie vor sehr relevant. Darüber hinaus legt es den Grundstein für viele der neueren Gesetzesänderungen, die wir in diesem Skript diskutieren werden.
2.1.1.1 Hintergrund und Zielsetzung des Gesetzes
Das “Arbeit-von-morgen-Gesetz”, ursprünglich im Februar 2020 unter der alten Bundesregierung auf den Weg gebracht, stellt einen wichtigen Schritt zur Verbesserung der Arbeitsmarktpolitik und zur Bewältigung der Herausforderungen der digitalen Transformation in Deutschland dar. Das Gesetz zielt darauf ab, die Arbeitsförderung zu stärken, die Weiterbildung zu fördern und das Kurzarbeitergeld flexibler und effektiver zu gestalten.
2.1.1.2 Bedeutung für den Arbeitsmarkt und Betriebsverfassungsrecht
Das Gesetz hat erhebliche Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt und die Arbeitswelt. Es ermöglicht es Arbeitnehmern, ihre Fähigkeiten und Qualifikationen durch Weiterbildung zu verbessern, um den Anforderungen des digitalen Zeitalters gerecht zu werden. Darüber hinaus stärkt es die Rolle der Betriebsräte in Fragen der Qualifizierung und Weiterbildung.
2.1.2 Hauptbestandteile des Gesetzes
2.1.2.1 Arbeitsförderung
2.1.2.1.1 Betriebliche Weiterbildung
Das Gesetz ermöglicht es Unternehmen, bei der Durchführung betrieblicher Weiterbildungsmaßnahmen finanzielle Unterstützung zu erhalten. Durch die Anpassung des § 81 des Dritten Buches Sozialgesetzbuch (SGB III) wurde das Instrument der Förderung betrieblicher Weiterbildung gestärkt.
2.1.2.1.2 Außerbetriebliche Weiterbildung
Für die außerbetriebliche Weiterbildung bietet das Gesetz ebenfalls Unterstützung, indem es den Zugang zu Weiterbildungsmaßnahmen erleichtert und die Kostenübernahme durch die Bundesagentur für Arbeit ermöglicht.
2.1.2.1.3 Unterstützung bei der Eingliederung von Arbeitslosen
Das Gesetz verbessert die Möglichkeiten zur Unterstützung von Arbeitslosen bei ihrer Eingliederung in den Arbeitsmarkt. Durch die Anpassung von § 16 SGB III wird das Eingliederungsmanagement verbessert und erweitert.
2.1.2.2 Reform des Kurzarbeitergeldes
2.1.2.2.1 Flexibilität in Krisenzeiten
Das Gesetz ermöglicht es Unternehmen, in Krisenzeiten flexibler auf wirtschaftliche Schwankungen zu reagieren. Durch die Änderungen im § 95 SGB III wird die Flexibilität des Kurzarbeitergeldes erhöht und eine schnellere Anpassung an wirtschaftliche Veränderungen ermöglicht.
2.1.2.2.2 Verlängerung der Bezugsdauer
Die maximale Bezugsdauer für das Kurzarbeitergeld wurde auf 24 Monate verlängert. Dadurch haben Unternehmen mehr Zeit, sich von wirtschaftlichen Schwierigkeiten zu erholen.
2.1.2.3 Qualifizierung von Arbeitnehmern
2.1.2.3.1 Anspruch auf Weiterbildungsberatung
Das Gesetz stärkt das Recht der Arbeitnehmer auf Beratung zur beruflichen Entwicklung. Jeder Arbeitnehmer hat nun einen Anspruch auf eine Weiterbildungsberatung durch die Bundesagentur für Arbeit (§ 45 SGB III).
2.1.2.3.2 Möglichkeit zur Teilnahme an Weiterbildungsmaßnahmen
Arbeitnehmer haben nun das Recht, an Weiterbildungsmaßnahmen teilzunehmen, wenn diese zur Sicherung ihres Arbeitsplatzes notwendig sind oder wenn sie von Arbeitslosigkeit bedroht sind (§ 81 SGB III).
2.1.3 Rolle der Betriebsräte bei Weiterbildung
2.1.3.1 Initiativrecht zur Einführung von Qualifizierungsmaßnahmen
Das Gesetz stärkt die Rolle der Betriebsräte bei der Weiterbildung. Sie haben jetzt ein Initiativrecht zur Einführung von Qualifizierungsmaßnahmen und können aktiv Vorschläge zur Verbesserung der Qualifizierung im Betrieb einbringen (§ 97 BetrVG).
2.1.3.2 Beteiligung bei Planung und Durchführung von Weiterbildungsmaßnahmen
Die Betriebsräte sind nun stärker in die Planung und Durchführung von Weiterbildungsmaßnahmen einbezogen. Sie haben das Recht, bei der Festlegung von Qualifizierungszielen und bei der Auswahl von Weiterbildungsmaßnahmen mitzuwirken (§ 98 BetrVG).
2.1.4 Ausbau der Assistierten Ausbildung
2.1.4.1 Unterstützung für junge Menschen mit Schwierigkeiten bei der Ausbildung
Das Gesetz verbessert die Unterstützung für junge Menschen, die Schwierigkeiten bei der Ausbildung haben. Durch die Änderungen im SGB III wird die assistierte Ausbildung ausgebaut und verbessert.
2.1.5 Schlussfolgerungen und Ausblick
2.1.5.1 Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt und die Arbeitswelt
Das Arbeit-von-morgen-Gesetz ist ein wichtiger Schritt in Richtung einer zukunftsfähigen Arbeitswelt. Es fördert die Weiterbildung und Qualifizierung der Arbeitnehmer und bietet Unternehmen mehr Flexibilität in Krisenzeiten. Darüber hinaus stärkt es die Rolle der Betriebsräte in Fragen der Qualifizierung und Weiterbildung.
2.1.5.2 Relevanz für Betriebsräte und Unternehmen
Für Betriebsräte und Unternehmen ist es wichtig, die Möglichkeiten und Vorteile, die das Gesetz bietet, zu kennen und zu nutzen. Nur so können sie ihre Rolle in der Gestaltung der Arbeit von morgen effektiv wahrnehmen und einen positiven Beitrag zur Weiterentwicklung der Arbeitswelt leisten.
2.2 Novellierung des Berufsbildungsgesetzes 2020
Das Berufsbildungsgesetz (BBiG) wurde im Jahr 2020 novelliert und trat am 1. Januar 2020 in Kraft. Mit dieser Novellierung des BBiG wurde das duale Ausbildungssystem modernisiert und an die Bedürfnisse des digitalen Zeitalters angepasst.
2.2.1 Einführung neuer Abschlussbezeichnungen
Mit der Novellierung wurden neue Abschlussbezeichnungen eingeführt, um die Gleichwertigkeit von beruflicher und akademischer Bildung zu unterstreichen. Ab sofort gibt es neben dem “Gesellen” (Berufsbezeichnung nach Abschluss einer Berufsausbildung) den “Facharbeiter” und den “Spezialisten” (Berufsbezeichnungen nach Abschluss einer Fortbildung).
2.2.2 Verbesserung der Durchlässigkeit im Bildungssystem
Die Durchlässigkeit im Bildungssystem wurde verbessert, indem es Berufstätigen erleichtert wurde, einen Berufsabschluss nachzuholen. Zudem wurden die Möglichkeiten zur Anrechnung von beruflichen Kompetenzen auf Hochschulstudiengänge erweitert.
2.2.3 Stärkung der Qualität in der Berufsausbildung
Die Qualität in der Berufsausbildung wurde gestärkt, indem die Eignung von Ausbildungsbetrieben stärker in den Fokus gerückt wurde. Die Ausbildungsbetriebe müssen nun nachweisen, dass sie über ausreichend qualifiziertes Personal verfügen und dass die Ausbildung nach den anerkannten Standards durchgeführt wird.
2.2.4 Förderung der Mobilität von Auszubildenden
Die Mobilität von Auszubildenden wurde gefördert, indem die Möglichkeiten für Auslandsaufenthalte während der Berufsausbildung verbessert wurden.
Diese Neuerungen im Berufsbildungsgesetz bieten sowohl für Auszubildende als auch für Betriebe neue Möglichkeiten und tragen dazu bei, die Attraktivität und Qualität der dualen Berufsausbildung zu stärken.
2.3 Qualifizierungschancengesetz
Das Qualifizierungschancengesetz trat am bereits am1. Januar 2019 in Kraft und wurde in den letzten Jahren weiterentwickelt und angepasst. Dieses Gesetz zielt darauf ab, die Weiterbildungsbeteiligung von Beschäftigten zu erhöhen und die Qualifizierung von Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen zu fördern, um den Herausforderungen der digitalen Transformation zu begegnen.
Hauptmerkmale des Qualifizierungschancengesetzes sind:
2.3.1 Förderung der beruflichen Weiterbildung
Das Qualifizierungschancengesetz erweitert die Förderung der beruflichen Weiterbildung. Es ermöglicht Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen, die vom technologischen Wandel betroffen sind, finanzielle Unterstützung für berufliche Weiterbildungsmaßnahmen zu erhalten.
2.3.2 Beratungsangebote für Unternehmen
Das Gesetz sieht Beratungsangebote für Unternehmen vor, um sie bei der Planung und Durchführung von Weiterbildungsmaßnahmen zu unterstützen. Insbesondere kleine und mittlere Unternehmen (KMU) können von dieser Beratung profitieren, da sie oft nicht über die notwendigen Ressourcen für die Entwicklung eigener Weiterbildungsprogramme verfügen.
2.3.3 Erweiterung des Kurzarbeitergeldes
Das Qualifizierungschancengesetz erweitert auch das Kurzarbeitergeld. Unternehmen, die von konjunkturellen Schwankungen betroffen sind, können nun Kurzarbeitergeld für ihre Beschäftigten beantragen, um Weiterbildungsmaßnahmen während der Kurzarbeitszeit zu finanzieren.
Das Qualifizierungschancengesetz ist ein wichtiges Instrument zur Förderung der beruflichen Weiterbildung und zur Sicherung der Zukunftsfähigkeit des Arbeitsmarktes. Es unterstützt sowohl Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen als auch Unternehmen dabei, den Herausforderungen des digitalen Wandels aktiv zu begegnen.
2.4 Das Berufsbildungsgesetz (BBiG)
Das Berufsbildungsgesetz (BBiG) stellt den rechtlichen Rahmen für die berufliche Bildung in Deutschland dar. Es beinhaltet die Regeln und Vorschriften für die duale Ausbildung, die berufliche Fortbildung und die berufliche Umschulung.
Im Jahr 2020 wurde das BBiG novelliert und grundlegend überarbeitet. Diese Überarbeitung brachte eine Reihe von wichtigen Änderungen mit sich, die Auszubildende, Arbeitgeber und Bildungseinrichtungen direkt betreffen.
2.4.1 Änderungen durch die Novellierung 2020
Die Novellierung des BBiG im Jahr 2020 hat insbesondere folgende Änderungen eingeführt:
2.4.2 Mindestvergütung für Auszubildende
Eine der signifikantesten Änderungen ist die Einführung eines Mindestlohns für Auszubildende. Ab 2020 müssen Arbeitgeber Auszubildenden im ersten Lehrjahr eine Mindestvergütung von 515 Euro pro Monat zahlen. Die Mindestvergütung steigt in den folgenden Jahren der Ausbildung stufenweise an.
2.4.3 Neue Abschlussbezeichnungen
Die Novellierung führte neue Abschlussbezeichnungen ein, um die Gleichwertigkeit von beruflicher und akademischer Bildung zu betonen. So können Absolventen der beruflichen Weiterbildung nun die Titel “Bachelor Professional” oder “Master Professional” führen.
2.4.4 Verbesserte Freistellungsregelungen für den Berufsschulunterricht
Ein weiteres wichtiges Element der Novellierung betrifft die Freistellungsregelungen für den Berufsschulunterricht. Auszubildende, die an einem Berufsschultag mindestens fünf Unterrichtsstunden à 45 Minuten haben, sind nun für den ganzen Tag von der Arbeit freigestellt.
2.4.5 Erleichterungen im Prüfungsbereich
Die Novellierung des BBiG hat auch Erleichterungen im Prüfungsbereich mit sich gebracht. Insbesondere wurden die Möglichkeiten für das Ablegen von Teilprüfungen erweitert.
Das novellierte Berufsbildungsgesetz trägt dazu bei, die Qualität der beruflichen Bildung in Deutschland zu sichern und zu erhöhen. Es stärkt die Attraktivität der dualen Ausbildung und schafft bessere Bedingungen für Auszubildende und Arbeitgeber.
2.5 Betriebsrätemodernisierungsgesetz
2.5.1 Betriebsrätemodernisierungsgesetz — Welche Änderungen ergeben sich für die Betriebsratsarbeit?
Die Digitalisierung und Modernisierung der Arbeitswelt macht auch vor der Arbeit der Betriebsräte keinen Halt. Der deutsche Gesetzgeber hat daher versucht, diesen Trend auch in das Betriebsverfassungsgesetz einfließen zu lassen.
Das Betriebsrätemodernisierungsgesetz, welches im Mai vom Bundestag und Bundesrat verabschiedet wurde und am 18. Juni 2021 in Kraft getreten ist, bringt wichtige Neuerungen für die Betriebsratsarbeit. Im Folgenden werden die wichtigsten Änderungen erläutert:
2.5.2 Virtuelle Sitzungen möglich – Präsenzsitzungen sollen aber Regelfall bleiben
Während der Corona-Pandemie war es ausnahmsweise möglich, Sitzungen des Betriebsrats virtuell abzuhalten. Das Betriebsrätemodernisierungsgesetz verankert nun die Möglichkeit virtueller Sitzungen im Betriebsverfassungsgesetz. Allerdings bleiben Präsenzsitzungen weiterhin der Regelfall. Die virtuelle Sitzung ist unter bestimmten Voraussetzungen möglich:
- Die Möglichkeit der virtuellen Sitzung muss in der Geschäftsordnung verankert sein.
- Es darf kein Widerspruch von mindestens einem Viertel der Betriebsratsmitglieder gegen eine virtuelle Sitzung bestehen.
- Es muss gewährleistet sein, dass keine anderen Personen Kenntnis vom Inhalt der Sitzungen nehmen können.
Zusätzlich wurde klargestellt, dass jedes Mitglied trotz virtueller Sitzung die Möglichkeit haben sollte, die Sitzung auch physisch zu besuchen. Die Präsenzteilnahme bleibt weiterhin erforderlich, und die damit verbundenen Kosten müssen vom Arbeitgeber getragen werden.
2.5.3 Betriebsratswahlen vereinfacht und Kündigungsschutz verbessert
Das Betriebsrätemodernisierungsgesetz bringt auch Vereinfachungen im Bereich der Betriebsratswahlen mit sich. Das vereinfachte Wahlverfahren gilt nun verpflichtend bis zu einer Betriebsgröße von 100 Mitarbeitern (vorher 50 Mitarbeiter). Für Betriebe mit 101 bis 200 Mitarbeitern kann das vereinfachte Wahlverfahren auch vereinbart werden, wenn dies zwischen Wahlvorstand und Arbeitgeber festgelegt wird. Das vereinfachte Wahlverfahren zielt darauf ab, die Hürden und Formalitäten für die Gründung eines Betriebsrats niedrigschwellig zu halten.
Zusätzlich wurde der Kündigungsschutz für Initiatoren der Betriebsratsgründung erweitert. Vorher waren lediglich drei Initiatoren einer Betriebsratswahl vor einer Kündigung geschützt. Mit dem Betriebsrätemodernisierungsgesetz wurde die Zahl auf sechs erhöht. Allerdings gilt dieser erweiterte Kündigungsschutz nicht unmittelbar für außerordentliche Kündigungen.
2.5.4 Verantwortlichkeit für den Datenschutz
Das Betriebsrätemodernisierungsgesetz beinhaltet auch Regelungen zur Verantwortlichkeit für den Datenschutz im Betriebsrat. Nach Inkrafttreten der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) war umstritten, wer für die Verarbeitung personenbezogener Daten innerhalb des Betriebsrats datenschutzrechtlich verantwortlich ist. Mit dem neuen § 79a BetrVG wird nun klargestellt, dass die Verantwortlichkeit im Sinne der datenschutzrechtlichen Vorschriften beim Arbeitgeber liegt.
2.5.5 Mitbestimmung bei der mobilen Arbeit
Des Weiteren erhalten Betriebsräte durch § 87 Abs. 1 Nr. 14 BetrVG ein Mitbestimmungsrecht bei der Gestaltung der mobilen Arbeit. Dabei betrifft die mobile Arbeit nicht nur das Homeoffice, sondern auch die Möglichkeit für Arbeitnehmer, an einem von ihnen bestimmten Ort zu arbeiten. Allerdings bezieht sich das Mitbestimmungsrecht nur auf das “wie” der mobilen Arbeit, während das “ob” weiterhin vom Arbeitgeber bestimmt wird.
Das Betriebsrätemodernisierungsgesetz bringt wichtige Änderungen für die Betriebsratsarbeit mit sich, um sie an die Anforderungen der modernen Arbeitswelt anzupassen. Es ist von großer Bedeutung, dass Betriebsräte und Arbeitgeber diese Änderungen genau kennen und umsetzen, um eine reibungslose Zusammenarbeit und die Wahrung der Rechte der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu gewährleisten.
2.6 Neue Regelungen zum Urlaub und zur Absonderung im Infektionsschutzgesetz
Das Infektionsschutzgesetz wurde kürzlich um eine bedeutende Änderung erweitert, die den Umgang mit Urlaub und Absonderung betrifft. Insbesondere die Frage, ob Zeiten der Absonderung während des Urlaubs auf den Jahresurlaubsanspruch angerechnet werden müssen, war bislang umstritten. In diesem Artikel werden die Hintergründe, aktuelle Entwicklungen und Auswirkungen der neuen Regelung erläutert.
2.6.1 Unklarheiten vor der Gesetzesänderung:
Vor der Gesetzesänderung gab es keine eindeutige Rechtsprechung oder Fachliteratur, die die Anrechnung von Absonderungszeiten auf den Jahresurlaubsanspruch klärte. Einige Experten argumentierten, dass urlaubsstörende Ereignisse zum persönlichen Lebensrisiko des Arbeitnehmers gehören. Andere befürworteten hingegen die Anwendung von § 9 BUrlG, wonach der Urlaub während einer Erkrankung dem Arbeitnehmer “gutgeschrieben wird”. Um Klarheit zu schaffen, wurde diese Frage vom Bundesarbeitsgericht (BAG) dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) vorgelegt.
2.6.2 Auswirkungen bei nicht erkrankten Arbeitnehmern:
Die Frage nach der Anrechnung der Absonderungszeiten stellt sich jedoch nur, wenn der Arbeitnehmer während der Absonderung nicht erkrankt ist. Wenn ein Arbeitnehmer sich mit dem Corona-Virus infiziert und arbeitsunfähig krank ist, findet die Regelung des § 9 BUrlG direkt Anwendung. Allerdings ist noch nicht abschließend geklärt, ob ein Arbeitnehmer auch dann als arbeitsunfähig erkrankt gilt, wenn er mit dem Covid-19-Virus infiziert ist, aber keine Symptome aufweist. Aufgrund der seltenen Vorkommnisse solcher Fälle gibt es keine klare Rechtsprechung.
2.6.3 Die neue Regelung und ihre Auswirkungen:
Der Gesetzgeber hat mittlerweile reagiert und einen neuen § 59 IfSG ins Infektionsschutzgesetz eingefügt. Gemäß dieser Regelung werden die Tage der Absonderung während des Urlaubs nicht auf den Jahresurlaub angerechnet. Diese Änderung trat am 17. September 2022 in Kraft und bringt Klarheit für zukünftige Fälle. Allerdings gilt diese Regelung nur für Absonderungen aufgrund deutscher Rechtsvorschriften und nicht für ausländische Rechtsvorschriften.
2.6.4 Ausland und unklare Rechtslage:
Es gibt noch Unklarheiten bei Fällen, in denen sich ein Arbeitnehmer im Ausland im Urlaub befindet und nach dem Recht des entsprechenden Landes in Absonderung begeben muss. Die Regelung des § 59 IfSG gilt eindeutig nur für Absonderungen aufgrund deutscher Rechtsvorschriften. Hier kann die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs von Bedeutung sein, um eine einheitliche Regelung zu gewährleisten.
2.6.5 Fazit
Die Änderung des Infektionsschutzgesetzes in Bezug auf Urlaub und Absonderung bringt Klarheit für zukünftige Fälle, in denen Arbeitnehmer während des Urlaubs aufgrund behördlicher Anordnungen oder des Infektionsschutzgesetzes in Quarantäne müssen. Die genaue Ausgestaltung der Regelung in Bezug auf erkrankte und nicht erkrankte Arbeitnehmer sowie die Anwendung bei ausländischen Absonderungsmaßnahmen bleibt jedoch weiterhin Gegenstand von Diskussionen und möglichen zukünftigen Gerichtsentscheidungen. Arbeitgeber sollten die Entwicklungen aufmerksam verfolgen und gegebenenfalls ihre Vorgehensweise anpassen, um rechtssicher zu handeln.
2.7 Verlängerung des Kinder‑, Kranken- und Betreuungsgeldes
Die Regelung des § 45 SGB V, die das Kinder-Krankengeld regelt, wird in mehreren Aspekten verlängert. Zum einen besteht der Anspruch auf Kinder-Krankengeld nach § 45 Abs. 2a SGB V für längstens 30 Arbeitstage je Kind, bei Alleinerziehenden für längstens 60 Arbeitstage je Kind. Diese Regelung gilt nun auch für das gesamte Jahr 2023. Es gibt jedoch eine Begrenzung auf insgesamt 65 bzw. 130 Arbeitstage.
Zusätzlich wird der Anspruch auf Kinder-Krankengeld zeitlich begrenzt bis zum 7. April 2023 auch dann gewährt, wenn das Kind nicht krank ist, sondern aufgrund der Schließung der Betreuungseinrichtung zu Hause betreut werden muss. Dies bedeutet, dass Eltern, die aufgrund der Betreuungssituation ihres Kindes nicht arbeiten können, einen Anspruch auf Kinder-Krankengeld haben.
Es gibt jedoch eine Einschränkung für den Anspruch auf Entschädigung bei nicht gesetzlich krankenversicherten Elternteilen und Kindern. Gemäß § 56 Abs. 1a IfSG besteht ein Entschädigungsanspruch für Arbeitnehmer, jedoch ist dieser Anspruch nicht über den 23. September 2022 hinaus verlängert worden.
Diese Verlängerungen des Kinder-Krankengeldes und die Berücksichtigung der Betreuungssituation aufgrund von Schließungen der Betreuungseinrichtungen sollen Eltern entlasten und ihnen ermöglichen, sich um ihre Kinder zu kümmern, insbesondere während der anhaltenden COVID-19-Pandemie. Es ist jedoch wichtig zu beachten, dass der Anspruch auf Entschädigung für nicht gesetzlich krankenversicherte Eltern und Kinder nicht über den genannten Zeitpunkt hinaus besteht.
2.8 Das Hinweisgeberschutzgesetz (HinSCHG) – Umsetzung der EU-Whistleblower-Richtlinie
Das Hinweisgeberschutzgesetz, das einen umfassenden Schutz für Hinweisgeber oder Whistleblower vorsieht, wurde am 2. Juni 2023 im Bundesgesetzblatt verkündet. Damit tritt das Gesetz am 2. Juli 2023 in Kraft, nachdem es zuvor vom Deutschen Bundestag und Bundesrat verabschiedet wurde.
Am 12. Mai 2023 hat der Bundesrat das Gesetz verabschiedet, nur einen Tag nachdem es bereits vom Deutschen Bundestag verabschiedet wurde. Die schnelle Verabschiedung zeigt das große Interesse und die Wichtigkeit, die dem Hinweisgeberschutz beigemessen wird. Zuvor, am 10. Mai 2023, hatte der Vermittlungsausschuss getagt und konnte sich auf einen zustimmungsfähigen Kompromiss einigen.
Diese jüngsten Entwicklungen markieren einen Meilenstein in der deutschen Gesetzgebung zum Schutz von Hinweisgebern. Mit dem Inkrafttreten des Hinweisgeberschutzgesetzes im Juli 2023 wird Deutschland den Schutz für Whistleblower weiter stärken und sicherstellen, dass sie vor Repressalien geschützt sind, wenn sie illegale Missstände aufdecken und melden. Das Gesetz schafft klare Rahmenbedingungen für Unternehmen und Organisationen und legt fest, dass interne Meldestellen vorrangig genutzt werden sollen.
Durch die Bereitstellung von klaren und leicht zugänglichen Informationen über die Nutzung des internen Meldeverfahrens werden Unternehmen angehalten, Anreize zu schaffen, damit Hinweisgeber bevorzugt auf diese Kanäle zurückgreifen. Gleichzeitig sollen externe Meldestellen Hinweisgeber über die Möglichkeit einer internen Meldung informieren.
Das Hinweisgeberschutzgesetz erweitert den Anwendungsbereich, indem es Verstöße sowohl gegen europäisches als auch nationales Recht abdeckt. Damit geht es über die Mindestanforderungen der EU-Hinweisgeber-Richtlinie hinaus und schließt strafbewehrte oder bußgeldbewehrte Vergehen ein, die die Gesundheit oder das Leben gefährden.
Die neuen Regelungen sehen auch vor, dass anonyme Hinweise bearbeitet werden sollen, obwohl dies nicht verpflichtend ist. Die Empfehlung des Gesetzes zielt darauf ab, die Unsicherheit von Hinweisgebern zu verringern und ihnen die Möglichkeit zu geben, Missstände ohne Angst vor Repressalien zu melden.
Zusätzlich legt das HinSchG fest, dass Unternehmen zwischen 50 und 249 Mitarbeitenden Hinweisgebersysteme teilen dürfen, um die Kosten zu reduzieren. Auch Gesellschaften und Konzerne können gemeinsame Meldekanäle nutzen. Darüber hinaus wird die Beweislastumkehr zu Gunsten des Hinweisgebers festgeschrieben, um sie vor möglichen Repressalien zu schützen.
Mit dem Hinweisgeberschutzgesetz setzt Deutschland ein deutliches Zeichen für den Schutz von Hinweisgebern und fördert eine Kultur der Integrität und Verantwortlichkeit in Unternehmen und Organisationen. Das Gesetz wird dazu beitragen, Missstände aufzudecken und die Einhaltung von Recht und Ethik zu fördern.
2.9 Das Vereinbarkeitsrichtlinienumsetzungsgesetz (VRUG)
Das Vereinbarkeitsrichtlinienumsetzungsgesetz (VRUG), das am 24. Dezember 2022 in Kraft trat, bringt Änderungen im Elternzeitrecht und im Pflegezeitrecht mit sich. Eine der neuen Regelungen betrifft die Begründungspflicht des Arbeitgebers bei der Ablehnung eines Antrags auf Elternzeitteilzeit nach § 15 Abs. 5 des Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetzes (BEEG). Diese Begründungspflicht gilt nun auch für Kleinunternehmen mit weniger als 16 Arbeitnehmern. Die Begründung kann formlos erfolgen und es werden keine hohen Anforderungen an den Inhalt gestellt.
Das Gesetz lässt jedoch offen, welche Folgen eine nicht fristgerechte oder unbegründete Ablehnung hat. In § 15 Abs. 7 Satz 5 BEEG ist jedoch explizit geregelt, dass bei Arbeitgebern mit mehr als 15 Beschäftigten eine nicht form- und fristgerechte Ablehnung dazu führt, dass eine entsprechende Vereinbarung als getroffen gilt. Für Kleinunternehmen mit 15 oder weniger Beschäftigten dürfte eine Verletzung der Ablehnungspflicht folgenlos sein, da der Gesetzgeber für das Konsensverfahren keine entsprechenden Folgen vorsieht.
Im Pflegezeit- und Familienpflegezeitgesetz wird für Arbeitgeber mit in der Regel 15 oder weniger Beschäftigten bzw. mit in der Regel 25 oder weniger ausschließlich der zu ihrer Berufsbildung Beschäftigten, also für Kleinbetriebe, die Verpflichtung eingeführt, Anträge der Beschäftigten auf den Abschluss einer Vereinbarung über eine Freistellung nach dem Pflegezeit- und Familienpflegezeitgesetz innerhalb von 4 Wochen zu beantworten und im Falle der Ablehnung zu begründen.
Beschäftigte von Arbeitgebern mit in der Regel 15 oder weniger Beschäftigten haben keinen Rechtsanspruch auf die Inanspruchnahme einer Pflegezeit nach § 3 Abs. 1 Satz 1 Pflegezeitgesetz (PflegeZG) oder einer sonstigen Freistellung nach § 3 Abs. 5 Satz 1 oder Abs. 6 Satz 1 PflegeZG. Im Fall einer einvernehmlichen Vereinbarung einer solchen Freistellung können ihnen jedoch gemäß § 3 Abs. 1 Satz 2 Familienpflegezeitgesetz (FamPflZG) auf Antrag zinslose Darlehen gewährt werden. Mit der neuen Regelung des § 3 Abs. 6a PflegeZG wird klargestellt, dass auch Beschäftigte bei Arbeitgebern mit in der Regel 15 oder weniger Beschäftigten den Abschluss einer Vereinbarung über eine Pflegezeit oder eine sonstige Freistellung beantragen können. Die Antwort des Arbeitgebers auf den Antrag muss innerhalb von 4 Wochen erfolgen und im Falle einer Ablehnung muss diese begründet werden. Eine unterbliebene Antwort oder eine nicht sachlich begründete Ablehnung führt jedoch nicht zur Zustimmung des Arbeitgebers zur beantragten Freistellung.
In Kleinunternehmen mit nicht mehr als 15 bzw. 25 Beschäftigten besteht der besondere Kündigungsschutz für Beschäftigte in Pflegezeit erst mit Beginn der Freistellung und nicht bereits mit der Antragstellung.
Diese Änderungen sollen die Vereinbarkeit von Elternzeit und Pflegezeit mit der beruflichen Tätigkeit erleichtern und für mehr Transparenz und Schutz der Beschäftigten sorgen.
2.10 Anpassung des Mindestlohns
Seit dem 01. Januar 2024 beträgt der gesetzliche Mindestlohn 12,41 Euro brutto je tatsächlich geleisteter Arbeitsstunde. Im Januar 2025 wird er auf 12,82 Euro steigen.
2.10.1 Auszubildende:
Für Auszubildende liegt der Mindestbetrag im Jahr 2023 bei 620 Euro. Und der Grundbetrag muss mindestens einmal jährlich ansteigen.
2.10.2 Für Mini- und Midi- Jobs:
Für Minijobber wird die geringfügige Beschäftigung aus dem 520 Euro-Job ein 538 Euro-Job. Für Midi-Jobs ändert sich dadurch die Entgeltspanne auf monatlich 538,01 Euro bis 2000 Euro.
2.10.3 Im Pflegebereich:
Der Mindestlohn wurde im Oktober 2022 auf 12 Euro pro Stunde erhöht. Deswegen wird es im Jahr 2023 keine weitere Erhöhung geben, außer im Pflegebereich, dort wird der Mindestlohn im Jahr 2023 stufenweise erhöht. Die Anhebung richtet sich welche Ausbildung die jeweilige Pflegekraft absolviert hat. Die erste Stufe soll zum Mai 2023 und die zweite Stufe soll zum Dezember 2023 erfolgen.
2.11 Änderungen im Nachweisgesetz
Das Nachweisgesetz (NachwG) wurde zum 1. August 2022 in einer neuen Fassung eingeführt. Das Ziel der Gesetzesänderung besteht darin, transparente und verlässliche Arbeitsbedingungen für Arbeitnehmer durch umfassende Informations- und Dokumentationspflichten seitens der Arbeitgeber zu schaffen. Sowohl neue als auch bestehende Arbeitsverhältnisse sind von den Neuerungen betroffen.
Eine der wesentlichen Änderungen betrifft den Umfang der Vertragsbedingungen, die dem Arbeitnehmer bekanntgegeben werden müssen. Zudem wurden die Fristen für die Nachweispflicht angepasst. Das Gesetz sieht außerdem empfindliche Sanktionen durch Aufsichtsbehörden vor, falls der Arbeitgeber seinen gesetzlichen Verpflichtungen nicht nachkommt.
Die wichtigsten Änderungen im Überblick:
- Der Nachweis umfasst nun die wesentlichen Vertragsbedingungen für Arbeitsverhältnisse, die ab dem 1. August 2022 schriftlich niedergelegt werden müssen. Dazu gehören unter anderem der Name und die Anschrift der Vertragsparteien, der Beginn des Arbeitsverhältnisses, die Arbeitszeit, die Tätigkeitsbeschreibung, das Arbeitsentgelt sowie weitere spezifische Angaben je nach Art des Arbeitsverhältnisses.
- Bei Auslandstätigkeiten mit einer Dauer von mehr als 4 Wochen müssen zusätzliche Angaben, wie das Land der Auslandstätigkeit, die geplante Dauer, die Entlohnungswährung und weitere Informationen, schriftlich festgehalten werden. Bei Entsendungen gemäß der Entsenderichtlinie sind auch der Mindestlohn des Entsendelandes und Informationen zu den geltenden Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen mitzuteilen.
- Der Nachweis muss vom Arbeitgeber schriftlich auf Papier erfolgen und im Original unterzeichnet werden. Elektronische oder mündliche Formen sind nicht zulässig. Es ist jedoch zu beachten, dass der Nachweis lediglich eine Zusammenfassung der bereits bestehenden arbeitsvertraglichen Bedingungen ist und keine Änderung des Arbeitsvertrags darstellt.
- Es gelten unterschiedliche Fristen für die Aushändigung des Nachweises, je nachdem, ob es sich um ein neues oder bereits bestehendes Arbeitsverhältnis handelt. Neue Arbeitnehmer müssen die wesentlichen Arbeitsbedingungen in einem schriftlichen Dokument erhalten, entweder am ersten Tag der Arbeitsleistung oder spätestens am siebten Kalendertag nach Beginn des Arbeitsverhältnisses. Bereits beschäftigte Arbeitnehmer können vom Arbeitgeber verlangen, dass sie schriftlich über die wesentlichen Arbeitsbedingungen informiert werden, und es gelten ähnliche Fristen.
- Verstöße gegen die Dokumentations- und Nachweispflichten können als Ordnungswidrigkeiten betrachtet werden und mit Bußgeldern von bis zu 2.000 € geahndet werden.
Es ist wichtig zu beachten, dass der Nachweis lediglich die Sichtweise des Arbeitgebers widerspiegelt. Falls es zu Unstimmigkeiten über die geltenden Arbeitsbedingungen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer kommt, müsste geklärt werden, was genau im Arbeitsvertrag festgehalten ist.
Insgesamt bietet das neue Nachweisgesetz Arbeitnehmern die Möglichkeit, transparentere und verlässlichere Arbeitsbedingungen zu erhalten. Es schafft Klarheit und fördert die Rechtssicherheit sowohl für Arbeitgeber als auch Arbeitnehmer.
2.12 Änderungen im Teilzeit- und Befristungsgesetz
Seit dem 1. August 2022 gelten Änderungen im Teilzeit- und Befristungsgesetz (TzBfG), die sich auf die Dauer der Probezeit in befristeten Arbeitsverhältnissen, die Arbeit auf Abruf und den Wunsch nach Verlängerung der Arbeitszeit oder Entfristung beziehen.
2.12.1 Dauer der Probezeit im befristeten Arbeitsverhältnis
Gemäß § 15 Abs. 3 TzBfG muss eine vereinbarte Probezeit in einem befristeten Arbeitsverhältnis nun im Verhältnis zur erwarteten Dauer der Befristung und zur Art der Tätigkeit stehen. Dies entspricht den Vorgaben von Art. 8 Abs. 2 Satz 1 der EU-Arbeitsbedingungenrichtlinie. Ist die Dauer der vereinbarten Probezeit unverhältnismäßig, gilt diese als nicht wirksam vereinbart, und die verkürzte Kündigungsfrist des § 622 Abs. 3 TzBfG greift nicht. Dies kann dazu führen, dass die Kündigungsmöglichkeit ganz entfällt, wenn sich diese Möglichkeit nicht aus anderen Vorschriften des befristeten Arbeitsverhältnisses ergibt.
2.12.2 Arbeit auf Abruf
Nach der Neuregelung von § 12 Abs. 3 TzBfG ist der Arbeitgeber verpflichtet, den Zeitrahmen festzulegen, in dem auf seine Aufforderung hin Arbeit stattfinden kann. Der Arbeitnehmer ist nur zur Arbeitsleistung verpflichtet, wenn der Arbeitgeber ihm die Lage seiner Arbeitszeit mindestens 4 Tage im Voraus mitteilt und die Arbeitsleistung im zuvor festgelegten Zeitrahmen zu erfolgen hat. Hat der Arbeitgeber die Festlegung des Referenzzeitraums unterlassen, besteht für den Arbeitnehmer keine Arbeitspflicht.
2.12.3 Wunsch der Verlängerung der Arbeitszeit und Entfristungswunsch
Seit dem 1.8.2022 hat der Arbeitgeber einem Teilzeit-Arbeitnehmer, der ihm den Wunsch nach Veränderung von Dauer oder Lage seiner vertraglich vereinbarten Arbeitszeit angezeigt hat, innerhalb eines Monats nach Zugang der Anzeige eine begründete Antwort in Textform mitzuteilen (§ 7 Abs. 2 Satz 1 TzBfG). Ähnlich verhält es sich mit dem Wunsch nach einem unbefristeten Arbeitsvertrag (§ 18 Abs. 2 TzBfG). In beiden Fällen sieht das Gesetz keine Rechtsfolge vor, wenn der Arbeitgeber die Pflicht zur Antwort nicht oder nicht ordnungsgemäß erfüllt. Denkbar wären jedoch Schadensersatzansprüche des Arbeitnehmers.
3. Bevorstehende Gesetzesänderungen
3.1 Die Auswirkungen des geplanten EU Artificial Intelligence Act auf das Arbeitsrecht
Künstliche Intelligenz (KI) hat sich zu einem integralen Bestandteil unserer Arbeitswelt entwickelt. Die Europäische Union (EU) hat am 21. April 2021 einen Entwurf für eine neue Regelung für KI vorgestellt, den Artificial Intelligence Act (AI Act), der weltweit wegweisend ist und erhebliche Auswirkungen auf das Arbeitsrecht haben könnte.
3.1.1 Der EU Artificial Intelligence Act: Ein Überblick
Der AI Act zielt darauf ab, den Einsatz von KI-Systemen zu regulieren, um die Sicherheit und Grundrechte der Menschen zu schützen. Er unterteilt KI-Systeme in Risikokategorien, verbietet KI-Systeme mit nicht vertretbaren Risiken und begrenzt die Nutzung von KI-Systemen mit hohen oder niedrigen Risiken durch Transparenzpflichten.
3.1.2 Auswirkungen auf die Überwachung am Arbeitsplatz
Der AI Act verbietet bestimmte Anwendungen von KI, wie die biometrische Überwachung und den Einsatz biometrischer Daten für die Emotionserkennung. Dies könnte die Überwachungspraktiken am Arbeitsplatz erheblich beeinflussen und die Privatsphäre der Arbeitnehmer stärken.
3.1.3 KI und Diskriminierung am Arbeitsplatz
Der AI Act verlangt, dass KI-Systeme nicht diskriminierend sein dürfen. Dies könnte Auswirkungen auf die Verwendung von KI in der Personalbeschaffung und ‑bewertung haben. Es gibt Hinweise darauf, dass KI-Systeme ungerechte, sexistische oder rassistische Annahmen und Entscheidungen treffen können. Arbeitgeber müssen sicherstellen, dass ihre KI-Systeme fair und unvoreingenommen sind.
3.1.4 Transparenz und Kontrolle für Arbeitnehmer
Die neuen Transparenzpflichten könnten dazu führen, dass Arbeitnehmer ein besseres Verständnis und mehr Kontrolle über die Verwendung von KI-Systemen am Arbeitsplatz haben. Arbeitgeber müssen transparent sein über die Verwendung von KI und den Arbeitnehmern ermöglichen, ihre Rechte in Bezug auf KI-Systeme auszuüben.
3.1.5 Sicherheit am Arbeitsplatz und KI
Der AI Act verbietet KI-Systeme, die die Sicherheit von Menschen bedrohen. Dies könnte Auswirkungen auf die Verwendung von KI in sicherheitskritischen Arbeitsumgebungen haben. Arbeitgeber müssen sicherstellen, dass ihre KI-Systeme die Sicherheit am Arbeitsplatz nicht gefährden.
3.1.6 Die Auswirkungen auf das Arbeitsrecht
Der AI Act könnte erhebliche Auswirkungen auf das Arbeitsrecht haben. Es könnten Änderungen in den Arbeitsgesetzen erforderlich sein, um die Regelung umzusetzen, und sowohl Arbeitnehmer als auch Arbeitgeber müssen sich auf neue Rechte und Pflichten einstellen.
3.1.7 Besondere Regelungen für KI-Systeme wie GPT und Open Source
Der AI Act enthält spezielle Bestimmungen für generative Grundlagenmodelle wie GPT. Diese Modelle müssen zusätzliche Transparenzanforderungen erfüllen, wie das Offenlegen, dass die Inhalte durch KI generiert wurden, und das Design des Modells so, dass es keine illegalen Inhalte generiert. Darüber hinaus gibt es Ausnahmen für Forschungstätigkeiten und KI-Komponenten, die unter Open-Source-Lizenzen zur Verfügung gestellt werden. Dies könnte die Abhängigkeit europäischer Unternehmen von US-Anbietern verringern und die Innovation in Europa fördern.
3.1.8 Nächste Schritte und Fazit
Die Abstimmung über den AI Act im Europäischen Parlament ist für den 14. Juni 2023 geplant. Danach können die Verhandlungen mit dem Rat, also den Regierungen der EU-Mitgliedsstaaten, beginnen. Der AI Act ist ein wichtiger Schritt in Richtung einer gerechteren und sichereren Arbeitswelt. Er stellt hohe Anforderungen an Arbeitgeber und KI-Anbieter und stärkt die Rechte und Sicherheit der Arbeitnehmer. Während wir uns auf eine zunehmend von KI geprägte Arbeitswelt zubewegen, ist es entscheidend, dass wir die Rechte und Sicherheit der Arbeitnehmer schützen und eine faire und gerechte Arbeitsumgebung gewährleisten.
4. Aktuelle Rechtsprechung
Anforderungen an die Substantiierung im Kündigungsrecht (BAG, Beschluss vom 21.03.2024, 2 AZN 785/23)
Zusammenfassung des Sachverhalts:
Die Parteien streiten im Rahmen einer Kündigungsschutzklage, in der die Beklagte eine außerordentliche fristlose sowie eine außerordentliche Kündigung mit Auslauffrist wegen eines angeblichen Eigentumsdelikts gegen den Kläger aussprach. Die Beklagte berief sich auf Zeugenaussagen, insbesondere von Herrn C, als Beweis für die Tatbeteiligung des Klägers. Das Landesarbeitsgericht wies die Berufung der Beklagten zurück, da es die Beweisanträge der Beklagten als nicht ausreichend substantiiert ansah und die Beklagte nicht darlegen konnte, wie der Zeuge die Identität des Klägers festgestellt habe.
Zusammenfassung der Urteilsbegründung:
Das Bundesarbeitsgericht hob das Urteil des Landesarbeitsgerichts auf und verwies den Fall zurück zur erneuten Verhandlung. Das Gericht stellte fest, dass das Landesarbeitsgericht die Substantiierungsanforderungen für das Vorbringen der Beklagten überspannt hatte. Insbesondere wurde kritisiert, dass von der Beklagten nicht verlangt werden kann, bereits im Vorfeld der Zeugenvernehmung detaillierte Beweise für die Richtigkeit der Aussagen des Zeugen zu liefern. Diese Entscheidung bedeutet, dass das Landesarbeitsgericht die Zeugenaussagen hätte berücksichtigen müssen, ohne von der Beklagten eine Erklärung zu verlangen, wie der Zeuge zu seinen Kenntnissen kam. Dieser Ansatz hätte möglicherweise zu einem anderen Urteil führen können, insbesondere wenn der Zeuge den Kläger als beteiligte Person identifizieren konnte. Das BAG betont damit die Bedeutung des rechtlichen Gehörs und die korrekte Anwendung der prozessualen Regeln zur Beweisaufnahme.
https://www.bundesarbeitsgericht.de/entscheidung/2‑azn-785–23/
Diskriminierung eines schwerbehinderten Bewerbers im kirchlichen Kontext (BAG, Urteil vom 25.01.2024, 8 AZR 318/22)
Zusammenfassung des Sachverhaltes:
Der Kläger, ein schwerbehinderter Bewerber, forderte eine Entschädigung wegen Diskriminierung nach § 15 Abs. 2 AGG, nachdem er von einem kirchlichen Arbeitgeber nicht zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen wurde. Der Beklagte, ein Kirchenkreis der Evangelischen Kirche, argumentierte, nicht als öffentlicher Arbeitgeber nach § 165 SGB IX verpflichtet zu sein, schwerbehinderte Bewerber zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen.
Zusammenfassung der Urteilsbegründung:
Das Bundesarbeitsgericht wies die Revision des Klägers ab, bestätigend, dass kirchliche Körperschaften des öffentlichen Rechts nicht als öffentliche Arbeitgeber im Sinne des § 165 SGB IX gelten. Somit war der Beklagte nicht verpflichtet, den Kläger zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen. Das Gericht stellte klar, dass das kirchliche Selbstbestimmungsrecht und die verfassungsrechtliche Verankerung der Kirchen eine solche Verpflichtung ausschließen. Es wurde betont, dass die kirchlichen Körperschaften keine staatlichen Aufgaben wahrnehmen und daher nicht den gleichen Regelungen wie öffentliche Arbeitgeber unterliegen.
https://www.bundesarbeitsgericht.de/entscheidung/8‑azr-318–22
Streit über Urlaubsgeldanspruch nach Ablösung durch Betriebsvereinbarung (BAG, Urteil vom 24.01.2024, 10 AZR 33/23)
Zusammenfassung des Sachverhaltes:
Der Kläger fordert ein Urlaubsgeld für das Jahr 2021 von der Beklagten, einer Mitgliedsfirma des Kommunalen Arbeitgeberverbands. Ursprünglich basierte der Anspruch auf einer Gesamtzusage von 1992, die später durch eine Betriebsvereinbarung (BV) ersetzt wurde. Nach Kündigung dieser BV behauptet der Kläger, der Anspruch auf das Urlaubsgeld lebe wieder auf oder ergebe sich aus betrieblicher Übung.
Zusammenfassung der Urteilsbegründung:
Das Bundesarbeitsgericht wies die Revision des Klägers zurück. Es fand, dass die ursprüngliche Gesamtzusage durch die Betriebsvereinbarung von 1999 wirksam ersetzt wurde und dass mit der Kündigung dieser Vereinbarung zum 30. Juni 2021 keine Rechte aus der ursprünglichen Zusage wieder aufleben. Weiterhin argumentiert das Gericht, dass der Anspruch auf Urlaubsgeld durch die BV geregelt wurde und nach deren Kündigung erloschen ist, ohne dass eine Umdeutung in eine Gesamtzusage gerechtfertigt sei.
https://www.bundesarbeitsgericht.de/entscheidung/10-azr-33–23
Tarifliche Nachtarbeitszuschläge und der Gleichheitssatz (BAG, Urteil vom 21.02.2024, 10 AZR 177/21)
Zusammenfassung des Sachverhalts
Der Kläger war in einem Unternehmen der Getränkeindustrie beschäftigt und leistete Nachtarbeit im Rahmen von Wechselschichten. Nach dem Manteltarifvertrag erhielt er für Nachtarbeit zwischen 22:00 Uhr und 06:00 Uhr einen Zuschlag von 25%. Der Kläger verlangte jedoch einen höheren Zuschlag von 50%, den andere Nachtarbeitnehmer erhielten, und argumentierte, dass die niedrigere Vergütung für vergleichbare Nachtarbeit ohne sachlichen Grund und damit gegen den allgemeinen Gleichheitssatz verstieß.
Zusammenfassung der Urteilsbegründung
Das Bundesarbeitsgericht gab dem Kläger recht, indem es das Urteil der Vorinstanz aufhob und die Differenz zwischen den geleisteten und den tariflich höheren Zuschlägen zusprach. Das Gericht erklärte, dass die Unterscheidung zwischen den Zuschlägen für reguläre Nachtarbeit und die für Wechselschichtarbeit ohne sachlichen Grund erfolgte. Diese Ungleichbehandlung verstieß gegen Art. 3 Abs. 1 GG. Das Gericht führte aus, dass beide Formen der Nachtarbeit vergleichbare Belastungen für die Arbeitnehmer darstellten und deshalb gleich behandelt werden sollten. Dadurch wurde der Kläger berechtigt, denselben höheren Nachtarbeitszuschlag wie andere Nachtarbeitnehmer zu erhalten, um die gleichheitswidrige Behandlung auszugleichen.
Dieses Urteil verdeutlicht die Anforderung an Tarifverträge, eine gleichmäßige und gerechte Behandlung aller Arbeitnehmer zu gewährleisten, insbesondere in Bezug auf Lohnzuschläge für Nachtarbeit.
https://www.bundesarbeitsgericht.de/entscheidung/10-azr-177–21
Prüfung der Kündigung wegen Kirchenaustritts vor dem Hintergrund der Religionsfreiheit (BAG, Urteil vom 1.02.2024, 2 AZR 196/22 (A))
Zusammenfassung des Sachverhaltes:
Die Klägerin, eine langjährige Mitarbeiterin eines katholischen Beratungsvereins, trat aus der katholischen Kirche aus. Ihre Tätigkeit umfasste die Beratung schwangerer Frauen gemäß kirchlichen Richtlinien, die einen kirchlichen Austritt als schwerwiegenden Loyalitätsverstoß werten. Der Beklagte, ihr Arbeitgeber, kündigte daraufhin das Arbeitsverhältnis sowohl fristlos als auch fristgerecht zum Jahresende, nachdem Bemühungen, die Klägerin zum Wiedereintritt zu bewegen, scheiterten. Die vorherigen Instanzen gaben der Kündigungsschutzklage der Klägerin statt.
Zusammenfassung der Urteilsbegründung:
Das Bundesarbeitsgericht setzte das Revisionsverfahren aus und richtete ein Vorabentscheidungsersuchen an den Gerichtshof der Europäischen Union. Es stellte Fragen zur Vereinbarkeit der Kündigung aufgrund eines Kirchenaustritts mit der Richtlinie 2000/78/EG und der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, insbesondere im Hinblick auf die Religionsfreiheit und Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf.
Es bestehen Bedenken, ob eine solche Kündigung eine direkte Diskriminierung wegen Religion darstellt und ob sie durch das kirchliche Selbstverständnis gerechtfertigt sein kann. Dabei wird erörtert, ob die spezifischen Anforderungen an die Loyalität, die eine religiöse Organisation an ihre Mitarbeiter stellt, insbesondere die Nicht-Beendigung der Mitgliedschaft während des Beschäftigungsverhältnisses, nach EU-Recht haltbar sind. Das Gericht betont die Notwendigkeit einer sorgfältigen Prüfung, ob der Austritt allein ein ausreichender Grund für eine Kündigung sein kann, ohne dass weitere Umstände hinzutreten.
Das BAG hebt hervor, dass die kirchlichen Anforderungen an die Loyalität ihrer Angestellten zwar grundsätzlich anerkannt sind, jedoch auch nicht das Diskriminierungsverbot verletzen dürfen. Die europarechtliche Überprüfung soll klären, ob die kirchliche Forderung nach Loyalität in Form des Nicht-Austritts aus der Kirche eine notwendige, legitime und angemessene berufliche Anforderung darstellt.
https://www.bundesarbeitsgericht.de/entscheidung/2‑azr-196–22‑a
Einstweiliger Rechtsschutz — Verbot des Einsatzes von ChatGPT und anderen KI-Systemen (ArbG Hamburg, Beschluss vom 16.01.2024, 24 BVGa 1/24)
Zusammenfassung des Sachverhaltes:
Der Konzernbetriebsrat eines Unternehmens der Medizintechnik in Hamburg hat im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes beantragt, den Mitarbeitern der Beteiligten zu 2 (dem Unternehmen) den Einsatz von ChatGPT und anderen KI-Systemen zu verbieten. Nach einer kurzzeitigen Sperrung hatte das Unternehmen den Zugang zu ChatGPT wieder freigegeben und Richtlinien für die Nutzung von generativer KI veröffentlicht. Der Betriebsrat sieht in der Freigabe und den damit verbundenen Nutzungsrichtlinien eine Verletzung seiner Mitbestimmungsrechte nach § 87 Abs. 1 BetrVG, insbesondere weil keine Betriebsvereinbarung zur Nutzung der KI vorliegt und auch keine Zustimmung durch den Betriebsrat erteilt wurde. Darüber hinaus wurde eine potenzielle Überwachung der Arbeitnehmer durch die Nutzung der KI-Tools befürchtet, sowie psychische Belastungen durch die Einführung der neuen Technologie.
Zusammenfassung der Urteilsbegründung:
Das Arbeitsgericht Hamburg hat alle Anträge des Betriebsrats zurückgewiesen. Das Gericht befand, dass die Anträge teils unzulässig, teils unbegründet seien. Insbesondere sei kein Verfügungsanspruch erkennbar, da die Voraussetzungen für einen Eingriff in die Mitbestimmungsrechte nach § 87 Abs. 1 BetrVG nicht vorlägen. Es wurde festgestellt, dass die Richtlinien und die Nutzung der KI-Tools eher das Arbeitsverhalten als das Ordnungsverhalten betreffen und somit keine Mitbestimmung des Betriebsrats erforderlich ist. Auch wurde argumentiert, dass der Einsatz von ChatGPT keine Überwachung darstelle, die ein Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG auslösen würde, da das Unternehmen keinen Zugriff auf die Daten hat und die Nutzung auf privaten Accounts der Mitarbeiter basiert. Zudem konnte keine konkrete Gefährdung der Mitarbeiter durch die Nutzung der KI nachgewiesen werden, was ein Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG ausschließt. Die Beratungsrechte nach § 90 BetrVG wurden als erfüllt angesehen, und somit bestand auch hier kein Verfügungsanspruch.
Kündigung wegen Täuschung über vorläufige Impfunfähigkeit (BAG, Urteil vom 14.12.2023, 2 AZR 55/23)
Zusammenfassung des Sachverhaltes:
Die Klägerin, seit 1988 als Pflegehelferin in einem Krankenhaus der Beklagten beschäftigt, legte zur Umgehung der einrichtungsbezogenen Impfpflicht gegen SARS-CoV‑2 eine gefälschte Bescheinigung über ihre vorläufige Impfunfähigkeit vor. Diese Bescheinigung hatte sie im Internet erworben, ohne eine tatsächliche ärztliche Konsultation. Die Beklagte kündigte daraufhin das Arbeitsverhältnis außerordentlich fristlos sowie hilfsweise mit sozialer Auslauffrist.
Zusammenfassung der Urteilsbegründung:
Das Bundesarbeitsgericht bestätigte die Wirksamkeit der außerordentlichen fristlosen Kündigung. Es sah in der Handlung der Klägerin eine erhebliche Verletzung der arbeitsvertraglichen Nebenpflichten, die geeignet ist, einen wichtigen Grund für eine fristlose Kündigung darzustellen. Die Klägerin täuschte wahrheitswidrig über die medizinische Notwendigkeit einer Überprüfung ihrer Impffähigkeit und erweckte den Eindruck einer ärztlichen Untersuchung. Das Gericht wertete dies als schweren Vertrauensbruch, da die Täuschung nicht nur darauf abzielte, die Impfpflicht zu umgehen, sondern auch das Risiko für die Gesundheit vulnerabler Patienten erhöhte.
Die Entscheidung beruhte auf der Erwägung, dass die Schwere der Pflichtverletzung eine vorherige Abmahnung überflüssig machte und eine Weiterbeschäftigung der Klägerin bis zum Ablauf der Kündigungsfrist unzumutbar war. Das Gericht sah in der Täuschung eine bewusste und schwerwiegende Handlung, die das Vertrauen der Beklagten irreparabel beschädigte.
https://www.bundesarbeitsgericht.de/entscheidung/2‑azr-55–23
Anpassung der Vergütung bei Aufstockung von Teilzeit auf Vollzeit (BAG, Urteil vom 13.12.2023, 5 AZR 168/23)
Zusammenfassung des Sachverhaltes:
Die Klägerin, ursprünglich in Teilzeit beschäftigt, strebte eine Erhöhung ihrer Arbeitszeit auf eine Vollzeitbeschäftigung an. Im Zuge dessen forderte sie eine Verdopplung einer zuvor vereinbarten Zulage von 250,00 Euro auf 500,00 Euro brutto monatlich. Die Beklagte lehnte diese Erhöhung ab, woraufhin die Klägerin rechtliche Schritte einleitete. Nach der Aufstockung ihrer Arbeitszeit durch eine außergerichtliche Einigung zwischen den Parteien, zahlte die Beklagte die Klägerin nach wie vor nur die ursprüngliche Zulage von 250,00 Euro.
Zusammenfassung der Urteilsbegründung:
Das Bundesarbeitsgericht wies die Revision der Beklagten ab und bestätigte die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts, welche der Forderung der Klägerin nach einer erhöhten Zulage stattgab. Das Gericht argumentierte, dass die Zulage ein wesentlicher Bestandteil der Vergütung für die erbrachte Arbeitsleistung darstellt und daher bei einer Erhöhung der Arbeitszeit entsprechend anzupassen ist. Es führte weiterhin aus, dass eine derartige Anpassung den üblichen Gepflogenheiten im Arbeitsleben entspricht, bei denen die Vergütung in Relation zum Umfang der Arbeitszeit gestaltet wird. Somit sei die Klägerin berechtigt, eine verdoppelte Zulage zu erhalten, da sie nun eine vollumfängliche Arbeitsleistung erbringt.
https://www.bundesarbeitsgericht.de/entscheidung/5‑azr-168–23
Vorlage von Bewerbungsunterlagen — digitales Leserecht (BAG, Beschluss vom 13.12.2023, 1 ABR 28/22)
Zusammenfassung des Sachverhalts
In diesem Fall stritten die Parteien über die korrekte Art der Vorlage von Bewerbungsunterlagen für den Betriebsrat im Rahmen eines Einstellungsverfahrens. Die Arbeitgeberin, ein Unternehmen der Getränkeindustrie, führte den Bewerbungsprozess digital durch und stellte dem Betriebsrat die Bewerbungsunterlagen über ein Softwareprogramm zur Verfügung. Der Betriebsrat forderte hingegen die Unterlagen in Papierform und verweigerte seine Zustimmung zur Einstellung eines Kandidaten, da er der Meinung war, nicht ordnungsgemäß unterrichtet worden zu sein.
Zusammenfassung der Urteilsbegründung
Das Bundesarbeitsgericht entschied, dass die digitale Bereitstellung der Bewerbungsunterlagen ausreichend ist, um den Anforderungen des § 99 Abs. 1 BetrVG nachzukommen. Es betonte, dass die digitale Vorlage der Unterlagen den Betriebsratsmitgliedern erlaubt, die erforderlichen Informationen zur Prüfung und Beratung über die Bewerber zu erhalten. Die Mitglieder des Betriebsrats hatten Zugang zu allen relevanten Bewerberinformationen durch bereitgestellte Laptops und konnten im System hinterlegte Dokumente wie Lebensläufe und Zeugnisse einsehen. Dies genügte den Anforderungen, die eine ordnungsgemäße Unterrichtung im Sinne des Betriebsverfassungsgesetzes erfüllen müssen. Die Argumentation des Gerichts stützte sich dabei auf die Funktionalität und Praktikabilität digitaler Technologien im modernen Arbeitsumfeld.
https://www.bundesarbeitsgericht.de/entscheidung/1‑abr-28–22
Entgeltfortzahlung bei Kündigung während krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit (BAG, Urteil vom 13.12.2023, 5 AZR 137/23)
Zusammenfassung des Sachverhaltes:
Der Kläger, beschäftigt als Helfer mit einem Stundenlohn von 10,88 Euro und einer wöchentlichen Arbeitszeit von 35 Stunden bei einer Firma für Arbeitnehmerüberlassung, erhielt nach Vorlage einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung am 2. Mai 2022, die seine Arbeitsunfähigkeit vom 2. bis zum 6. Mai bestätigte, am 3. Mai eine Kündigung zum 31. Mai 2022. Der Kläger präsentierte weitere Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen für den gesamten Kündigungszeitraum bis Ende Mai. Nach seiner Genesung nahm er am 1. Juni eine neue Beschäftigung auf.
Zusammenfassung der Urteilsbegründung:
Das BAG entschied teilweise zugunsten des Klägers, dass für den Zeitraum vom 1. bis zum 6. Mai 2022 Entgeltfortzahlung zu leisten sei, jedoch mit geändertem Zinsbeginn ab dem 23. Juni 2022. Für den Zeitraum vom 7. bis zum 31. Mai 2022 wurde das Urteil des Landesarbeitsgerichts aufgehoben und zur erneuten Verhandlung zurückverwiesen, da der Beweiswert der vorgelegten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen durch die Beklagte erfolgreich angezweifelt wurde. Insbesondere wurden die Umstände und die zeitliche Nähe von Kündigung und Krankheitsmeldungen des Klägers als Grund für berechtigte Zweifel an der Authentizität der Arbeitsunfähigkeit angesehen.
https://www.bundesarbeitsgericht.de/entscheidung/5‑azr-137–23
Berechtigung der Gesamtschwerbehindertenvertretung zur Teilnahme an Betriebsversammlungen (BAG, Beschluss vom 12.12.2023, 7 ABR 23/22)
Zusammenfassung des Sachverhalts:
Die beteiligte Gesamtschwerbehindertenvertretung begehrt das Recht zur Teilnahme an den Betriebsversammlungen, die vom zu beteiligten Betriebsrat einberufen werden. In der betroffenen Filiale des Unternehmens gibt es keine gewählte Schwerbehindertenvertretung, obwohl dort schwerbehinderte Arbeitnehmer beschäftigt sind. Die Gesamtschwerbehindertenvertretung argumentiert, dass sie in Ermangelung einer lokalen Vertretung das Recht zur Teilnahme an diesen Versammlungen habe, um die Interessen der schwerbehinderten Arbeitnehmer zu vertreten.
Zusammenfassung der Urteilsbegründung:
Das Bundesarbeitsgericht bestätigte die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts, die der Gesamtschwerbehindertenvertretung das Recht zur Teilnahme an den Betriebsversammlungen zuspricht. Die gesetzlichen Bestimmungen zur Schwerbehindertenvertretung erlauben der Gesamtschwerbehindertenvertretung, in Betrieben ohne lokale Schwerbehindertenvertretung die Interessen der schwerbehinderten Arbeitnehmer zu vertreten. Dies schließt auch das Recht zur Teilnahme an Betriebsversammlungen ein, um dort für die Rechte schwerbehinderter Arbeitnehmer einzutreten. Das Gericht betonte, dass die Nichtöffentlichkeit der Betriebsversammlung diesem Teilnahmerecht nicht entgegensteht, da das Teilnahmerecht explizit dazu dient, die Interessen der schwerbehinderten Arbeitnehmer in Abwesenheit einer lokalen Vertretung zu schützen.
https://www.bundesarbeitsgericht.de/entscheidung/7‑abr-23–22
Urlaubsberechnung bei Krankheit während Kurzarbeit “null” (BAG, Urteil vom 05.12.2023, 9 AZR 364/22)
Zusammenfassung des Sachverhalts:
In diesem Fall geht es um die Frage, wie der Urlaubsanspruch eines Arbeitnehmers zu berechnen ist, der während eines Zeitraums erkrankt, für den im Unternehmen wirksam Kurzarbeit “null” eingeführt wurde. Der Kläger, ein ehemaliger Mitarbeiter der Betriebsschlosserei, verlangte Urlaubsabgeltung für das Jahr 2020 und argumentierte, dass seine krankheitsbedingten Ausfallzeiten wie normale Arbeitszeiten zu behandeln seien.
Zusammenfassung der Urteilsbegründung:
Das Bundesarbeitsgericht bestätigte die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts und wies die Revision des Klägers zurück. Das Gericht erklärte, dass die Zeiten, in denen aufgrund der eingeführten Kurzarbeit “null” keine Arbeitspflicht bestand, auch nicht als Zeiten mit Arbeitspflicht bei der Berechnung des Urlaubsanspruchs angesehen werden. Dies gilt auch dann, wenn der Arbeitnehmer während dieser Zeiten krank war. Die krankheitsbedingten Ausfallzeiten fallen somit nicht in die Berechnung des Urlaubsanspruchs ein, da sie während der Kurzarbeit “null” erfolgten.
Das Gericht stützte sich dabei auf die Regelungen des Bundesurlaubsgesetzes (BUrlG) und die entsprechende Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs. Der EuGH hat festgestellt, dass der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub grundsätzlich anhand der tatsächlich geleisteten Arbeitszeiträume zu berechnen ist, und der Urlaubszweck auf der Prämisse beruht, dass der Arbeitnehmer im Laufe des Bezugszeitraums tatsächlich gearbeitet hat. Deshalb sollten Zeiten der Kurzarbeit “null”, in denen keine Arbeit geleistet wird, nicht zur Berechnung des Urlaubsanspruchs beitragen.
https://www.bundesarbeitsgericht.de/entscheidung/9‑azr-364–22
Anrechnung von Urlaub in Doppelarbeitsverhältnissen (BAG, Urteil vom 5.12.2023, 9 AZR 230/22)
Zusammenfassung des Sachverhaltes:
Die Klägerin, eine Fleischereifachverkäuferin, beanspruchte die Abgeltung von Urlaubstagen aus den Jahren 2020 und 2021. Nach einer fristlosen, aber rechtswidrigen Kündigung durch den Beklagten und dem erfolgreichen Abschluss einer Kündigungsschutzklage, hatte die Klägerin ein weiteres Arbeitsverhältnis begonnen. Sie erhielt in diesem neuen Arbeitsverhältnis Urlaub, während sie gleichzeitig Ansprüche gegen den früheren Arbeitgeber geltend machte. Die zentrale Frage war, ob und wie der Urlaub des neuen Arbeitgebers auf die Urlaubsansprüche gegenüber dem alten Arbeitgeber anzurechnen sei.
Zusammenfassung der Urteilsbegründung:
Das Bundesarbeitsgericht entschied, dass Urlaubsansprüche, die in einem bestehenden Arbeitsverhältnis während der Dauer eines anderen, zeitgleich geführten Arbeitsverhältnisses entstehen, grundsätzlich anzurechenbar sind. Dabei wird eine kalenderjahresbezogene Anrechnung vorgenommen, um Doppelansprüche zu vermeiden. Das Gericht wies darauf hin, dass Urlaubsansprüche in Doppelarbeitsverhältnissen nach deutschem Recht in beiden Arbeitsverhältnissen entstehen können, auch wenn die Pflichten aus beiden Verhältnissen nicht gleichzeitig erfüllt werden können. Entscheidend war, dass der Urlaub des neuen Arbeitgebers auf die Urlaubsansprüche des alten Arbeitgebers anzurechnen ist, wobei die Anrechnung auf das jeweilige Kalenderjahr beschränkt bleibt. Dadurch soll der gesetzlich vorgesehene Erholungszweck jedes Jahres gewährleistet werden.
https://www.bundesarbeitsgericht.de/entscheidung/9‑azr-230–22
Pflicht zur Einladung schwerbehinderter Bewerber zu Ersatzterminen (BAG, Urteil vom 23.11.2023, 8 AZR 164/22)
Zusammenfassung des Sachverhaltes:
Die Klägerin, eine schwerbehinderte Person, die sich als Hermaphrodit identifiziert, bewarb sich auf eine Stelle bei der Beklagten, einer öffentlichen Behörde. Sie wurde zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen, konnte den Termin jedoch aufgrund eines anderen Termins nicht wahrnehmen und bat um einen Ersatztermin. Die Beklagte lehnte dies ab, da keine zeitnahe Möglichkeit bestand, die Auswahlkommission erneut zusammenzubringen. Die Klägerin erhob daraufhin Klage auf Zahlung einer Entschädigung wegen Diskriminierung aufgrund ihres Geschlechts und ihrer Behinderung.
Zusammenfassung der Urteilsbegründung:
Das Bundesarbeitsgericht wies die Revision der Klägerin zurück. Es fand keine Verletzung des AGG hinsichtlich der geschlechtlichen Identität statt, da der Gebrauch des Gendersterns in der Stellenausschreibung als inklusiv angesehen wurde und sich an alle Geschlechter richtete. Auch eine Diskriminierung aufgrund der Schwerbehinderung lag nicht vor. Obwohl die Beklagte nach § 165 Satz 3 SGB IX verpflichtet war, die Klägerin zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen, was auch geschah, bestand keine Pflicht, einen Ersatztermin anzubieten, da die organisatorischen Umstände der Beklagten und der nicht ausreichend dargelegte Grund für die Terminabsage der Klägerin gegen die Zumutbarkeit eines Ersatztermins sprachen. Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts wurde bestätigt, da es keinen Rechtsfehler darin gab, dass die Beklagte keine Benachteiligung aufgrund der Schwerbehinderung begangen hatte, indem sie keinen Ersatztermin anbot.
https://www.bundesarbeitsgericht.de/entscheidung/8‑azr-164–22
Diskriminierung wegen Behinderung bei Bewerbungsverfahren (BAG, Urteil vom 23.11.2023, 8 AZR 212/22)
Zusammenfassung des Sachverhaltes:
Der Kläger, ein Student mit einem Grad der Behinderung (GdB) von 40, bewarb sich bei der Beklagten um ein Förderprogramm, das neben einer finanziellen Unterstützung auch praktische Erfahrungen in Form von Praktika bietet. Während des Bewerbungsprozesses informierte der Kläger die Beklagte über seine Behinderung und seinen gestellten Antrag auf Gleichstellung mit einem schwerbehinderten Menschen. Kurz darauf erhielt der Kläger eine Absage für das Programm. Nachdem sein Antrag auf Gleichstellung rückwirkend genehmigt wurde, klagte er gegen die Beklagte auf Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG wegen Benachteiligung aufgrund seiner Behinderung.
Zusammenfassung der Urteilsbegründung:
Das Bundesarbeitsgericht wies die Revision des Klägers zurück, da keine hinreichenden Indizien für eine Diskriminierung wegen der Behinderung vorlagen. Zwar fällt der Kläger unter den persönlichen Anwendungsbereich des AGG als Bewerber für ein Beschäftigungsverhältnis, jedoch konnte nicht nachgewiesen werden, dass die Absage im Zusammenhang mit seiner Behinderung stand. Zudem waren die spezifischen Verfahrenspflichten des SGB IX, die bei der Bewerbung schwerbehinderter Personen greifen, nicht anwendbar, da zum Zeitpunkt der Entscheidung über die Bewerbung noch keine Gleichstellung vorlag. Das Landesarbeitsgericht entschied korrekt, dass der Kläger keine Benachteiligung aufgrund seiner Behinderung erlitten hat. Die Entscheidung für die Absage war rechtlich unabhängig von der später erfolgten Gleichstellung, und es gab keine Verletzung der Verfahrenspflichten, da diese nur bei bereits anerkannter Schwerbehinderung oder erfolgter Gleichstellung während des Bewerbungsprozesses Anwendung finden.
https://www.bundesarbeitsgericht.de/entscheidung/8‑azr-212–22
Regelung der wöchentlichen Arbeitszeit bei Arbeit auf Abruf ohne vertragliche Festlegung (BAG, Urteil vom 18.10.2023, 5 AZR 22/23)
Zusammenfassung des Sachverhaltes:
Die Klägerin ist seit dem 22. Juli 2009 als Mitarbeiterin auf Abruf bei der Beklagten beschäftigt. Ursprünglich war keine konkrete wöchentliche Arbeitszeit vertraglich festgelegt worden. Die Klägerin war in den Jahren 2017 bis 2019 durchschnittlich 103,2 Stunden monatlich tätig. Seit Januar 2020, nach Wegfall der Samstagsarbeit, wurde sie weniger zur Arbeit herangezogen. Die Klägerin erhob Klage auf Vergütung wegen Annahmeverzugs und verlangte die Feststellung einer regelmäßigen monatlichen Arbeitszeit von 103,2 Stunden ab 2020. Die Vorinstanzen, das Arbeitsgericht und das Landesarbeitsgericht Hamm, wiesen die Klage größtenteils ab.
Zusammenfassung der Urteilsbegründung:
Das Bundesarbeitsgericht bestätigte die Entscheidung der Vorinstanzen und wies die Revision der Klägerin zurück. Es wurde festgestellt, dass im Falle der Arbeit auf Abruf ohne vertraglich festgelegte Arbeitszeit nach § 12 Abs. 1 Satz 3 TzBfG eine Arbeitszeit von 20 Stunden wöchentlich als vereinbart gilt. Eine ergänzende Vertragsauslegung, um eine andere Arbeitszeitdauer festzulegen, sei nur möglich, wenn objektive Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass Arbeitgeber und Arbeitnehmer bei Vertragsschluss eine andere Regelung gewollt hätten. Das Gericht fand keine Anhaltspunkte für eine abweichende Vereinbarung und erklärte, dass das Abrufverhalten der Beklagten in den Jahren 2017 bis 2019 nicht ausreiche, um einen anderen als den gesetzlich vorgesehenen Umfang der Arbeitszeit anzunehmen.
https://www.bundesarbeitsgericht.de/entscheidung/5‑azr-22–23
Mitbestimmung des Betriebsrats bei Handyverbot während der Arbeitszeit (BAG, Beschluss vom 17.10.2023, 1 ABR 24/22)
Zusammenfassung des Sachverhaltes:
Der Betriebsrat eines Unternehmens, das Brems- und Kraftstoffsysteme herstellt, hat gegen eine Anordnung der Arbeitgeberin geklagt, die den Arbeitnehmern die private Nutzung von Smartphones während der Arbeitszeit untersagt. Diese Anordnung wurde durch Aushänge im Betrieb kommuniziert und beinhaltete arbeitsrechtliche Konsequenzen bei Verstößen, bis hin zur fristlosen Kündigung. Der Betriebsrat argumentierte, dass das Handyverbot das Ordnungsverhalten der Arbeitnehmer im Betrieb betrifft und somit ein Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG besteht.
Zusammenfassung der Urteilsbegründung:
Das Bundesarbeitsgericht wies die Rechtsbeschwerde des Betriebsrats zurück und bestätigte damit die Entscheidungen der Vorinstanzen, die ebenfalls die Anträge des Betriebsrats abgewiesen hatten. Es stellte fest, dass die streitbefangene Anordnung der Arbeitgeberin, die private Nutzung von Mobiltelefonen und Smartphones während der Arbeitszeit zu verbieten, primär auf die Steuerung des Arbeitsverhaltens gerichtet ist und nicht auf das Ordnungsverhalten im Betrieb. Das Verbot zielt darauf ab, die Arbeitsleistung sicherzustellen, indem es Ablenkungen durch private Nutzung der Geräte verhindert. Selbst wenn durch die Maßnahme auch das Ordnungsverhalten tangiert wird, liegt der Schwerpunkt auf dem Arbeitsverhalten, was mitbestimmungsfrei ist. Der Senat urteilte, dass ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG nicht besteht und wies darauf hin, dass die rechtliche Zulässigkeit der Weisung selbst keinen Einfluss auf das Bestehen oder Nichtbestehen eines Mitbestimmungsrechts hat.
https://www.bundesarbeitsgericht.de/entscheidung/1‑abr-24–22
Nachwirkung kollektivrechtlicher Regelungen bei nicht identitätswahrendem Betriebsübergang (BAG, Urteil vom 19.09.2023, 1 AZR 281/22)
Zusammenfassung des Sachverhaltes:
Der Kläger war seit 1986 bei einem Rechtsvorgänger der Beklagten beschäftigt, bei dem seit 1979 eine Gesamtbetriebsvereinbarung galt, die auch Beihilfen im Krankheitsfall regelte. Diese Vereinbarung wurde durch den Betriebsübergang auf die Beklagte transformiert. Trotz eines Freiwilligkeitsvorbehalts und der Einstellung der Leistung durch die Beklagte 2020, behauptete der Kläger, aus der kontinuierlichen Praxis der Beihilfegewährung, auch über seinen Eintritt in den Ruhestand hinaus, ein Recht auf diese Leistungen erlangt zu haben.
Zusammenfassung der Urteilsbegründung:
Das BAG wies die Revision der Beklagten zurück und bestätigte die Urteile der Vorinstanzen, die dem Kläger Recht gaben. Es wurde festgestellt, dass der Kläger aufgrund der betrieblichen Übung einen Anspruch auf Beihilfen nach Maßgabe der Betriebsvereinbarung hat, der auch nach seinem Ausscheiden als Betriebsrentner fortbesteht. Zudem wurde entschieden, dass trotz des nicht identitätswahrenden Betriebsübergangs die kollektivrechtlichen Regelungen in die individuellen Arbeitsverhältnisse transformiert wurden und daher nachwirken. Die Nachwirkung der gekündigten Regelung gilt fort, bis eine neue Vereinbarung zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat getroffen wird. Die Einstellung der Leistung durch die Beklagte konnte nicht ohne eine solche neue Vereinbarung wirksam werden, weshalb der Kläger weiterhin Anspruch auf die Beihilfen hat.
https://www.bundesarbeitsgericht.de/entscheidung/1‑azr-281–22
Anspruch auf Teilzeit während der Elternzeit und Entgeltzahlung (BAG, Urteil vom 05.09.2023, 9 AZR 329/22)
Zusammenfassung des Sachverhaltes:
Der Kläger, ein Application Engineer, war seit dem 1. Oktober 2010 bei der beklagten Firma beschäftigt. Während einer Elternzeit für seine Tochter vom 3. August 2018 bis zum 2. Dezember 2019 arbeitete er in Teilzeit mit einer wöchentlichen Regelarbeitszeit von 30 Stunden. Für eine anschließende Elternzeit zur Betreuung seines Sohnes vom 3. Dezember 2019 bis zum 2. November 2021 beantragte er ebenfalls eine Teilzeitbeschäftigung, welche die Beklagte aufgrund dringender betrieblicher Gründe ablehnte. Der Kläger forderte daraufhin die Zustimmung der Beklagten zur Teilzeitarbeit und die Zahlung von Entgelt für die betreffenden Zeiträume.
Zusammenfassung der Urteilsbegründung:
Das Bundesarbeitsgericht bestätigte die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts, wonach der Kläger einen Anspruch auf Zustimmung zur Teilzeitbeschäftigung während der Elternzeit hatte. Es wurde festgestellt, dass keine dringenden betrieblichen Gründe vorlagen, die diesem Anspruch entgegenstanden. Eine analoge Anwendung des § 1 Abs. 5 KSchG, welcher eine Vermutung dringender betrieblicher Erfordernisse zulässt, wurde abgelehnt, da dies auf Kündigungen beschränkt ist und keine Anwendung auf Teilzeitanträge während der Elternzeit findet.
Das Gericht stellte weiterhin fest, dass der Kläger Anspruch auf das geforderte Entgelt hatte, da die Beklagte die Verweigerung der Zustimmung zur Teilzeit zu vertreten hatte. Ein unvermeidbarer Rechtsirrtum wurde verneint, und die Beklagte konnte sich nicht erfolgreich auf einen solchen berufen. Zudem wurde bestätigt, dass die Tariflohnerhöhung nicht auf die Zulage anzurechnen war und die tarifvertraglichen Ausschlussfristen gewahrt wurden.
Die Kosten des Rechtsstreits wurden aufgrund des Erfolgs der nachrangig geltend gemachten Ansprüche des Klägers gegeneinander aufgehoben.
https://www.bundesarbeitsgericht.de/entscheidung/9‑azr-329–22
Beleidigende Äußerungen in einer WhatsApp-Gruppe und arbeitsrechtliche Konsequenzen (BAG, Urteil vom 24.08.2023, 2 AZR 17/23)
Zusammenfassung des Sachverhaltes:
Der Kläger, seit 1999 bei der Beklagten beschäftigt und zuletzt als Gruppenleiter in der Lagerlogistik tätig, war Mitglied einer WhatsApp-Chatgruppe, die aus sieben Arbeitnehmern bestand. In dieser Gruppe wurden zwischen November 2020 und Januar 2021 beleidigende, fremdenfeindliche, sexistische und menschenverachtende Äußerungen über Vorgesetzte und Kollegen getätigt, teils mit Aufrufen zur Gewalt. Die Inhalte gelangten durch ein ausgeschiedenes Mitglied der Gruppe an die Unternehmensleitung. Daraufhin sprach die Beklagte eine außerordentliche Kündigung aus, die der Kläger gerichtlich anfechten wollte.
Zusammenfassung der Urteilsbegründung:
Das BAG hob das Urteil des Landesarbeitsgerichts teilweise auf und verwies die Sache zur erneuten Verhandlung zurück. Zentral war die Frage, ob die Äußerungen in der WhatsApp-Gruppe einen hinreichenden Kündigungsgrund darstellten. Das BAG stellte fest, dass bei beleidigenden und menschenverachtenden Äußerungen über Betriebsangehörige in einer Gruppe von sieben Mitgliedern eine besondere Begründung nötig ist, warum der Kläger eine Vertraulichkeit dieser Kommunikation annehmen durfte. Das Landesarbeitsgericht hatte die Erwartung des Klägers auf Vertraulichkeit der Kommunikation als gegeben angesehen, jedoch ohne ausreichende Begründung.
Das BAG betonte, dass das Landesarbeitsgericht relevante Aspekte nicht berücksichtigt hatte, die für die Beurteilung einer berechtigten Vertraulichkeitserwartung entscheidend sind. Unter anderem sei die Anzahl der Gruppenmitglieder und die Art des Nachrichtenaustauschs relevant, insbesondere die technische Möglichkeit des einfachen Weiterleitens von Nachrichten.
Das Gericht wies darauf hin, dass selbst wenn der Kläger eine Vertraulichkeit erwartet habe, dies nicht automatisch bedeutet, dass solch schwere Verfehlungen wie beleidigende oder gewaltfördernde Äußerungen arbeitsrechtlich irrelevant sind. Bei der erneuten Verhandlung muss das Landesarbeitsgericht prüfen, ob die Kündigung unter Berücksichtigung aller Umstände gerechtfertigt war.
https://www.bundesarbeitsgericht.de/entscheidung/2‑azr-17–23
Korrigierende Rückgruppierung und Anforderungen an die Eingruppierung (BAG, Urteil vom 16.08.2023, 4 AZR 339/22)
Zusammenfassung des Sachverhalts:
Die Klägerin, seit dem 30.09.2005 bei der Beklagten beschäftigt, wurde gemäß ihrem Arbeitsvertrag nach dem Bundes-Angestelltentarifvertrag (BAT) und entsprechenden Tarifverträgen vergütet. Vom 15.09.2017 bis zum 20.09.2022 war sie als Sachgebietsleiterin “Finanzen und Abwicklung Grundstücksverkehr” tätig. Die Beklagte vergütete sie nach Entgeltgruppe 10 Stufe 4 des TVöD/VKA. Die Klägerin forderte eine Höhergruppierung in Entgeltgruppe 11 TVöD/VKA, rückwirkend zum Zeitpunkt der Übertragung ihrer Tätigkeit, was die Beklagte ablehnte. Die Klägerin argumentierte, ihre Tätigkeit hebe sich durch besondere Schwierigkeit und Bedeutung aus der Entgeltgruppe 9c TVöD/VKA heraus.
Zusammenfassung der Urteilsbegründung:
Das Bundesarbeitsgericht wies die Revision der Klägerin zurück. Es bestätigte, dass die Klägerin durchgehend nach Entgeltgruppe 10 TVöD/VKA vergütet wurde und die Beklagte keine korrigierende Rückgruppierung vornahm. Daher trage die Klägerin die Beweislast für die Erfüllung der Anforderungen der höheren Entgeltgruppe.
Das Gericht erklärte, dass die Grundsätze der korrigierenden Rückgruppierung nur anwendbar seien, wenn aus der bisherigen Eingruppierung zwingend die Voraussetzungen der geforderten höheren Entgeltgruppe folgen. Dies sei hier nicht der Fall, da die Beklagte die Eingruppierung nicht geändert hatte und die Klägerin die Eingruppierungskriterien für Entgeltgruppe 11 TVöD/VKA selbstständig und eigenverantwortlich darlegen müsse.
Zudem sei die Klage bereits für den Zeitraum vor dem 01.09.2020 unzulässig, da die Klägerin keinen Anspruch auf Vergütung für diesen Zeitraum hatte, weil sie ihre Ansprüche nicht innerhalb der sechsmonatigen Ausschlussfrist geltend gemacht hatte. Das Gericht befand auch, dass die Klägerin ihre Tätigkeiten nicht so dargelegt hatte, dass ersichtlich wurde, wie sie sich durch besondere Bedeutung aus der Entgeltgruppe 9c herausgehoben hätte.
https://www.bundesarbeitsgericht.de/entscheidung/4‑azr-339–22
Verwertbarkeit von Daten aus offener Videoüberwachung und elektronischer Anwesenheitserfassung (BAG, Urteil vom 29.06.2023, 2 AZR 297/22)
Zusammenfassung des Sachverhaltes:
Der Kläger, ein Mitarbeiter in einer Gießerei, wurde von der Beklagten beschuldigt, am 2. Juni 2018 eine Mehrarbeitsschicht nicht geleistet zu haben, obwohl er sich dafür angemeldet und das Werksgelände betreten hatte. Er soll das Gelände vor Schichtbeginn verlassen und zudem die Anwesenheit eines Kollegen vorgetäuscht haben, indem er dessen Werksausweis am Kartenlesegerät verwendete. Die Beklagte kündigte daraufhin das Arbeitsverhältnis sowohl außerordentlich fristlos als auch ordentlich. Der Kläger wehrte sich gegen die Kündigung und behauptete, gearbeitet zu haben. Er argumentierte weiterhin, dass die Erkenntnisse aus der Videoüberwachung und der elektronischen Anwesenheitserfassung einem Verwertungsverbot unterliegen sollten.
Zusammenfassung der Urteilsbegründung:
Das Bundesarbeitsgericht hob das Urteil des Landesarbeitsgerichts teilweise auf und verwies den Fall zurück. Das Gericht stellte fest, dass Daten aus einer offenen Videoüberwachung und einer elektronischen Anwesenheitserfassung grundsätzlich im Prozess verwertbar sind, solange diese Maßnahmen den betroffenen Mitarbeitern bekannt und sichtbar waren. Es wurde entschieden, dass kein generelles Verwertungsverbot für Daten aus rechtmäßigen Überwachungsmaßnahmen besteht, insbesondere wenn sie zur Aufklärung schwerwiegender Pflichtverletzungen dienen. Das Gericht erklärte auch, dass die Überwachung selbst bei einer eventuellen Nichterfüllung von Informationspflichten (nach DSGVO) nicht automatisch zu einem Verwertungsverbot führt, solange die Überwachung offen erfolgte und die betroffene Person von der Überwachung wusste oder wissen konnte.
Des Weiteren hat das Gericht darauf hingewiesen, dass eine erneute Prüfung des Sachverhalts nötig ist, um festzustellen, ob der Kläger die Mehrarbeitsschicht tatsächlich geleistet hat. Es wurde auch klargestellt, dass Argumente bezüglich eines Verwertungsverbots aufgrund eines Missachtens von Mitbestimmungsrechten des Betriebsrats nicht greifen, da die gerichtliche Verwendung von Daten nicht in der Disposition der Betriebsparteien steht.
https://www.bundesarbeitsgericht.de/entscheidung/2‑azr-297–22
Beweiswert von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen bei Entgeltfortzahlung (BAG, Urteil vom 28.06.2023, 5 AZR 335/22)
Zusammenfassung des Sachverhaltes:
Der Kläger war als technischer Sachbearbeiter bei der Beklagten beschäftigt, die in der Personalvermittlung und ‑verleih tätig ist. Nach seiner Kündigung legte der Kläger für den Zeitraum vom 7. bis 30. September 2020 zwei Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen vor, die eine Arbeitsunfähigkeit wegen Gelenkschmerzen in der Schulterregion bestätigten. Der Kläger forderte daraufhin die Fortzahlung seines Entgelts für diese Zeit, da er aufgrund der Arbeitsunfähigkeit nicht arbeiten konnte.
Zusammenfassung der Urteilsbegründung:
Das Bundesarbeitsgericht bestätigte die Entscheidungen der Vorinstanzen, die dem Kläger Entgeltfortzahlung zusprachen. Es wurde festgestellt, dass die vom Kläger eingereichten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen einen hohen Beweiswert hatten und die Beklagte diesen nicht ausreichend erschüttern konnte. Es wurde betont, dass Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen als zentrales Beweismittel für krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit gelten. Ein „bloßes Bestreiten“ der Arbeitsunfähigkeit mit Nichtwissen durch den Arbeitgeber sei nicht ausreichend, um den Beweiswert der Bescheinigungen zu erschüttern.
Die Beklagte hatte argumentiert, dass die Bescheinigungen nicht den Vorgaben der Arbeitsunfähigkeits-Richtlinie entsprächen, da die Symptome nicht innerhalb von sieben Tagen durch eine Diagnose ersetzt wurden. Das Gericht stellte jedoch fest, dass die ICD-10-Codes, die in den Bescheinigungen angegeben waren, tatsächlich spezifische Diagnosen darstellten. Des Weiteren wurde klargestellt, dass Verstöße gegen bestimmte formale Vorgaben der Arbeitsunfähigkeits-Richtlinie, die primär das Abrechnungsrecht betreffen, nicht den Beweiswert der Bescheinigungen beeinträchtigen.
Die Revision der Beklagten wurde zurückgewiesen, und sie wurde verurteilt, die Kosten des Revisionsverfahrens zu tragen. Das Gericht hob hervor, dass die ärztliche Beurteilung der Arbeitsunfähigkeit, auch wenn sie auf subjektiven Schilderungen des Patienten basiert, grundsätzlich einen hohen Beweiswert hat.
https://www.bundesarbeitsgericht.de/entscheidung/5‑azr-335–22
Berechnung der betrieblichen Altersversorgung nach Teilzeitbeschäftigung (BAG, Urteil vom 20.06.2023, 3 AZR 221/22)
Zusammenfassung des Sachverhaltes:
Die Klägerin, geboren 1964, war von August 1984 bis September 2020 bei der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängerinnen beschäftigt. Nach einer Vollzeitbeschäftigung bis März 2005 wechselte sie zu einer Teilzeitarbeit mit 17,5 Stunden pro Woche. Im Rahmen der betrieblichen Altersversorgung nach den RL 1995 wurde ihr mitgeteilt, dass für die Berechnung der Altersversorgung der Beschäftigungsumfang der letzten zehn Jahre maßgeblich sei. Die Klägerin forderte, dass stattdessen der Beschäftigungsumfang während der gesamten Dienstzeit berücksichtigt wird, um die Altersrente zu berechnen.
Zusammenfassung der Urteilsbegründung:
Das Bundesarbeitsgericht wies die Revision der Klägerin ab. Es bestätigte die Berechnung der betrieblichen Altersversorgung, die auf den letzten zehn Jahren der Beschäftigung basiert, wie in den Richtlinien für die Gewährung von Versorgungsleistungen festgelegt. Das Gericht erklärte, dass die Regelung, die die letzte Arbeitszeit berücksichtigt, keinen Verstoß gegen das Teilzeit- und Befristungsgesetz (TzBfG) darstellt. Auch liegt keine Diskriminierung vor, da die Regelungen zur betrieblichen Altersversorgung, die auf den letzten zehn Dienstjahren basieren, sowohl mit dem nationalen als auch mit dem EU-Recht vereinbar sind.
Das Gericht betonte, dass die betriebliche Altersversorgung, die auf dem Endgehalt basiert, die Betriebstreue würdigt und den Versorgungsbedarf bewertet. Die Verwendung des Durchschnitts der letzten zehn Jahre als Berechnungsgrundlage für die Altersversorgung wurde als angemessen und gerechtfertigt angesehen, da sie den Lebensstandard, der sich während dieser Zeit verfestigt hat, widerspiegelt.
https://www.bundesarbeitsgericht.de/entscheidung/3‑azr-221–22
Diskriminierung schwerbehinderter Bewerber bei der Stellenbesetzung (BAG, Urteil vom 14.06.2023, 8 AZR 136/22)
Zusammenfassung des Sachverhaltes:
Der Kläger, ein studierter Wirtschaftswissenschaftler und schwerbehindert, bewarb sich auf eine Stelle als “Scrum Master Energy”. Trotz seiner Qualifikationen und expliziten Hinweises auf seine Schwerbehinderung erhielt er eine Absage. Der Kläger vermutete eine Diskriminierung aufgrund seiner Schwerbehinderung und machte einen Entschädigungsanspruch nach § 15 Abs. 2 AGG geltend, insbesondere da die Beklagte versäumt hatte, den Betriebsrat gemäß § 164 Abs. 1 Satz 4 SGB IX unverzüglich zu informieren.
Zusammenfassung der Urteilsbegründung:
Das Bundesarbeitsgericht gab dem Kläger teilweise Recht. Es stellte fest, dass der Kläger durch die Nichtberücksichtigung seiner Bewerbung diskriminiert wurde, da die Beklagte es versäumt hatte, den Betriebsrat rechtzeitig zu informieren, was die Vermutung einer Benachteiligung wegen der Schwerbehinderung begründet. Der Beklagten gelang es nicht, diese Vermutung zu widerlegen. Weiterhin wurde das Argument der Beklagten, der Kläger handle rechtsmissbräuchlich, da er sich nur beworben habe, um im Falle einer Ablehnung Schadensersatzansprüche geltend zu machen, zurückgewiesen. Das Gericht verurteilte die Beklagte zur Zahlung einer Entschädigung von 7.500 Euro. Diese Summe entspricht 1,5 Bruttomonatsgehältern und soll sowohl den immateriellen Schaden des Klägers kompensieren als auch eine abschreckende Wirkung erzielen.
https://www.bundesarbeitsgericht.de/entscheidung/8‑azr-136–22
Abberufung eines Datenschutzbeauftragten: Anforderungen und Voraussetzungen (BAG, Urteil vom 06.06.2023, 9 AZR 621/19)
Zusammenfassung des Sachverhaltes:
Der Kläger wurde von der beklagten Körperschaft des öffentlichen Rechts, die Dienstleistungen für Kommunen im Bereich des Bundesrechts ausführt, im Jahr 2004 zum Datenschutzbeauftragten bestellt. Mit der Einführung der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) im Mai 2018 empfahl der Sächsische Landesdatenschutzbeauftragte eine Anpassung der Bestellungen der Datenschutzbeauftragten. Daraufhin berief die Beklagte den Kläger im August 2018 ab, gegen was der Kläger gerichtlich vorgeht. Er vertritt die Auffassung, dass seine Abberufung einen wichtigen Grund erfordere, der nicht vorliege.
Zusammenfassung der Urteilsbegründung:
Das Bundesarbeitsgericht hebt das Urteil des Sächsischen Landesarbeitsgerichts auf und verweist den Fall zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurück. Es bestätigt, dass die Abberufung eines Datenschutzbeauftragten der Zustimmung zu einem wichtigen Grund bedarf, wie es § 6 Abs. 4 Satz 1 BDSG in Anlehnung an § 626 Abs. 1 BGB vorsieht. Das Gericht erklärt, dass diese Regelung mit der DSGVO konform geht, da sie die Unabhängigkeit und Effektivität des Datenschutzbeauftragten schützt, ohne die Ziele der DSGVO zu beeinträchtigen.
Das Landesarbeitsgericht muss nun prüfen, ob die vom Kläger ausgeübten Tätigkeiten und seine berufliche Position Interessenkonflikte erzeugen, die einen wichtigen Grund für seine Abberufung darstellen könnten. Weiterhin ist zu klären, ob mildere Mittel als die Abberufung, wie eine Umorganisation seiner Aufgaben, möglich gewesen wären, um die Unabhängigkeit des Datenschutzbeauftragten zu gewährleisten.
https://www.bundesarbeitsgericht.de/entscheidung/9‑azr-621–19
Maßregelungsverbot bei der Erstellung von Arbeitszeugnissen (BAG, Versäumnisurteil vom 06.06.2023, 9 AZR 272/22)
Zusammenfassung des Sachverhaltes:
Die Klägerin war von August 2017 bis Februar 2021 bei der Beklagten beschäftigt und verlangte eine Korrektur ihres Arbeitszeugnisses, insbesondere hinsichtlich der Bewertung ihres Arbeits- und Sozialverhaltens. Nach mehrfachen Änderungen enthielt die letzte Version des Zeugnisses nicht mehr die ursprünglich aufgenommene Dankes- und Wunschformel. Die Klägerin sah darin eine Verletzung des Maßregelungsverbots gemäß § 612a BGB, da die Beklagte diese Formel nach erfolgten Korrekturen wegließ.
Zusammenfassung der Urteilsbegründung:
Das Bundesarbeitsgericht wies die Revision der Beklagten ab und bestätigte die Entscheidungen der Vorinstanzen. Es stellte fest, dass das Maßregelungsverbot auch nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses greife, insbesondere im Kontext der Zeugniserstellung. Die Beklagte hatte die Klägerin benachteiligt, indem sie die Dankes- und Wunschformel in der letzten Zeugnisversion wegließ, obwohl diese Formulierungen in den vorherigen Versionen enthalten waren. Das Gericht urteilte, dass das Weglassen der Formel als Reaktion auf die Rechtsausübung der Klägerin zur Zeugniskorrektur eine unzulässige Maßregelung darstellte.
Das Gericht argumentierte, dass der Arbeitgeber an den einmal im Zeugnis zum Ausdruck gebrachten Dank und die guten Wünsche grundsätzlich gebunden sei, solange keine neuen Umstände eine Änderung rechtfertigen. Die Beklagte konnte keine solchen Umstände darlegen, was zu der Feststellung führte, dass sie die Klägerin in rechtswidriger Weise benachteiligte, indem sie die bereits gewährte Dankes- und Wunschformel in der finalen Fassung des Zeugnisses entfernte.
https://www.bundesarbeitsgericht.de/entscheidung/9‑azr-272–22
Unvereinbarkeit von Betriebsratsvorsitz und Datenschutzbeauftragung (BAG, Urteil vom 06.06.2023, 9 AZR 383/19)
Zusammenfassung des Sachverhaltes:
Der Kläger, seit 1993 bei der Beklagten beschäftigt, fungiert als Betriebsratsvorsitzender und wurde zusätzlich zum Datenschutzbeauftragten bestellt. Der Thüringer Landesbeauftragte für Datenschutz äußerte Bedenken bezüglich der Vereinbarkeit dieser Ämter und der daraus resultierenden Zuverlässigkeit des Klägers. Die Beklagte widerruft daraufhin die Bestellung als Datenschutzbeauftragten und beruft den Kläger ab, wogegen dieser klagt.
Zusammenfassung der Urteilsbegründung:
Das BAG hebt die Vorinstanzen auf und gibt der Revision der Beklagten statt, indem es die Klage des Klägers abweist. Das Gericht erkennt, dass die parallele Ausübung der Ämter des Betriebsratsvorsitzenden und des Datenschutzbeauftragten zu unauflösbaren Interessenkonflikten führt, die die notwendige Unabhängigkeit des Datenschutzbeauftragten gefährden. Insbesondere wird darauf hingewiesen, dass der Betriebsratsvorsitzende maßgeblich die Verarbeitung personenbezogener Daten beeinflussen kann, was seiner Funktion als neutraler Datenschutzbeauftragter widerspricht. Daher war der Widerruf der Bestellung rechtmäßig, um die datenschutzrechtliche Integrität zu wahren. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
https://www.bundesarbeitsgericht.de/entscheidung/9‑azr-383–19
Wirksamkeit von Kündigungen im Rahmen von Betriebsübergängen bei Luftverkehrsunternehmen (BAG, Urteil vom 01.06.2023, 2 AZR 150/22)
Zusammenfassung des Sachverhalts:
Der Kläger, ein Flugkapitän, war bei einem österreichischen Luftverkehrsunternehmen angestellt, das Teil des Ryanair-Konzerns ist und eine Basis in Düsseldorf unterhielt. Im Rahmen einer Umstrukturierung kündigte das Unternehmen, dass es seine Flugaktivitäten einstellt und die Aktivitäten auf eine neu gegründete Firma innerhalb des Konzerns überträgt, die in Malta registriert ist. Der Kläger erhielt ein Angebot der neuen Firma unter den gleichen Arbeitsbedingungen weiterzuarbeiten, wogegen er sich mit der Begründung wehrte, dass ein Betriebsübergang stattgefunden habe.
Zusammenfassung der Urteilsbegründung:
Das Bundesarbeitsgericht wies die Revision des Klägers ab und bestätigte die Wirksamkeit der Kündigungen. Es wurde festgestellt, dass kein Betriebsübergang im Sinne des § 613a BGB vorlag, da die wirtschaftliche Einheit ihre Identität nicht bewahrte und die neue Firma keine Betriebstätigkeit in Deutschland aufnahm. Die Kündigungen waren sozial gerechtfertigt, da das ursprüngliche Unternehmen seinen Betrieb in Deutschland vollständig einstellte und keine Beschäftigungsmöglichkeit für den Kläger mehr bestand. Das Gericht betonte auch, dass der Betriebsbegriff eines Luftverkehrsbetriebs die Gesamtheit der an inländischen Flughäfen stationierten Luftfahrzeuge eines Luftverkehrsunternehmens bildet.
https://www.bundesarbeitsgericht.de/entscheidung/2‑azr-150–22
Bewertung des privaten Dienstwagennutzens und dessen Auswirkungen auf die Nettovergütung (BAG, Urteil vom 31.05.2023, 5 AZR 273/22)
Zusammenfassung des Sachverhaltes:
Der Kläger, beschäftigt in der Marketingabteilung der Beklagten, nutzte einen ihm überlassenen Dienstwagen auch privat. Es entstand Streit über die korrekte Berechnung der Nettovergütungsdifferenzen, da der Kläger behauptete, die Beklagte habe die Pfändungsgrenzen nicht beachtet. Der Dienstwagen wurde als Sachbezug gewertet, wobei strittig war, ob auch der Zuschlag für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte (0,03 %-Regel) einzubeziehen ist.
Zusammenfassung der Urteilsbegründung:
Das Bundesarbeitsgericht entschied, dass bei der Bewertung des Sachbezugs eines Dienstwagens zur privaten Nutzung lediglich 1 % des Listenpreises zu berücksichtigen sei, ohne die 0,03 %-Regel für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte. Diese Regelung dient steuerrechtlich lediglich der Kompensation eines pauschalen Werbungskostenabzugs und stellt keinen zusätzlichen geldwerten Vorteil dar.
Die Revision der Beklagten war erfolgreich, da das Landesarbeitsgericht fälschlicherweise den 0,03 %-Wert mit einbezogen hatte. Das Urteil wurde aufgehoben und die Sache zur Neubewertung zurückverwiesen. Das Landesarbeitsgericht muss nun prüfen, ob unter Berücksichtigung des korrekten Sachbezugswerts die Pfändungsgrenzen eingehalten wurden. Dabei sind auch die Unterhaltspflichten des Klägers und eventuelle freiwillige Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge einzubeziehen.
https://www.bundesarbeitsgericht.de/entscheidung/5‑azr-273–22
Ausschluss eines Betriebsratsmitglieds bei Verletzung gesetzlicher Pflichten trotz Restmandats (BAG, Beschluss vom 24.05.2023, 7 ABR 21/21)
Zusammenfassung des Sachverhaltes:
Die Antragstellerinnen, zwei Unternehmen der D‑Unternehmensgruppe, streiten mit dem Betriebsrat und dessen Vorsitzendem hauptsächlich über die Auflösung des restmandatierten Betriebsrats und hilfsweise über dessen Ausschluss aus dem Betriebsrat. Der Betrieb in P wurde zum 30. April 2019 stillgelegt. Vor der Schließung versandte der Betriebsratsvorsitzende Informationen zu Kündigungsschutzverfahren an externe Anwälte und ermöglichte über einen Link den Zugriff auf umfangreiche Daten ohne Passwortschutz. Die Arbeitgeberinnen sehen darin eine grobe Verletzung der gesetzlichen Pflichten des Betriebsrats und seines Vorsitzenden.
Zusammenfassung der Urteilsbegründung:
Das Bundesarbeitsgericht entschied, dass die Rechtsbeschwerde der Arbeitgeberinnen teilweise Erfolg hat. Es wurde festgestellt, dass ein restmandatierter Betriebsrat, der nach dem Untergang eines Betriebes noch besteht, nicht aufgelöst werden kann. Eine Auflösung nach § 23 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 BetrVG ist demnach nicht möglich, weil das Restmandat nicht dem vollumfänglichen Mandat eines Betriebsrats entspricht und nur auf spezifische Aufgaben bezogen ist, die direkt mit dem Untergang des Betriebs zusammenhängen.
Für den Ausschluss eines Betriebsratsmitglieds aus dem restmandatierten Betriebsrat wurde entschieden, dass dieser möglich ist, wenn eine grobe Pflichtverletzung vorliegt, die den Ausschluss rechtfertigt. Die Frage, ob der Vorsitzende des Betriebsrats tatsächlich grobe Pflichtverletzungen begangen hat, konnte auf Basis der bisherigen Feststellungen nicht abschließend geklärt werden. Deshalb wurde die Sache zur weiteren Klärung und Entscheidung zurück an das Landesarbeitsgericht verwiesen. Der Ausschluss aus dem Betriebsrat betrifft in diesem Fall die Wahrnehmung des Restmandats, nicht das gesamte Mitglied des Gremiums.
Zusätzlich wurde betont, dass das Vorhandensein des Restmandats keine uneingeschränkte Befugnis für Pflichtverletzungen bietet. Grobe Pflichtverletzungen, die individuellen Mitgliedern zurechenbar sind, können weiterhin zu personellen Konsequenzen führen.
https://www.bundesarbeitsgericht.de/entscheidung/7‑abr-21–21
Auskunftsanspruch des Betriebsrats über schwerbehinderte und gleichgestellte Arbeitnehmer (BAG, Beschluss vom 09.05.2023, 1 ABR 14/22)
Zusammenfassung des Sachverhaltes:
Die Beteiligten streiten über den Auskunftsanspruch des Betriebsrats bezüglich der im Betrieb und Unternehmen beschäftigten schwerbehinderten und diesen gleichgestellten Menschen. Die Arbeitgeberin, eine Entsorgungsdienstleisterin, hatte lediglich mitgeteilt, dass der Schwellenwert für die Wahl einer Schwerbehindertenvertretung erreicht sei, ohne weitere Details zu nennen. Der Betriebsrat verlangte daraufhin die Namen und Anzahl aller relevanten Arbeitnehmer, um seine Aufgaben gemäß §§ 80 Abs. 1 Nr. 4 BetrVG, 164 Abs. 4 und 5 SGB IX nachzukommen, was von der Arbeitgeberin abgelehnt wurde.
Zusammenfassung der Urteilsbegründung:
Das BAG bestätigte den Auskunftsanspruch des Betriebsrats und wies die Rechtsbeschwerde der Arbeitgeberin teilweise zurück. Der Betriebsrat benötigt diese Daten, um seine gesetzlichen Aufgaben zu erfüllen, insbesondere zur Überwachung der Einhaltung der Beschäftigungspflichten gegenüber schwerbehinderten und gleichgestellten Arbeitnehmern und der behinderungsgerechten Ausstattung der Arbeitsplätze. Datenschutzrechtliche Bedenken standen dem Auskunftsanspruch nicht entgegen, da die Weitergabe der Daten gemäß § 26 BDSG zulässig ist und der Betriebsrat geeignete Maßnahmen zum Schutz der Daten vorgesehen hat.
Der Unterlassungsantrag des Betriebsrats wurde als unzulässig abgewiesen, da er inhaltlich identisch mit dem Auskunftsanspruch war und somit keine eigenständige rechtliche Bewertung erforderte. Der Antrag auf Androhung eines Ordnungsgeldes war dem Gericht somit nicht zur Entscheidung vorgelegt worden.
https://www.bundesarbeitsgericht.de/entscheidung/1‑abr-14–22
Bahnreisezeiten als Arbeitszeit bei Fahrzeugüberführung (VG Lüneburg, Urteil vom 02.05.2023, Az.: 3 A 146/22)
Zusammenfassung des Sachverhaltes:
Die Klägerin, ein Speditionsunternehmen, spezialisiert auf die Überführung von Fahrzeugen, nutzt dazu festangestellte Arbeitnehmer, die die Fahrzeuge per Bahnreise von verschiedenen Start- zu Zielorten überführen. Diese Reisen schließen die Zeiten für den Weg vom Wohnort zum Abholort und zurück ein. Die Klägerin berücksichtigte diese Reisezeiten nicht als Arbeitszeit, was durch eine Überprüfung des Beklagten, der zuständigen Aufsichtsbehörde, kritisiert wurde. Der Beklagte forderte die Klägerin auf, entsprechende Arbeitszeitnachweise zu erstellen und vorzulegen, was die Klägerin zurückwies und stattdessen Klage erhob. Sie argumentierte, dass die Reisezeiten nicht der Arbeitszeit zuzurechnen seien und dass ihre Arbeitnehmer während der Bahnreisen nicht vergleichbar belastet würden wie bei direkten Fahrten zu Kunden.
Zusammenfassung der Urteilsbegründung:
Das VG Lüneburg wies die Klage ab und bestätigte die Auffassung des Beklagten, dass die Bahnreisezeiten der Arbeitnehmer als Arbeitszeiten anzusehen sind. Dies begründete das Gericht mit der europäischen Arbeitszeitrichtlinie und der Rechtsprechung des EuGH. Demnach gehören die Fahrten, die die Beschäftigten ohne festen Arbeitsort zwischen ihrem Wohnort und dem Ort der ersten bzw. letzten Tätigkeit des Tages zurücklegen, zur Arbeitszeit. Das Gericht stellte fest, dass die Arbeitnehmer während der Bahnfahrten nicht frei über ihre Zeit verfügen können, da sie sich am Arbeitsprozess beteiligen, indem sie Überführungspapiere und Ausrüstung transportieren und in Kommunikation mit dem Arbeitgeber stehen müssen. Die Entscheidung unterstrich zudem, dass die Reisezeiten integraler Bestandteil der geschuldeten Hauptleistung sind und somit nicht als Ruhezeit gewertet werden können. Des Weiteren wurde die Klägerin verpflichtet, diese Zeiten zu dokumentieren und dem Beklagten vorzulegen, was ebenfalls rechtmäßig sei, um die Einhaltung des Arbeitszeitgesetzes sicherzustellen. Die Klägerin wurde außerdem zu den Kosten des Verfahrens verurteilt. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.
https://www.iww.de/quellenmaterial/id/235793
Arbeitnehmerstatus in spiritueller Gemeinschaft bei Vereinsmitgliedschaft (BAG, Urteil vom 25.04.2023, 9 AZR 253/22)
Zusammenfassung des Sachverhaltes:
Die Klägerin, eine Volljuristin, war als Mitglied (Sevaka) in einer spirituellen Gemeinschaft, die von einem gemeinnützigen Verein geführt wird, tätig. Ihr Vertrag mit dem Verein sah vor, dass sie kein Arbeitsverhältnis begründet, sondern eine Mitgliedschaft in der spirituellen Gemeinschaft eingeht. Im Rahmen ihrer Mitgliedschaft führte sie verschiedene Tätigkeiten durch, die als Seva (selbstloser Dienst) bezeichnet wurden. Dafür erhielt sie Kost und Logis sowie ein monatliches Taschengeld. Die Klägerin behauptet, dass ihre Tätigkeiten den Anforderungen eines Arbeitsverhältnisses entsprechen und fordert die Zahlung des gesetzlichen Mindestlohns für ihre Dienste.
Zusammenfassung der Urteilsbegründung:
Das Bundesarbeitsgericht stellte fest, dass die Klägerin trotz ihrer formalen Vereinsmitgliedschaft in einem Arbeitsverhältnis zum Beklagten stand, da sie weisungsgebundene, fremdbestimmte Arbeit in persönlicher Abhängigkeit geleistet hat. Das Gericht wies darauf hin, dass der Vertrag materiell auf die Erbringung solcher Arbeit ausgerichtet war und die dafür vorgesehenen Kompensationen (Kost, Logis, Taschengeld) im Kern einem Arbeitsentgelt entsprachen. Die spirituelle Ausrichtung und die formale Vereinsmitgliedschaft ändern daran nichts, da der Verein weder als Religions- noch als Weltanschauungsgemeinschaft anerkannt wird, die solche Arrangements rechtfertigen könnte. Das Gericht hob das Urteil des Landesarbeitsgerichts auf und verwies den Fall zur weiteren Klärung der genauen Arbeitsstunden und der entsprechenden Vergütung zurück an das Landesarbeitsgericht.
https://www.bundesarbeitsgericht.de/entscheidung/9‑azr-253–22
Anspruch auf Mindesturlaub — Verjährung und Mitwirkungsobliegenheiten des Arbeitgebers (BAG, Urteil vom 20.12.2022, 9 AZR 266/20)
Zusammenfassung des Sachverhaltes:
Die Klägerin war vom 1. November 1996 bis zum 31. Juli 2017 als Steuerfachangestellte und Bilanzbuchhalterin beim Beklagten beschäftigt. Sie hatte einen jährlichen Urlaubsanspruch von 24 Arbeitstagen und arbeitete wöchentlich 32 Stunden an vier Tagen. Nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses verlangte sie die Abgeltung von 101 Urlaubstagen, die aus ihrer Sicht nicht verfallen waren, da der Beklagte sie nicht ausreichend über ihren Urlaubsanspruch informiert und sie nicht zur Urlaubnahme aufgefordert hatte. Der Beklagte argumentierte, dass der Urlaub verfallen sei und ein Teil der Ansprüche verjährt wäre.
Zusammenfassung der Urteilsbegründung:
Das BAG wies die Revision des Beklagten zurück und bestätigte die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf. Es führte aus, dass Urlaubsansprüche der Klägerin aus den Jahren 2011 bis 2017 weder verfallen noch verjährt waren. Der gesetzliche Mindesturlaub unterliege zwar der Verjährung, jedoch beginne diese erst, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer tatsächlich in die Lage versetzt habe, seinen Urlaubsanspruch wahrzunehmen. Dies beinhalte, dass der Arbeitgeber den Arbeitnehmer aktiv auffordern müsse, den Urlaub zu nehmen, und ihn klar darauf hinweisen müsse, dass der Urlaub verfallen könne, falls dieser nicht genommen wird. Diese Mitwirkungsobliegenheiten des Arbeitgebers seien Voraussetzung dafür, dass Urlaubsansprüche am Jahresende verfallen könnten. Da der Beklagte diese Obliegenheiten nicht erfüllt hatte, waren die Urlaubsansprüche der Klägerin zum Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht verfallen und die Verjährung der Ansprüche hatte noch nicht begonnen.
Das Gericht stellte außerdem fest, dass der Arbeitgeber keine Einreden der Verjährung geltend machen konnte, weil er es versäumt hatte, seine Mitwirkungspflichten zu erfüllen. Der Arbeitgeber könne sich nicht auf Vertrauensschutz berufen, da die Rechtsprechung keine rückwirkenden Ausnahmen für bereits entstandene Ansprüche zuließe. Somit war der Beklagte zur Abgeltung der nicht genommenen Urlaubstage verpflichtet.
https://www.bundesarbeitsgericht.de/entscheidung/9‑azr-266–20
Urlaubsansprüche bei dauerhafter Erwerbsminderung (BAG, Urteil vom 20.12.2022, 9 AZR 245/19)
Zusammenfassung des Sachverhaltes:
Der Kläger, seit dem 10. April 2000 als Frachtfahrer bei der Beklagten, einer Flughafenbetreibergesellschaft, beschäftigt, und anerkannt schwerbehindert, begehrte die Feststellung, dass ihm noch Urlaubstage aus den Jahren 2010, 2011 und 2014 zustehen. Die Anwendung des Tarifvertrags TVöD‑F führte zu einem jährlichen Urlaubsanspruch von 30 Tagen. Wegen voller Erwerbsminderung wurde ihm ab Dezember 2014 eine Rente bewilligt. Der Kläger argumentierte, die Urlaubsansprüche seien nicht verfallen, da die Beklagte ihren Mitwirkungsobliegenheiten nicht nachgekommen sei.
Das Bundesarbeitsgericht entschied, dass die Berufung des Klägers bezüglich der Urlaubsansprüche aus den Jahren 2010 und 2011 unzulässig war, da er sich nicht ausreichend mit den Entscheidungsgründen des Arbeitsgerichts auseinandergesetzt hatte. In Bezug auf das Jahr 2014 war die Revision teilweise begründet. Der Kläger hatte Anspruch auf 24 Urlaubstage, da die Beklagte ihre Mitwirkungsobliegenheiten nicht erfüllt hatte.
Zusammenfassung der Urteilsbegründung:
Das Gericht führte aus, dass die Ansprüche auf gesetzlichen Mindesturlaub nur unter bestimmten Voraussetzungen verfallen können. Insbesondere müssen Arbeitgeber ihre Mitwirkungsobliegenheiten erfüllen, um den Verfall des Urlaubsanspruchs zu begründen. Im Fall des Klägers waren die Urlaubsansprüche aus dem Jahr 2014 nicht verfallen, da der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub, den er erworben hatte, bevor er voll erwerbsgemindert wurde, nur dann nach Ablauf eines Übertragungszeitraums von 15 Monaten erlöschen kann, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer durch Erfüllung seiner Mitwirkungsobliegenheiten rechtzeitig in die Lage versetzt hat, diesen Anspruch auszuüben. Da dies nicht der Fall war, blieben die Urlaubsansprüche bestehen.
Weisungsrecht bei Versetzung an ausländischen Arbeitsort (BAG, Urteil vom 30.11.2022, 5 AZR 336/21)
Zusammenfassung des Sachverhaltes:
Der Kläger, ein Pilot, war ursprünglich bei Ryanair in Irland angestellt und am Flughafen Nürnberg stationiert. Nach einem Betriebsübergang wechselte er zur Beklagten, einer in Malta ansässigen Fluggesellschaft. Ryanair entschied später, den Standort Nürnberg aufzugeben. Infolgedessen versetzte die Beklagte den Kläger an die Homebase in Bologna, Italien. Der Kläger akzeptierte die Versetzung unter Vorbehalt und klagte gegen die Wirksamkeit dieser Maßnahme, indem er argumentierte, das Weisungsrecht des Arbeitgebers umfasse keine Versetzung ins Ausland und sei zudem unbillig.
Zusammenfassung der Urteilsbegründung:
Das Bundesarbeitsgericht wies die Revision des Klägers ab und bestätigte die Entscheidungen der Vorinstanzen, dass die Versetzung nach Bologna rechtens war. Es fand, dass der Arbeitsvertrag des Klägers keine ausschließliche Festlegung des Arbeitsorts Nürnberg vorsah und auch keine konkludente Beschränkung auf Deutschland enthielt. Daher könne der Arbeitgeber aufgrund seines Weisungsrechts nach § 106 Satz 1 GewO den Arbeitsort auch ins Ausland verlegen.
Das Gericht erläuterte, dass unternehmerische Entscheidungen wie die Aufgabe eines Standorts besonderes Gewicht haben und nicht auf ihre Zweckmäßigkeit hin überprüft werden müssen. Es fand weiterhin, dass die Beklagte die in einem Sozialplan vereinbarten Verfahren eingehalten hat und dass die Versetzung innerhalb des billigen Ermessens lag. Die damit verbundenen Belastungen für den Kläger seien zumutbar, insbesondere weil die tariflichen Regelungen am neuen Arbeitsort in Italien zur Anwendung kämen und der Kläger Umzugsleistungen nach dem Sozialplan erhalten würde.
Zusammenfassend bestätigte das Gericht, dass die Versetzung des Klägers rechtlich zulässig war und wies seine Klage ab.
https://www.bundesarbeitsgericht.de/entscheidung/5‑azr-336–21
Amtszeit der Schwerbehindertenvertretung — Schwellenwert (BAG, Beschluss vom 19.10.2022, 7 ABR 27/21)
Zusammenfassung des Sachverhaltes:
Die Beteiligten stritten über das vorzeitige Ende des Amtes einer Schwerbehindertenvertretung. Die betroffene Schwerbehindertenvertretung wurde am 13. November 2019 gewählt. Am 1. August 2020 sank die Anzahl der schwerbehinderten Mitarbeiter im Betrieb K der Arbeitgeberin, einem Unternehmen der klinischen Forschung, von fünf auf vier. Die Arbeitgeberin vertrat die Auffassung, dass dadurch die Schwerbehindertenvertretung ihre Existenz verloren habe und die Vertretung durch eine andere Schwerbehindertenvertretung im Betrieb L wahrgenommen werden sollte. Die Schwerbehindertenvertretung widersprach dem, indem sie argumentierte, ihr Amt sei nicht aufgrund des Absinkens der Zahl der schwerbehinderten Beschäftigten unter den Schwellenwert des § 177 Abs. 1 Satz 1 SGB IX beendet.
Zusammenfassung der Urteilsbegründung:
Das Bundesarbeitsgericht gab der Rechtsbeschwerde der Schwerbehindertenvertretung statt und hob die Entscheidungen der Vorinstanzen auf. Es wurde festgestellt, dass die Amtszeit der Schwerbehindertenvertretung nicht aufgrund der reduzierten Anzahl schwerbehinderter Mitarbeiter endete. Das Gericht stellte klar, dass die Mindestanzahl von fünf schwerbehinderten Beschäftigten, die für die Wahl einer Schwerbehindertenvertretung erforderlich ist, nicht während der gesamten Amtszeit erreicht sein muss. Die Voraussetzungen für ein vorzeitiges Erlöschen des Amtes sind in § 177 Abs. 7 SGB IX abschließend geregelt, und ein Unterschreiten des Schwellenwertes gehört nicht dazu. Die gesetzliche Regelung sieht vor, dass das Amt der Schwerbehindertenvertretung bei Absinken der Zahl der schwerbehinderten Beschäftigten unter den Schwellenwert nicht automatisch endet, sondern weiterhin besteht, solange die in § 177 Abs. 7 Satz 1 SGB IX festgelegte Amtszeit von vier Jahren nicht abgelaufen ist.
https://www.bundesarbeitsgericht.de/entscheidung/7‑abr-27–21
Informationspflicht des Arbeitgebers bei Fremdpersonaleinsatz (LAG Baden-Württemberg, Beschluss vom 12.10.2022, 4 TaBV 3/21)
Zusammenfassung des Sachverhaltes:
Der Betriebsrat eines Krankenhauses forderte vom Arbeitgeber wiederholt Informationen über den Einsatz von Fremdpersonal durch konzernzugehörige Servicegesellschaften. Konkret ging es um die Aufklärung, ob diese Personen in den betrieblichen Ablauf eingegliedert und weisungsabhängig sind, was eine Mitbestimmungspflicht nach § 99 BetrVG begründen könnte. Der Arbeitgeber sah seinen Auskunftsanspruch als erfüllt an, indem er Rahmenverträge vorlegte und auf die Möglichkeit zur Einsichtnahme verwies. Daraufhin leitete der Betriebsrat ein Beschlussverfahren ein, um seine Forderungen durchzusetzen.
Zusammenfassung der Urteilsbegründung:
Das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg entschied, dass der Betriebsrat grundsätzlich ein Recht auf Information hat, um seine Überwachungspflichten nach § 80 Abs. 2 Satz 1 BetrVG wahrzunehmen. Die Informationspflicht des Arbeitgebers umfasst den zeitlichen Umfang der Einsätze, die Einsatzorte und die Arbeitsaufgaben der Fremdpersonalmitarbeiter, jedoch nicht notwendigerweise deren Namen. Das Gericht stellte fest, dass die Vorlage von Rahmenverträgen allein nicht ausreicht, da der Betriebsrat daraus nicht beurteilen kann, ob die tatsächliche Durchführung der Einsätze einer unerlaubten Arbeitnehmerüberlassung gleichkommt. Der Antrag des Betriebsrats wurde in Teilen stattgegeben, insbesondere im Hinblick auf die zukünftige Unterrichtung vor Einsatzbeginn neuer Fremdpersonalmitarbeiter. Allerdings wurde der Antrag abgewiesen, soweit er die namentliche Nennung des Fremdpersonals verlangte, da dies für die Wahrnehmung der Betriebsratsaufgaben nicht erforderlich ist. Das Gericht ließ die Rechtsbeschwerde zu, aufgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Frage nach dem Umfang des Auskunftsanspruchs des Betriebsrats.
https://www.iww.de/quellenmaterial/id/232297
Tariflich verlängerte Überlassungsdauer von Leiharbeitnehmern (BAG, Urteil vom 14.09.2022, 4 AZR 83/21)
Zusammenfassung des Sachverhaltes:
Der Kläger, ein Kfz-Meister, ist seit März 2017 bei der S GmbH angestellt und wurde von Mai 2017 bis April 2019 an die Beklagte, ein Mitglied des Verbands der Metall- und Elektroindustrie Baden-Württemberg, überlassen. Er argumentierte, dass zwischen ihm und der Beklagten aufgrund der Überschreitung der gesetzlichen Überlassungshöchstdauer von 18 Monaten ein Arbeitsverhältnis entstanden sei. Er bestritt die Anwendung des Tarifvertrages (TV LeiZ), der die Überlassungsdauer auf 48 Monate verlängert, da er nicht Mitglied der IG Metall sei. Er hielt außerdem § 1 Abs. 1b Satz 3 AÜG für verfassungs- und unionsrechtswidrig.
Zusammenfassung der Urteilsbegründung:
Das Bundesarbeitsgericht wies die Revision des Klägers zurück und bestätigte die Entscheidungen der Vorinstanzen, die festgestellt hatten, dass kein Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien entstanden sei. Das Gericht erläuterte, dass die Überlassungsdauer arbeitnehmerbezogen zu bestimmen sei und der Kläger knapp 24 Monate überlassen wurde, was die gesetzliche Überlassungshöchstdauer von 18 Monaten überschreitet. Allerdings sei diese durch den Tarifvertrag TV LeiZ gemäß § 1 Abs. 1b Satz 3 AÜG wirksam auf 48 Monate verlängert worden. Diese Regelung gelte unabhängig von der Tarifbindung des Klägers, da sie lediglich die Tarifbindung der Entleiherin voraussetze. Weiterhin sei die Regelung sowohl mit dem Unionsrecht als auch mit dem Grundgesetz vereinbar, da sie eine angemessene und flexible Anpassung an die betrieblichen Bedürfnisse ermögliche, ohne den Schutz der Leiharbeitnehmer zu gefährden.
https://www.bundesarbeitsgericht.de/entscheidung/4‑azr-83–21
Initiativrecht des Betriebsrats bezüglich elektronischer Arbeitszeiterfassung (BAG, Beschluss vom 13.09.2022, 1 ABR 22/21)
Zusammenfassung des Sachverhaltes:
Die Parteien streiten darüber, ob dem Betriebsrat ein Initiativrecht zur Einführung eines elektronischen Systems zur Erfassung der Arbeitszeiten zusteht. Die Arbeitgeberinnen, Betreiber einer vollstationären Wohneinrichtung, lehnten die Einführung eines solchen Systems ab, woraufhin der Betriebsrat die Einrichtung einer Einigungsstelle beantragte und anschließend klage. Sowohl das Arbeitsgericht Minden als auch das Landesarbeitsgericht Hamm wurden in dieser Angelegenheit bereits angerufen.
Zusammenfassung der Urteilsbegründung:
Das Bundesarbeitsgericht entschied, dass dem Betriebsrat kein Initiativrecht zusteht, ein elektronisches Zeiterfassungssystem einzuführen. Das Gericht stellte klar, dass die Arbeitgeberinnen bereits gesetzlich dazu verpflichtet sind, die Arbeitszeiten zu erfassen. Die Anforderungen des Gesundheitsschutzes und der Sicherheit der Arbeitnehmer sind durch das Arbeitsschutzgesetz (§ 3 Abs. 2 Nr. 1 ArbSchG) ausreichend geregelt, welches den Arbeitgebern vorschreibt, ein geeignetes System zur Arbeitszeiterfassung zu implementieren, um die Einhaltung von Höchstarbeitszeiten und Ruhepausen sicherzustellen. Das Gericht hob hervor, dass der Betriebsrat nur dann ein Mitbestimmungsrecht hat, wenn dem Arbeitgeber ein Gestaltungsspielraum verbleibt, was hier jedoch durch die gesetzliche Verpflichtung nicht der Fall ist. Somit war die Klage des Betriebsrats unbegründet und die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts wurde aufgehoben.
https://www.bundesarbeitsgericht.de/entscheidung/1‑abr-22–21
Sonderkündigungsschutz für betriebliche Datenschutzbeauftragte (BAG, Urteil vom 25.08.2022, 2 AZR 225/20)
Zusammenfassung des Sachverhaltes:
Die Klägerin war seit Januar 2018 bei der Beklagten als „Teamleiter Recht“ beschäftigt und wurde zusätzlich zur betrieblichen Datenschutzbeauftragten bestellt. Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis zum 15. August 2018 aufgrund einer Umstrukturierung und dem dadurch entfallenen Beschäftigungsbedarf. Die Klägerin erhob Klage gegen die Kündigung, da sie sich auf den Sonderkündigungsschutz für Datenschutzbeauftragte berief, der eine Kündigung nur aus wichtigem Grund zulässt.
Zusammenfassung der Urteilsbegründung:
Das Bundesarbeitsgericht bestätigte die Entscheidungen der Vorinstanzen und wies die Revision der Beklagten zurück. Die ordentliche Kündigung war gemäß § 38 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 iVm. § 6 Abs. 4 Satz 2 BDSG sowie § 134 BGB nichtig, da die Klägerin als bestellte Datenschutzbeauftragte nur aus wichtigem Grund gekündigt werden darf. Das Gericht stellte klar, dass der Sonderkündigungsschutz des BDSG mit dem Unionsrecht und dem nationalen Verfassungsrecht vereinbar ist. Es wurde betont, dass Art. 38 Abs. 3 Satz 2 DSGVO einer strengeren nationalen Regelung, die eine Kündigung nur aus wichtigem Grund erlaubt, nicht entgegensteht. Die Regelung beeinträchtigt nicht die Ziele der DSGVO und gewährleistet die funktionelle Unabhängigkeit des Datenschutzbeauftragten, was zur Wirksamkeit der DSGVO beiträgt. Das Gericht wies auch darauf hin, dass die normative Ausgestaltung des Sonderkündigungsschutzes keine Beeinträchtigung der Grundrechte der Beklagten darstellt.
https://www.bundesarbeitsgericht.de/entscheidung/2‑azr-225–20
Vergütung von Überstunden und Anforderungen an deren Darlegung (BAG, Urteil vom 04.05.2022, 5 AZR 359/21)
Zusammenfassung des Sachverhaltes:
Der Kläger, ehemals als Auslieferungsfahrer bei der Beklagten, einem Einzelhandelsunternehmen, beschäftigt, begehrt die Vergütung für 348 Überstunden. Diese Forderung basiert auf den mittels technischer Zeitaufzeichnung erfassten Arbeitszeiten, die einen positiven Saldo von 348 Stunden aufweisen. Der Kläger argumentiert, dass er keine Pausen genommen hat und daher die gesamte aufgezeichnete Zeit als Arbeitszeit zu vergüten sei.
Zusammenfassung der Urteilsbegründung:
Das Bundesarbeitsgericht wies die Revision des Klägers zurück und bestätigte damit die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen, welche die Klage größtenteils abwies. Es betonte, dass der Kläger zwar den Umfang der geleisteten Überstunden schlüssig dargelegt hat, jedoch nicht ausreichend darlegte, dass die Überstunden durch die Beklagte veranlasst wurden.
- Arbeitszeit und Darlegungslast: Der Kläger erfüllte seine Darlegungslast hinsichtlich der Arbeitszeiten, indem er konkret angab, wann er gearbeitet habe. Der Vortrag, keine Pausen gemacht zu haben, wurde vom Gericht als ausreichend für die Behauptung angesehen, dass alle aufgezeichneten Zeiten Arbeitszeiten seien.
- Veranlassung durch den Arbeitgeber: Das Gericht stellte klar, dass Überstundenvergütungen eine Veranlassung durch den Arbeitgeber voraussetzen. Hierzu gehört, dass Überstunden entweder vom Arbeitgeber angeordnet, gebilligt oder zur Erledigung der geschuldeten Arbeit notwendig waren. Der Kläger konnte nicht hinreichend darlegen, dass die geleisteten Überstunden durch die Beklagte veranlasst wurden.
- Rechtliche Einordnung der Überstunden: Überstunden müssen vom Arbeitgeber veranlasst sein, damit sie vergütet werden. Der Kläger trug nicht substantiiert vor, dass eine bestimmte Arbeitsmenge innerhalb der Normalarbeitszeit nicht zu schaffen war oder dass der Arbeitgeber durch das Abzeichnen von Arbeitszeitnachweisen die Überstundenleistung gebilligt hätte.
Das Urteil unterstreicht die Notwendigkeit einer genauen Darlegung der Veranlassung von Überstunden durch den Arbeitgeber, um einen Anspruch auf Überstundenvergütung erfolgreich geltend machen zu können.
https://www.bundesarbeitsgericht.de/entscheidung/5‑azr-359–21
Fairness von Aufhebungsvertragsverhandlungen (BAG, Urteil vom 24.02.2022, 6 AZR 333/21)
Zusammenfassung des Sachverhaltes:
Die Klägerin, seit dem 1. Juni 2015 als Teamkoordinatorin des Verkaufs im Bereich Haustechnik beschäftigt, wurde am 22. November 2019 von ihrem Arbeitgeber und dessen Rechtsanwalt beschuldigt, unberechtigt Einkaufspreise reduziert zu haben, um einen höheren Verkaufsgewinn vorzutäuschen. Ihr wurde ohne Vorankündigung des Gesprächsthemas ein Aufhebungsvertrag vorgelegt, der ihr Ausscheiden aus dem Unternehmen vorsah. Nach einer kurzen Bedenkzeit unterschrieb sie den Vertrag, focht diesen jedoch später wegen widerrechtlicher Drohung an. Sie behauptete, man habe ihr für den Fall der Nichtunterzeichnung mit einer außerordentlichen Kündigung und einer Strafanzeige gedroht und ihr keine ausreichende Bedenkzeit gewährt.
Zusammenfassung der Urteilsbegründung:
Das Bundesarbeitsgericht wies die Revision der Klägerin zurück und bestätigte damit das Urteil des Landesarbeitsgerichts, das den Aufhebungsvertrag als wirksam ansah. Das Gericht fand, dass die Drohung mit Kündigung und Strafanzeige nicht widerrechtlich war, da aus Sicht eines verständigen Arbeitgebers angenommen werden konnte, dass ein hinreichender Anlass für diese Maßnahmen bestand. Zudem urteilte das Gericht, dass die Vorgehensweise des Arbeitgebers bei den Vertragsverhandlungen fair war. Ein Aufhebungsvertrag, der zur sofortigen Annahme unterbreitet wird, verstößt nicht gegen das Gebot fairen Verhandelns, solange dem Arbeitnehmer die Möglichkeit bleibt, das Angebot abzulehnen. Die Klägerin hatte die Option, den Raum zu verlassen und das Angebot nicht anzunehmen, wodurch keine unfaire Drucksituation entstand, die ihre Entscheidungsfreiheit erheblich eingeschränkt hätte.
https://www.bundesarbeitsgericht.de/entscheidung/6‑azr-333–21
Anspruch auf Nachgewährung von Freistellungstagen bei Krankheit (BAG, Urteil vom 23.02.2022, 10 AZR 99/21)
Zusammenfassung des Sachverhaltes:
Der Kläger, ein vollzeitbeschäftigter Arbeitnehmer und Mitglied der IG Metall, beanspruchte auf Grundlage des Tarifvertrags Tarifliches Zusatzgeld (TV T‑ZUG) für das Jahr 2019 zusätzliche Freistellungstage. Diese Freistellungstage waren als Alternative zum tariflichen Zusatzgeld gewährt worden und sollten am 11. und 12. Juni 2019 stattfinden. Der Kläger war jedoch vom 5. bis einschließlich 12. Juni 2019 krankheitsbedingt arbeitsunfähig. Er forderte daraufhin die Nachgewährung der zwei Freistellungstage, was die Beklagte ablehnte. Der Kläger argumentierte, dass der Anspruch auf die Freistellungstage nicht erfüllt sei, da er sie aufgrund seiner Krankheit nicht nutzen konnte.
Zusammenfassung der Urteilsbegründung:
Das Bundesarbeitsgericht wies die Revision der Beklagten zurück und bestätigte damit die Entscheidungen der Vorinstanzen, die dem Kläger Recht gaben. Es stellte fest, dass der Anspruch auf die Freistellungstage nicht erloschen ist, da diese aufgrund der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit des Klägers nicht realisiert werden konnten. Das Gericht erläuterte, dass die Freistellungstage erst dann als “genommen” gelten, wenn sie tatsächlich genutzt werden können, was hier durch die Krankheit des Klägers verhindert wurde. Die Tarifvertragsparteien hätten mit der Regelung bezweckt, den Arbeitnehmern tatsächlich nutzbare freie Tage zu gewähren. Daher sei der Anspruch auf die Freistellungstage erhalten geblieben und der Kläger könne ihre Nachgewährung verlangen. Das Gericht führte weiter aus, dass die tarifliche Regelung nicht dazu führt, dass der Anspruch auf die Freistellungstage mit dem Jahresende erlischt, solange die Freistellung aus personenbedingten Gründen nicht möglich war. Das Gericht lehnte somit die Argumentation der Beklagten ab, die Freistellung sei bereits durch die bloße zeitliche Festlegung der Freistellungstage erfüllt worden.
https://www.bundesarbeitsgericht.de/entscheidung/10-azr-99–21
Kein Anspruch auf Dankes- und Wunschformel im Arbeitszeugnis (BAG, Urteil vom 25.01.2022, 9 AZR 146/21)
Zusammenfassung des Sachverhaltes:
Der Kläger, ehemals tätig als Personaldisponent bei der Beklagten, einem Personaldienstleister, begehrte die Ergänzung seines Arbeitszeugnisses um eine Dankes- und Wunschformel. Die Beklagte hatte ihm ein Arbeitszeugnis ohne diese Formel ausgestellt. Der Kläger argumentierte, dass das Fehlen einer solchen Formel sein Zeugnis minderwertig erscheinen ließe.
Zusammenfassung der Urteilsbegründung:
Das Bundesarbeitsgericht entschied, dass der Kläger keinen Anspruch auf die Aufnahme einer Dankes- und Wunschformel in sein Arbeitszeugnis hat. Das Gericht stellte klar, dass ein qualifiziertes Arbeitszeugnis laut § 109 Abs. 1 Satz 3 GewO lediglich Angaben über Leistung und Verhalten des Arbeitnehmers enthalten muss. Die Hinzufügung von Dankes- und Wunschformeln ist nicht verpflichtend und kann nicht aus der gesetzlichen Regelung hergeleitet werden.
Das Gericht betonte weiterhin, dass der Anspruch auf ein qualifiziertes Zeugnis den Arbeitgeber nicht dazu verpflichten kann, seine innere Einstellung zu äußern oder positive Wünsche für die Zukunft auszusprechen, die er möglicherweise nicht hegt. Die negative Meinungsfreiheit des Arbeitgebers schützt ihn davor, zu Aussagen gezwungen zu werden, die er nicht tätigen möchte. Dies gilt auch für formelhafte Dankes- und Wunschformeln, die nicht die tatsächliche Meinung des Arbeitgebers widerspiegeln müssen.
Zusammenfassend wies das Gericht darauf hin, dass die Berufungsentscheidung, die dem Kläger zunächst Recht gab, auf einer fehlerhaften Rechtsauffassung beruhte. Daher wurde diese Entscheidung aufgehoben und die ursprüngliche Entscheidung des Arbeitsgerichts wiederhergestellt, welche die Klage des Klägers abgewiesen hatte.
https://www.bundesarbeitsgericht.de/entscheidung/9‑azr-146–21
Kein individueller Anspruch auf Durchführung eines betrieblichen Eingliederungsmanagements (BAG, Urteil vom 07.09.2021, 9 AZR 571/20)
Zusammenfassung des Sachverhaltes:
Der Kläger, ein bei der beklagten Gemeinde beschäftigter Arbeitnehmer mit einem Grad der Behinderung von 30, verlangte die Durchführung eines betrieblichen Eingliederungsmanagements (bEM), nachdem er in den Jahren 2018 und 2019 jeweils mehr als sechs Wochen krankheitsbedingt arbeitsunfähig war. Die Beklagte lehnte die Durchführung eines bEM ab, woraufhin der Kläger klagte.
Zusammenfassung der Urteilsbegründung:
Das Bundesarbeitsgericht entschied, dass § 167 Abs. 2 Satz 1 SGB IX keinen individuellen Anspruch eines Arbeitnehmers auf die Einleitung und Durchführung eines bEM begründet. Das Gericht führte aus, dass ein bEM ein verlaufs- und ergebnisoffener Prozess sei, der darauf abzielt, Lösungen zu finden, um die Arbeitsunfähigkeit zu überwinden und zukünftige Arbeitsunfähigkeit zu vermeiden. Die Norm verpflichtet den Arbeitgeber zur Initiative, gibt aber dem Arbeitnehmer keinen einklagbaren Anspruch auf die Durchführung des Verfahrens.
Das Gericht betonte, dass die gesetzliche Regelung des bEM umfassend und abschließend sei und dass allgemeine arbeitsvertragliche Pflichten wie das Rücksichtnahmegebot nicht dazu genutzt werden können, um darüber hinausgehende Ansprüche zu begründen.
Weiterhin stellte das Gericht klar, dass auch die UN-Behindertenrechtskonvention und die EU-Richtlinie 2000/78/EG, welche die Gleichbehandlung im Beruf und die Beschäftigung von Menschen mit Behinderungen thematisieren, keinen darüberhinausgehenden individuellen Anspruch auf ein bEM begründen.
Insgesamt wurde die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts zurückgewiesen und die Klage abgewiesen.
https://www.bundesarbeitsgericht.de/entscheidung/9‑azr-571–20
Kein Mitbestimmungsrecht bei Fürsorgegesprächen (LAG Nürnberg, Beschluss vom 02.03.2021, 7 TaBV 5/20)
Zusammenfassung des Sachverhaltes:
Die Parteien streiten über die Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats (Beteiligter zu 1) bei der Durchführung von Fürsorgegesprächen in einem Unternehmen, das bundesweit Nierenzentren betreibt. Die Geschäftsführung (Beteiligter zu 2) kündigte an, Fürsorgegespräche mit Mitarbeitern führen zu wollen, die vermehrt Krankheitstage aufweisen. Der Betriebsrat machte ein Mitbestimmungsrecht geltend und beantragte gerichtlich, dem Arbeitgeber die Durchführung solcher Gespräche ohne Zustimmung des Betriebsrats zu untersagen.
Zusammenfassung der Urteilsbegründung:
Das Landesarbeitsgericht Nürnberg bestätigte den Beschluss des Arbeitsgerichts Würzburg, der die Anträge des Betriebsrats zurückwies. Das Gericht urteilte, dass die durchgeführten Fürsorgegespräche nicht der Mitbestimmung des Betriebsrats unterliegen, da sie nicht nach einem abstrakten Schema ausgewählt oder formalisiert durchgeführt wurden und sich primär auf das individuelle Arbeitsverhalten und nicht auf das Ordnungsverhalten im Betrieb bezogen.
Es wurde festgestellt, dass keine abstrakte Regelung für die Auswahl der Gesprächsteilnehmer bestand und die Gespräche unterschiedlich verliefen, abhängig von den individuellen Umständen der Mitarbeiter. Zudem waren die Gespräche darauf ausgerichtet, individuelle Lösungen zur Überwindung von Arbeitsunfähigkeit zu ermitteln und nicht, das kollektive Ordnungsverhalten zu regeln oder zu standardisieren.
Das Gericht wies darauf hin, dass das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats sich nicht auf Maßnahmen erstreckt, die das individuelle Arbeitsverhalten betreffen und nicht auf eine kollektive Regelung abzielen. Die Beschwerde des Betriebsrats wurde zurückgewiesen, und es wurde keine Rechtsbeschwerde zugelassen.
https://www.iww.de/quellenmaterial/id/222958
4.17 BVerfG-Entscheidung zu rassistischen Beleidigungen im Betriebsrat”
Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat in einer Entscheidung vom 2. November 2020 (1 BvR 2727/19) über eine erfolglose Verfassungsbeschwerde zur Kündigung eines Betriebsratsmitglieds wegen rassistischer Beleidigung entschieden. Die Entscheidung hat erhebliche Aufmerksamkeit in Medien und Fachpresse erregt.
Im vorliegenden Fall wurde einem Betriebsratsmitglied vorgeworfen, während einer Betriebsratssitzung seinem schwarzen Kollegen im Rahmen eines Dialogs über die Herangehensweise an ein bestimmtes Thema Affenlaute in Form von “Ugah, Ugah” entgegnet zu haben. Der Betriebsrat stimmte der fristlosen Kündigung des Klägers zu.
Das Landesarbeitsgericht (LAG) Köln, das in der Vorinstanz entschieden hatte, setzte sich in seiner Entscheidung dezidiert mit dem Unterschied zwischen einer schlichten formalen Beleidigung, auch in ihren krudesten Formen, und einer rassistischen Beleidigung auseinander. Dabei bediente es sich der Grundlagen der Kommunikationspsychologie.
Das Gericht kam zu dem Schluss, dass die Äußerung des Klägers nicht nur eine schlichte Beleidigung darstellte, sondern eine Selbstoffenbarung eines diskriminierenden und in diesem speziellen Fall eines rassistischen Weltbildes.
Die Entscheidung des BVerfG bestätigte die Ansicht des LAG Köln und wies die Verfassungsbeschwerde des Klägers zurück. Die Entscheidung des BVerfG ist ein wichtiger Meilenstein im Arbeitsrecht und unterstreicht die Notwendigkeit, Rassismus und Diskriminierung am Arbeitsplatz entschieden entgegenzutreten.
Kündigung eines Betriebsratsmitglieds bei Betriebsstilllegung (BAG, Urteil vom 27.06.2019, 2 AZR 38/19)
Zusammenfassung des Sachverhaltes:
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung eines Betriebsratsmitglieds. Die Beklagte, ein Unternehmen des N‑Konzerns, hatte im März 2016 mit der IG Metall einen Strukturtarifvertrag geschlossen, um die Betriebsstätten in H, B und L zu einer betriebsverfassungsrechtlichen Organisationseinheit zusammenzufassen. Der Kläger war dem Betrieb in B zugeordnet und nahm 2017 als Nachrücker an einer Betriebsratssitzung teil. Nachdem der Betrieb in B am 7. Juni 2017 geschlossen wurde, kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis ordentlich zum 30. Juni 2018. Der Kläger erhob daraufhin Kündigungsschutzklage.
Zusammenfassung der Urteilsbegründung:
Das Bundesarbeitsgericht hob das Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg auf, das die Kündigung für unwirksam erklärt hatte, und verwies die Sache zur neuen Verhandlung zurück. Das Landesarbeitsgericht hatte fälschlicherweise angenommen, dass der nach dem Strukturtarifvertrag gebildete “Gemeinschaftsbetrieb” nicht insgesamt stillgelegt worden sei, was jedoch nicht der Fall war. Das BAG stellte klar, dass die betriebsverfassungsrechtliche Organisationseinheit keinen “Betrieb” im Sinne des KSchG darstellt und die Kündigung eines Betriebsratsmitglieds gemäß § 15 Abs. 4 KSchG zulässig ist, wenn der Betrieb, in dem das Mitglied beschäftigt war, stillgelegt wird. Das Gericht betonte, dass der Schutz des Kündigungsschutzgesetzes auf den Betrieb beschränkt ist, in dem der Arbeitnehmer beschäftigt ist, und nicht auf andere Betriebsteile oder Betriebe des Unternehmens ausgedehnt wird.
https://www.bundesarbeitsgericht.de/entscheidung/2‑azr-38–19
Freizeitausgleich für Betriebsratstätigkeit außerhalb der Arbeitszeit (BAG, Urteil vom 15.05.2019, 7 AZR 396/17)
Zusammenfassung des Sachverhaltes:
Der Kläger, ein Mitglied des Betriebsrats und in vollkontinuierlicher Wechselschicht tätig, wurde von der Beklagten, seinem Arbeitgeber, für die Dauer von Betriebsratssitzungen von der Arbeit freigestellt. Diese Sitzungen fanden jeweils am ersten Tag seiner Freiwoche statt, einem Zeitraum, der außerhalb seiner regulären Arbeitszeiten lag. Für seine Betriebsratstätigkeiten an diesen Tagen forderte der Kläger einen Freizeitausgleich, da sie außerhalb seiner Arbeitszeit stattfanden. Der Arbeitgeber lehnte dies ab, mit der Begründung, dass keine zusätzliche zeitliche Belastung für den Kläger entstanden sei, da er in der vorhergehenden Schicht freigestellt worden war.
Zusammenfassung der Urteilsbegründung:
Das Bundesarbeitsgericht gab der Revision des Klägers statt und verurteilte den Arbeitgeber zur Gutschrift von zusätzlichen 15 Stunden und 29 Minuten auf das Arbeitszeitkonto des Klägers. Das Gericht führte aus, dass gemäß § 37 Abs. 3 BetrVG ein Anspruch auf Freizeitausgleich besteht, wenn Betriebsratstätigkeiten aus betriebsbedingten Gründen außerhalb der regulären Arbeitszeit stattfinden. Die Freistellung des Klägers in der vorangegangenen Nacht sei kein ausreichender Ausgleich für die geleistete Betriebsratstätigkeit, da diese unabhängig von der Freistellung eine Aufopferung persönlicher Freizeit darstelle. Der Freizeitausgleich solle nicht eine übermäßige Arbeitsbelastung kompensieren, sondern den Verlust an persönlicher Freizeit ausgleichen. Die Tätigkeit des Klägers in seiner freien Zeit begründe daher einen Anspruch auf entsprechenden Freizeitausgleich, auch wenn er für die Schicht vor der Betriebsratstätigkeit freigestellt wurde.
https://www.bundesarbeitsgericht.de/entscheidung/7‑azr-396–17
Pflicht zur Einführung eines Systems zur Arbeitszeiterfassung (EuGH, Urteil vom 14.05.2019, C‑55/18)
Zusammenfassung des Sachverhaltes:
Die Federación de Servicios de Comisiones Obreras (CCOO) klagte gegen die Deutsche Bank SAE vor der Audiencia Nacional (Spanien), um die Einführung eines Systems zur Erfassung der täglichen Arbeitszeit der Mitarbeiter durchzusetzen. Dies sollte die Einhaltung der vorgesehenen Arbeitszeiten sowie die Überprüfung der Überstunden ermöglichen. Die Deutsche Bank hatte trotz mehrerer Aufforderungen durch die spanische Arbeitsinspektion kein solches System eingeführt. Stattdessen nutzte die Bank eine Software, die nur Abwesenheiten wie Urlaubstage erfasste, jedoch nicht die tatsächliche Arbeitszeit und Überstunden der Mitarbeiter. Die spanischen Gerichte hatten zuvor entschieden, dass das spanische Recht nicht die Einrichtung eines solchen Systems fordere.
Zusammenfassung der Urteilsbegründung:
Der EuGH entschied, dass die Mitgliedstaaten nach der Arbeitszeitrichtlinie (2003/88/EG) und der Richtlinie über Sicherheit und Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer (89/391/EWG) verpflichtet sind, die Einführung eines Systems zu gewährleisten, mit dem die tägliche Arbeitszeit jedes Arbeitnehmers gemessen werden kann. Dies sei notwendig, um die Einhaltung der täglichen und wöchentlichen Höchstarbeitszeiten sowie der Ruhezeiten sicherzustellen. Ein solches System bietet eine objektive und verlässliche Grundlage zur Überprüfung der Arbeitszeiten und ist essentiell, um die Rechte der Arbeitnehmer effektiv zu schützen und zu gewährleisten, dass diese nicht durch überlange Arbeitszeiten oder unzureichende Ruhezeiten gefährdet werden. Die Mitgliedstaaten sind daher verpflichtet, Arbeitgeber zur Einrichtung eines solchen Systems zu verpflichten, und können sich nicht auf nationale Regelungen berufen, die dies nicht vorsehen.
https://www.iww.de/quellenmaterial/id/215595
Einblicksrecht des Betriebsrats in Bruttoentgeltlisten (BAG, Beschluss vom 07.05.2019, 1 ABR 53/17)
Zusammenfassung des Sachverhaltes:
Die Arbeitgeberin, die eine Klinik betreibt, führte Bruttoentgeltlisten der Arbeitnehmer in elektronischer Form, die diverse Vergütungskomponenten enthielten. Anfang Februar 2017 gewährte sie Betriebsratsmitgliedern Einsicht in eine anonymisierte Fassung dieser Listen. Der Betriebsrat forderte jedoch Einsicht in die nicht anonymisierten Listen, um zu überprüfen, ob nach der Kündigung eines Tarifvertrags Sonderzahlungen oder Lohnerhöhungen gerecht und nachvollziehbar verteilt wurden und um mögliche Verstöße gegen das Gleichbehandlungsgesetz festzustellen. Die Arbeitgeberin lehnte dies unter Berufung auf Datenschutz und Persönlichkeitsrechte ab.
Zusammenfassung der Urteilsbegründung:
Das Bundesarbeitsgericht entschied, dass der Betriebsrat ein Recht auf Einsicht in die nicht anonymisierten Bruttoentgeltlisten hat. Dieses Recht ergibt sich aus § 80 Abs. 2 Satz 2 BetrVG, wonach dem Betriebsrat die zur Durchführung seiner Aufgaben erforderlichen Unterlagen zur Verfügung zu stellen sind. Der Betriebsrat benötigt die detaillierten Informationen, um seine Überwachungsaufgaben hinsichtlich der Einhaltung von Gesetzen und Tarifverträgen sowie des allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatzes wahrzunehmen. Datenschutzrechtliche Bedenken stehen dem Einblicksrecht nicht entgegen, da die Verarbeitung personenbezogener Daten in diesem Kontext nach § 26 BDSG zulässig ist. Die Einsichtnahme sei auf die Erfüllung der rechtlichen Aufgaben des Betriebsrats beschränkt und rechtfertigt daher keinen generellen Zugriff auf alle Daten ohne sachlichen Grund. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Arbeitnehmer sei durch die datenschutzrechtliche Prüfung und die gesetzliche Regelung ausreichend geschützt.
https://www.bundesarbeitsgericht.de/entscheidung/1‑abr-53–17
Auskunftsanspruch des Betriebsrats bei Widerspruch der Arbeitnehmerin gegen die Mitteilung ihrer Schwangerschaft (BAG, Beschluss vom 09.04.2019, 1 ABR 51/17)
Zusammenfassung des Sachverhaltes:
Die Arbeitgeberin, ein Unternehmen im Bereich der Luft- und Raumfahrt, informierte bisher den Betriebsrat über gemeldete Schwangerschaften der Arbeitnehmerinnen, es sei denn, diese widersprachen der Informationsweitergabe. Der Betriebsrat vertrat die Ansicht, dass er auch bei einem Widerspruch der betroffenen Arbeitnehmerin informiert werden müsse, um die Einhaltung des Mutterschutzgesetzes sicherzustellen. Die Arbeitgeberin widersprach und argumentierte, dass eine anonymisierte Information ausreichend sei und das Recht auf informationelle Selbstbestimmung der Schwangeren dem Auskunftsanspruch entgegenstehe.
Zusammenfassung der Urteilsbegründung:
Das BAG hob den Beschluss des Landesarbeitsgerichts München auf und verwies den Fall zurück. Es betonte, dass der Betriebsrat seine Überwachungsaufgaben nur dann effektiv wahrnehmen kann, wenn er genau weiß, welche konkreten mutterschutzrechtlichen Bestimmungen er überwachen will und warum dafür die Nennung der Namen der schwangeren Arbeitnehmerinnen notwendig ist. Die allgemeine Berufung auf die Überwachung der Einhaltung von Arbeitsschutzvorschriften genügt nicht, um den Auskunftsanspruch zu begründen. Zusätzlich wies das BAG darauf hin, dass der Anspruch auf datenschutzrechtliche Grundlage gestellt werden muss und geeignete Schutzmaßnahmen für die betroffenen Arbeitnehmerinnen erforderlich sind. Der Konflikt zwischen Datenschutz und der Informationspflicht des Betriebsrats müsse noch eingehend geprüft werden.
https://www.bundesarbeitsgericht.de/entscheidung/1‑abr-51–17
Unterlassungsansprüche des Betriebsrats bei Dienstplangestaltung und der Einwand der unzulässigen Rechtsausübung (BAG, Beschluss vom 12.03.2019, 1 ABR 42/17)
Zusammenfassung des Sachverhaltes:
Die Arbeitgeberin, eine Klinik in Niedersachsen, und der Betriebsrat stritten über die korrekte Aufstellung von Dienstplänen. Der Betriebsrat forderte, dass Dienstpläne seine vorherige Zustimmung benötigen und klagte auf Unterlassung verschiedener Praktiken der Arbeitgeberin, die seiner Meinung nach sein Mitbestimmungsrecht verletzten. Die Arbeitgeberin wiederum argumentierte, der Betriebsrat handele treuwidrig, indem er ohne ausreichende Begründung die Dienstpläne ablehne und sich den Verhandlungen in der Einigungsstelle entziehe. Das Arbeitsgericht und das Landesarbeitsgericht gaben dem Betriebsrat Recht. Die Arbeitgeberin legte Rechtsbeschwerde beim Bundesarbeitsgericht ein.
Zusammenfassung der Urteilsbegründung:
Das Bundesarbeitsgericht gab der Rechtsbeschwerde der Arbeitgeberin statt und hob die Entscheidungen der Vorinstanzen auf. Das Gericht führte aus, dass der Einwand der unzulässigen Rechtsausübung nach § 2 Abs. 1 BetrVG in diesem Fall greife. Der Betriebsrat habe durch sein Verhalten in erheblichem Maße gegen seine Mitwirkungspflichten verstoßen, indem er sich den Verhandlungen und der Bildung einer Einigungsstelle wiederholt verweigerte. Diese Verweigerungshaltung könne nicht mit dem bloßen Verweis auf eine angebliche Gesetzes- und Tarifwidrigkeit der Dienstpläne gerechtfertigt werden. Weiterhin stellte das BAG klar, dass der allgemeine Unterlassungsanspruch aus § 87 Abs. 1 BetrVG auf die Wiederherstellung eines betriebsverfassungsgemäßen Zustands abzielt und nicht darauf, einen betriebsverfassungswidrigen Zustand aufrechtzuerhalten. Daher könne der Betriebsrat nicht verlangen, dass die Arbeitgeberin sich an nicht mitbestimmte Dienstpläne hält.
https://www.bundesarbeitsgericht.de/entscheidung/1‑abr-42–17
Unterrichtung des Betriebsrats über Arbeitsunfälle Dritter (BAG, Beschluss vom 12.03.2019, 1 ABR 48/17)
Zusammenfassung des Sachverhaltes:
Die Arbeitgeberin, ein deutschlandweit tätiger Kurier- und Expressdienst, beschäftigt neben eigenen Arbeitnehmern auch Fremdpersonal über Servicepartnerverträge. Der Betriebsrat forderte Informationen und Dokumente zu Arbeitsunfällen von Beschäftigten der Servicepartner, die sich im Betriebsgebäude oder auf dem Betriebsgelände ereigneten, und verlangte zudem, dass ihm Unfallanzeigen zur Kenntnisnahme und Mitunterzeichnung vorgelegt werden. Die Arbeitgeberin lehnte ab, da sie nicht für die Erstellung der Unfallanzeigen zuständig sei und keine solchen Dokumente von den Servicepartnern erhalten habe.
Zusammenfassung der Urteilsbegründung:
Das Bundesarbeitsgericht entschied teilweise zugunsten des Betriebsrats. Es wurde festgestellt, dass der Betriebsrat ein berechtigtes Interesse an Informationen über Arbeitsunfälle des Fremdpersonals hat, die auf dem Betriebsgelände oder im Betriebsgebäude der Arbeitgeberin auftreten. Diese Informationen sind für den Betriebsrat erforderlich, um seine Aufgaben im Bereich des Arbeitsschutzes und der Unfallverhütung wahrzunehmen. Dazu gehören Datum, Uhrzeit, Ort des Unfalls, Unfallhergang und die Art der erlittenen Verletzungen. Informationen über den Namen des betroffenen Arbeitnehmers, das beteiligte Servicepartnerunternehmen und weitere Details wie Anschrift, Arbeitsunfähigkeit und Namen von Unfallzeugen wurden jedoch als nicht erforderlich für die Aufgabenwahrnehmung des Betriebsrats angesehen und folglich abgewiesen. Weiterhin hat der Betriebsrat keinen Anspruch auf Vorlage der Unfallanzeigen, da die Arbeitgeberin keine Pflicht zur Erstellung dieser Anzeigen hat.