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Aktuelle Änderungen im Arbeits- und Betriebsverfassungsrecht

Aktu­el­le Ände­run­gen im Arbeits- und Betriebs­ver­fas­sungs­recht, Stand 18.06.2023

Aktuelle Änderungen im Arbeits- und Betriebsverfassungsrecht

Inhalt

In der sich stän­dig wan­deln­den Arbeits­welt ist es uner­läss­lich, sich stets auf dem neu­es­ten Stand der aktu­el­len Geset­ze und Recht­spre­chun­gen zu hal­ten. Ver­än­de­run­gen im Arbeits- und Betriebs­ver­fas­sungs­recht kön­nen weit­rei­chen­de Aus­wir­kun­gen auf Unter­neh­men, Arbeit­neh­mer und Betriebs­rä­te haben. Ob es um Fra­gen der Arbeits­zeit, des Daten­schut­zes, der Mit­be­stim­mung oder der beruf­li­chen Wei­ter­bil­dung geht – Kennt­nis­se über aktu­el­le Geset­ze und Urtei­le sind von zen­tra­ler Bedeu­tung.

In die­sem Semi­nar wer­den wir uns inten­siv mit den wesent­li­chen Ände­run­gen im Arbeits- und Betriebs­ver­fas­sungs­recht seit dem Jah­res­en­de 2019 befas­sen. Unser Fokus liegt dabei auf den Geset­zen, die in den letz­ten Jah­ren erlas­sen wur­den, sowie auf den Gerichts­ent­schei­dun­gen, die in die­sem Zeit­raum von beson­de­rer Bedeu­tung waren. Beson­de­re Auf­merk­sam­keit wer­den das Qua­li­fi­zie­rungs­chan­cen­ge­setz, das Arbeit-von-mor­gen-Gesetz und das Betriebs­rä­te­mo­der­ni­sie­rungs­ge­setz erhal­ten.

Das Qua­li­fi­zie­rungs­chan­cen­ge­setz und das Arbeit-von-mor­gen-Gesetz reprä­sen­tie­ren einen bedeu­ten­den Schritt in Rich­tung Anpas­sung der Arbeits­ge­setz­ge­bung an die Her­aus­for­de­run­gen der moder­nen Arbeits­welt. Sie beto­nen die Rol­le der beruf­li­chen Wei­ter­bil­dung und stel­len neue Mög­lich­kei­ten der Qua­li­fi­zie­rung und För­de­rung bereit. Das Betriebs­rä­te­mo­der­ni­sie­rungs­ge­setz hin­ge­gen zielt auf die Stär­kung der Betriebs­rä­te und die Moder­ni­sie­rung ihrer Arbeit ab. Wir wer­den die­se Geset­ze im Detail bespre­chen.

Neben den Geset­zen wer­den wir auch die Recht­spre­chung betrach­ten, das soge­nann­te „Rich­ter­recht“. Aktu­el­le Urtei­le von Arbeits- und Sozi­al­ge­rich­ten kön­nen einen erheb­li­chen Ein­fluss auf die Aus­le­gung und Anwen­dung der Geset­ze haben und sind daher eben­so wich­tig zu ver­ste­hen.

Ziel die­ses Semi­nars ist es, den Teil­neh­men­den einen umfas­sen­den Über­blick über die jüngs­ten Ent­wick­lun­gen im Arbeits- und Betriebs­ver­fas­sungs­recht zu geben und Ihnen die Werk­zeu­ge an die Hand zu geben, um die Aus­wir­kun­gen die­ser Ent­wick­lun­gen in Ihrer täg­li­chen Arbeit bes­ser zu ver­ste­hen und zu mana­gen.

1.1 Die Auswirkungen der Jahrhunderterklärung der Internationalen Arbeitsorganisation auf das deutsche Arbeitsrecht

Die Inter­na­tio­na­le Arbeits­or­ga­ni­sa­ti­on (IAO) hat im Lau­fe ihrer hun­dert­jäh­ri­gen Geschich­te eine ent­schei­den­de Rol­le bei der Gestal­tung des Arbeits­rechts und der Arbeits­prak­ti­ken welt­weit gespielt.

Im Jahr 2019 ver­ab­schie­de­te die IAO ihre Jahr­hun­dert­erklä­rung, ein weg­wei­sen­des Doku­ment, das die Zukunft der Arbeit und die Rol­le der IAO in die­ser Zukunft skiz­ziert. Die­ser Arti­kel unter­sucht die Aus­wir­kun­gen die­ser Erklä­rung auf das deut­sche Arbeits­recht.

1.1.1 Die Internationale Arbeitsorganisation (IAO)

Die IAO wur­de 1919 gegrün­det und ist die ältes­te Son­der­or­ga­ni­sa­ti­on der Ver­ein­ten Natio­nen. Sie hat sich der För­de­rung von sozia­ler Gerech­tig­keit und men­schen­wür­di­ger Arbeit ver­schrie­ben und spielt eine ent­schei­den­de Rol­le bei der Fest­le­gung und Durch­set­zung inter­na­tio­na­ler Arbeits­stan­dards.

1.1.2 Jahrhunderterklärung der IAO

Die Jahr­hun­dert­erklä­rung der IAO wur­de am 21. Juni 2019 von der Inter­na­tio­na­len Arbeits­kon­fe­renz ver­ab­schie­det. Sie betont die Not­wen­dig­keit von Inves­ti­tio­nen in Infra­struk­tur und stra­te­gi­sche Berei­che, um den tief­grei­fen­den Ver­än­de­run­gen in der Arbeits­welt zu begeg­nen, und for­dert Poli­ti­ken und Anrei­ze, die nach­hal­ti­ges und inklu­si­ves Wirt­schafts­wachs­tum, die Grün­dung und Ent­wick­lung nach­hal­ti­ger Unter­neh­men und den Über­gang von der infor­mel­len zur for­mel­len Wirt­schaft för­dern.

1.1.3 Die Auswirkungen der Jahrhunderterklärung auf das Arbeitsrecht

Die Jahr­hun­dert­erklä­rung betont die Bedeu­tung der Fest­le­gung, För­de­rung und Rati­fi­zie­rung inter­na­tio­na­ler Arbeits­nor­men und der Über­wa­chung ihrer Ein­hal­tung. Sie for­dert die IAO auf, über einen kla­ren, robus­ten, aktu­el­len und rele­van­ten Bestand an inter­na­tio­na­len Arbeits­nor­men zu ver­fü­gen und ihn zu för­dern und die Trans­pa­renz wei­ter zu stei­gern. Die­se For­de­run­gen haben direk­te Aus­wir­kun­gen auf das Arbeits­recht, da sie die Not­wen­dig­keit beto­nen, Arbeits­ge­set­ze und ‑prak­ti­ken an inter­na­tio­na­le Stan­dards anzu­pas­sen und die Ein­hal­tung die­ser Stan­dards zu über­wa­chen.

1.1.4 Die Bedeutung der Jahrhunderterklärung für das deutsche Arbeitsrecht

In Deutsch­land hat die Jahr­hun­dert­erklä­rung das Poten­zi­al, das Arbeits­recht in meh­re­ren Berei­chen zu beein­flus­sen. Sie könn­te dazu füh­ren, dass das deut­sche Arbeits­recht stär­ker auf die För­de­rung von sozia­ler Gerech­tig­keit, die Ver­bes­se­rung der Arbeits­be­din­gun­gen und die Gewähr­leis­tung der Ein­hal­tung inter­na­tio­na­ler Arbeits­nor­men aus­ge­rich­tet wird. Dar­über hin­aus könn­te sie die Not­wen­dig­keit beto­nen, das Arbeits­recht an die sich wan­deln­den Struk­tu­ren der Arbeits­welt anzu­pas­sen.

1.1.5 Schlussfolgerung

Die Jahr­hun­dert­erklä­rung der IAO bie­tet eine wich­ti­ge Ori­en­tie­rung für die Gestal­tung des Arbeits­rechts in Deutsch­land und welt­weit. Sie betont die Not­wen­dig­keit, das Arbeits­recht an die sich wan­deln­den Struk­tu­ren der Arbeits­welt anzu­pas­sen und die Ein­hal­tung inter­na­tio­na­ler Arbeits­nor­men zu über­wa­chen. Mit dem zuneh­men­den Ein­satz von KI am Arbeits­platz wird es immer wich­ti­ger, die­se Prin­zi­pi­en zu beher­zi­gen und sicher­zu­stel­len, dass die Vor­tei­le der KI allen zugu­te­kom­men, wäh­rend gleich­zei­tig die Her­aus­for­de­run­gen, die sie mit sich bringt, ange­gan­gen wer­den.

1.1.6 Quellen:

Jahr­hun­dert­erklä­rung der Inter­na­tio­na­len Arbeits­or­ga­ni­sa­ti­on für die Zukunft der Arbeit, 21. Juni 2019:

https://www.ilo.org/wcmsp5/groups/public/—europe/—ro-geneva/—ilo-berlin/documents/publication/wcms_748746.pdf

Arti­kel zur Jahr­hun­dert­erklä­rung der ILO auf der ibp.Betriebsratscloud:

1.2 Die Rolle von ESG im Arbeitsrecht: Was Unternehmen wissen müssen

In der heu­ti­gen Geschäfts­welt spielt ESG (Envi­ron­men­tal, Social, Gover­nan­ce) eine immer wich­ti­ge­re Rol­le. Unter­neh­men wer­den zuneh­mend dafür ver­ant­wort­lich gemacht, wie sie sich auf die Umwelt, die Gesell­schaft und die Unter­neh­mens­füh­rung aus­wir­ken. Dies hat auch Aus­wir­kun­gen auf das Arbeits­recht, da Unter­neh­men nun bestimm­te Stan­dards ein­hal­ten müs­sen, die sowohl intern als auch ent­lang ihrer Lie­fer­ket­ten gel­ten.

1.2.1 ESG und das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz

Seit dem 1. Janu­ar 2023 ist das Lie­fer­ket­ten­sorg­falts­pflich­ten­ge­setz in Kraft. Die­ses Gesetz ver­pflich­tet Unter­neh­men, ent­lang ihrer gesam­ten Lie­fer­ket­te Men­schen­rech­te und Umwelt­stan­dards ein­zu­hal­ten. Im Arbeits­recht bedeu­tet dies, dass Unter­neh­men einen ange­mes­se­nen Lohn zah­len müs­sen, der min­des­tens dem jeweils gel­ten­den gesetz­li­chen Min­dest­lohn ent­spricht. Unter­neh­men müs­sen pro­ak­tiv Maß­nah­men ergrei­fen, um sicher­zu­stel­len, dass ihre Lie­fer­ket­ten die­se Stan­dards erfül­len.

1.2.2 Nachhaltige Vergütungspolitik

Bör­sen­no­tier­te Unter­neh­men sind gesetz­lich ver­pflich­tet, eine nach­hal­ti­ge Ver­gü­tungs­po­li­tik zu ver­fol­gen. Nach dem ARUG II (Gesetz zur Umset­zung der zwei­ten Aktio­närs­richt­li­nie) muss die Ver­gü­tungs­struk­tur der Vor­stands­mit­glie­der auf eine nach­hal­ti­ge und lang­fris­ti­ge Ent­wick­lung der Gesell­schaft aus­ge­rich­tet sein. Dies bedeu­tet, dass die Ver­gü­tung der Vor­stands­mit­glie­der nicht nur auf kurz­fris­ti­ge Gewin­ne aus­ge­rich­tet sein soll­te, son­dern auch die lang­fris­ti­gen Aus­wir­kun­gen ihrer Ent­schei­dun­gen auf die Umwelt und die Gesell­schaft berück­sich­ti­gen soll­te.

1.2.3 Die EU-Richtlinie über die Nachhaltigkeitsberichterstattung (CSRD)

Die Cor­po­ra­te Sus­taina­bi­li­ty Report­ing Direc­ti­ve (CSRD) der EU, die Anfang 2023 in Kraft getre­ten ist, erwei­tert und ersetzt die bis­he­ri­ge Richt­li­nie zur nicht­fi­nan­zi­el­len Bericht­erstat­tung (NFRD). Sie führt zu einer umfas­sen­de­ren Nach­hal­tig­keits­be­richt­erstat­tung und betrifft etwa 15.000 Unter­neh­men in Deutsch­land, dar­un­ter bör­sen­no­tier­te Unter­neh­men, Ban­ken und Ver­si­che­run­gen. Die­se Unter­neh­men müs­sen detail­lier­te Infor­ma­tio­nen über ihre sozia­len und öko­lo­gi­schen Aus­wir­kun­gen sowie ihre Stra­te­gien zur Bewäl­ti­gung von Nach­hal­tig­keits­ri­si­ken ver­öf­fent­li­chen.

Die Umset­zung der CSRD stellt eine gro­ße Her­aus­for­de­rung dar, da Unter­neh­men ihre inter­nen Pro­zes­se anpas­sen und sicher­stel­len müs­sen, dass ihre Berich­te den neu­en Euro­pean Sus­taina­bi­li­ty Report­ing Stan­dards (ESRS) ent­spre­chen.

Die CSRD soll die Trans­pa­renz und Ver­gleich­bar­keit von Nach­hal­tig­keits­in­for­ma­tio­nen ver­bes­sern und so eine bes­se­re Ent­schei­dungs­grund­la­ge für Inves­to­ren, Kun­den und ande­re Stake­hol­der bie­ten.

1.2.4 Equal Pay statt Gender Pay Gap

ESG im Arbeits­recht umfasst auch das Prin­zip des Equal Pay, bei dem Unter­neh­men glei­che Ver­gü­tung für gleich­wer­ti­ge Arbeit unab­hän­gig vom Geschlecht gewähr­leis­ten sol­len. Dies för­dert Fair­ness, Gleich­stel­lung und Diver­si­tät.

Ein aktu­el­les Urteil des Bun­des­ar­beits­ge­richts stärkt den Equal-Pay-Grund­satz, unter­stützt sozia­le Gerech­tig­keit und Geschlech­ter­gleich­stel­lung. Trotz­dem bleibt der Gen­der Pay Gap eine Her­aus­for­de­rung im ESG-Kon­text, die Unter­neh­men durch akti­ves Enga­ge­ment für fai­re Ent­loh­nung und Chan­cen­gleich­heit ange­hen soll­ten, um ihn zu ver­rin­gern.

1.2.5 Die Rolle des Betriebsrats bei der Gestaltung von ESG-Konzepten

Der Betriebs­rat spielt eine wich­ti­ge Rol­le bei der Umset­zung von ESG-Kon­zep­ten im Unter­neh­men. Obwohl der Betriebs­rat nicht erzwin­gen kann, dass sich der Arbeit­ge­ber dem The­ma wid­met, hat er im Rah­men der Aus­ge­stal­tung bei ver­schie­de­nen The­men Mit­be­stim­mungs­rech­te. Dies bedeu­tet, dass der Betriebs­rat aktiv an der Gestal­tung und Umset­zung von ESG-Kon­zep­ten im Unter­neh­men betei­ligt sein soll­te.

1.2.6 Fazit und Ausblick

ESG und Arbeits­recht sind eng mit­ein­an­der ver­knüpft. Unter­neh­men, die das The­ma ESG zu lan­ge vor sich her­schie­ben, ris­kie­ren nicht nur den Ver­lust von Kun­den­be­zie­hun­gen und Repu­ta­ti­ons­schä­den, son­dern auch Kla­gen betrof­fe­ner Arbeit­neh­mer. Daher soll­ten sie sich pro­ak­tiv mit dem The­men­kom­plex ESG im Arbeits­recht befas­sen und nach­hal­ti­ge Stan­dards ein­füh­ren. Die Rol­le des Betriebs­rats bei der Gestal­tung von ESG-Kon­zep­ten ist dabei von ent­schei­den­der Bedeu­tung. Es ist an der Zeit, dass Unter­neh­men ESG nicht mehr als blo­ße Com­pli­ance-Auf­ga­be sehen, son­dern als Chan­ce, ihre Arbeits­prak­ti­ken zu ver­bes­sern und einen posi­ti­ven Bei­trag zur Gesell­schaft und zur Umwelt zu leis­ten.

1.3 Arbeitswelt-Report 2023 und die doppelte Transformation

Im Mai 2023 wur­de der drit­te Arbeits­welt-Report ver­öf­fent­licht, eine jähr­li­che Publi­ka­ti­on, die einen tie­fen Ein­blick in die aktu­el­le und zukünf­ti­ge Land­schaft der Arbeits­welt in Deutsch­land bie­tet. Der ers­te Report, der im Jahr 2021 ver­öf­fent­licht wur­de, stand noch im Zei­chen der unmit­tel­ba­ren Aus­wir­kun­gen der Covid-19-Pan­de­mie und der damit ver­bun­de­nen Her­aus­for­de­run­gen für die Arbeits­welt. Doch mit jedem wei­te­ren Jahr und jedem wei­te­ren Report hat sich der Fokus ver­scho­ben und erwei­tert, um die sich stän­dig ver­än­dern­den Dyna­mi­ken und Her­aus­for­de­run­gen der Arbeits­welt zu erfas­sen. Par­al­lel dazu bie­tet das Arbeits­welt­por­tal, eine Initia­ti­ve des Bun­des­mi­nis­te­ri­ums für Arbeit und Sozia­les, eine Fül­le von Infor­ma­tio­nen, Daten und Fak­ten rund um die Arbeits­welt.

1.3.1 Hintergrund und Kontext der Transformation

Die Arbeits­welt befin­det sich in einem stän­di­gen Wan­del. Die aktu­el­le Pha­se der Trans­for­ma­ti­on ist jedoch von beson­de­rer Bedeu­tung, da sie zwei gro­ße Ver­än­de­run­gen umfasst: die digi­ta­le und die öko­lo­gi­sche Trans­for­ma­ti­on. Die­se Ver­än­de­run­gen sind tief­grei­fend und haben weit­rei­chen­de Aus­wir­kun­gen auf die Art und Wei­se, wie wir arbei­ten und wie Unter­neh­men funk­tio­nie­ren. Die digi­ta­le Trans­for­ma­ti­on hat die Arbeits­welt bereits erheb­lich ver­än­dert, indem sie neue Tech­no­lo­gien und Arbeits­wei­sen ein­ge­führt hat. Die öko­lo­gi­sche Trans­for­ma­ti­on hin­ge­gen steht noch am Anfang, wird aber zwei­fel­los erheb­li­che Aus­wir­kun­gen auf die Arbeits­welt haben, ins­be­son­de­re in Bezug auf Nach­hal­tig­keit und Umwelt­schutz. Das Arbeits­welt­por­tal ana­ly­siert die­se und wei­te­re Fak­to­ren, die Umbrü­che in der Arbeits­welt ver­ur­sa­chen, wie den demo­gra­fi­schen Wan­del, sin­ken­de Tarif­bin­dung und Platt­form­ar­beit.

1.3.2 Der Rat der Arbeitswelt

Eine zen­tra­le Rol­le bei der Gestal­tung und Ana­ly­se der Trans­for­ma­ti­on der Arbeits­welt spielt der Rat der Arbeits­welt. Die­ses inter­dis­zi­pli­nä­re Exper­ten­gre­mi­um wur­de im Janu­ar 2020 vom Bun­des­mi­nis­te­ri­um für Arbeit und Sozia­les (BMAS) ins Leben geru­fen und agiert unab­hän­gig auf Grund­la­ge sei­nes Man­dats. Der Rat ver­ant­wor­tet den Arbeits­welt-Bericht und hat die Auf­ga­be, Poli­tik, betrieb­li­che Pra­xis und Öffent­lich­keit regel­mä­ßig zum Wan­del der Arbeits­welt zu infor­mie­ren und zu bera­ten. Die Mit­glie­der des Rates sind inter­dis­zi­pli­när und pra­xis­be­zo­gen, um auch bei Unter­neh­men, Beschäf­tig­ten und Sozi­al­part­nern Gehör zu fin­den.

1.3.3 Die Rolle des Betriebs als Transformationsort

Betrie­be sind die Haupt­ak­teu­re in die­ser dop­pel­ten Trans­for­ma­ti­on. Sie sind es, die die neu­en Tech­no­lo­gien ein­füh­ren und umset­zen und die neu­en Arbeits­wei­sen und ‑metho­den ent­wi­ckeln müs­sen. Dabei ste­hen sie vor der Her­aus­for­de­rung, die­se Ver­än­de­run­gen in einer Wei­se zu bewäl­ti­gen, die sowohl für das Unter­neh­men als auch für die Mit­ar­bei­te­rin­nen und Mit­ar­bei­ter vor­teil­haft ist. Eine zen­tra­le Rol­le spielt dabei das Kon­zept der nach­hal­ti­gen Arbeit. Nach­hal­ti­ge Arbeit ist men­schen­ge­recht und zielt dar­auf ab, das Erwerbs­ver­mö­gen der Mit­ar­bei­te­rin­nen und Mit­ar­bei­ter lang­fris­tig zu erhal­ten.

Sie berück­sich­tigt das Wech­sel­ver­hält­nis zwi­schen Arbeit, der öko­lo­gi­schen und sozia­len Lebens­grund­la­ge und wirt­schaft­li­cher Pro­duk­ti­vi­tät. Nach­hal­ti­ge Arbeit ist somit sowohl Mit­tel als auch Ziel der Trans­for­ma­ti­on auf betrieb­li­cher Ebe­ne.

1.3.4 Beschäftigungsfähigkeit als Voraussetzung und Ziel von Transformation

Ange­sichts des demo­gra­fi­schen Wan­dels und des damit ver­bun­de­nen sin­ken­den Erwerbs­per­so­nen­po­ten­zi­als ist es wich­tig, den Fokus auf den Erhalt der Beschäf­ti­gungs­fä­hig­keit und ‑moti­va­ti­on zu legen. Es gilt, in allen Bran­chen und Beru­fen nach­hal­ti­ge Arbeit und attrak­ti­ve Arbeits­be­din­gun­gen zu schaf­fen, um den wach­sen­den Bedarf an Arbeits- und Fach­kräf­ten zu decken.

1.3.5 Bedarfsgerechte und transparente Weiterbildungsstrukturen

Die Anpas­sung von Kom­pe­ten­zen und Qua­li­fi­ka­tio­nen ist eine wesent­li­che Vor­aus­set­zung für die erfolg­rei­che Bewäl­ti­gung der dop­pel­ten Trans­for­ma­ti­on. Es ist wich­tig, Wei­ter­bil­dung als vier­te Säu­le des deut­schen Bil­dungs­sys­tems zu eta­blie­ren und indi­vi­du­el­le und betrieb­li­che Hemm­nis­se bei der Wei­ter­bil­dungs­be­tei­li­gung abzu­bau­en. Die För­de­rung von lebens­lan­gem Ler­nen und die Ent­wick­lung von Kom­pe­ten­zen, die für die digi­ta­le und öko­lo­gi­sche Trans­for­ma­ti­on rele­vant sind, soll­ten im Mit­tel­punkt der Wei­ter­bil­dungs­stra­te­gien ste­hen.

1.3.6 Tragfähige Rahmenbedingungen in einer flexiblen Arbeitswelt

Die dop­pel­te Trans­for­ma­ti­on kann neue Mög­lich­kei­ten für fle­xi­ble Lösun­gen auf betrieb­li­cher Ebe­ne eröff­nen. Es ist wich­tig, die­se Poten­zia­le in der Aus­ge­stal­tung von Arbeits­ort, ‑zeit und ‑orga­ni­sa­ti­on zu nut­zen, um sowohl die Fle­xi­bi­li­tät der Unter­neh­men als auch der Beschäf­tig­ten zu för­dern. Fle­xi­bi­li­tät kann dazu bei­tra­gen, die Arbeits­zu­frie­den­heit und Pro­duk­ti­vi­tät zu erhö­hen und gleich­zei­tig die Ver­ein­bar­keit von Beruf und Pri­vat­le­ben zu ver­bes­sern.

1.3.7 Sektorübergreifende Kooperation für soziale Sicherheit in der Transformation

Die Trans­for­ma­ti­on stellt viel­fäl­ti­ge Her­aus­for­de­run­gen an die sozia­le Sicher­heit. Es bedarf Stra­te­gien, die dazu bei­tra­gen kön­nen, indi­vi­du­el­le Risi­ken infol­ge von Trans­for­ma­ti­ons­pro­zes­sen und deren gesell­schaft­li­che Kon­se­quen­zen zu mini­mie­ren. Eine sek­tor­über­grei­fen­de Zusam­men­ar­beit kann dazu bei­tra­gen, die­se Her­aus­for­de­run­gen zu bewäl­ti­gen und eine sozia­le Sicher­heit zu gewähr­leis­ten, die den Bedürf­nis­sen einer sich ver­än­dern­den Arbeits­welt gerecht wird.

1.3.8 Das Arbeitsweltportal: Eine Ressource für die Zukunft der Arbeit

Das Arbeits­welt­por­tal ist eine wert­vol­le Res­sour­ce für alle, die sich für die Zukunft der Arbeit inter­es­sie­ren. Es bie­tet eine Fül­le von Infor­ma­tio­nen, Daten und Fak­ten rund um die Arbeits­welt und ana­ly­siert ver­schie­de­ne Fak­to­ren, die Umbrü­che in der Arbeits­welt ver­ur­sa­chen. Mit sei­nen Info­gra­fi­ken, inter­ak­ti­ven Daten­sets, Inter­views und Dis­kus­sio­nen bie­tet das Por­tal eine aus­ge­wo­ge­ne Per­spek­ti­ve auf die Ent­wick­lun­gen in der Arbeits­welt.

1.3.9 Fazit und Ausblick

Die dop­pel­te Trans­for­ma­ti­on der Arbeits­welt ist eine Her­aus­for­de­rung, die wir gemein­sam bewäl­ti­gen müs­sen. Der Arbeits­welt-Report 2023 bie­tet wert­vol­le Ein­bli­cke und Emp­feh­lun­gen, wie wir die­se Her­aus­for­de­rung bewäl­ti­gen kön­nen. Es ist an der Zeit, dass wir die­se Emp­feh­lun­gen in die Pra­xis umset­zen und eine Arbeits­welt schaf­fen, die sowohl den Bedürf­nis­sen der Unter­neh­men als auch der Beschäf­tig­ten gerecht wird. Für Betriebs­rä­te und ande­re betrieb­li­che Akteu­re bie­tet der Bericht eine Fül­le von Infor­ma­tio­nen und Anre­gun­gen, wie sie ihre Rol­le in der Trans­for­ma­ti­on der Arbeits­welt gestal­ten kön­nen. Es ist an der Zeit, dass wir die­se Trans­for­ma­ti­on als Chan­ce begrei­fen und die Wei­chen für eine nach­hal­ti­ge, men­schen­ge­rech­te und zukunfts­fä­hi­ge Arbeits­welt stel­len.

1.3.10 Quellen:

Arti­kel zum Arbeits­welt Bericht 2023 auf der ibp.Betriebsratscloud:

1.4 Die sich wandelnden Kompetenzanforderungen: Einblicke aus der KOFA-Studie 2/2023

In einer aktu­el­len Stu­die, die im Mai 2023 vom Kom­pe­tenz­zen­trum Fach­kräf­te­si­che­rung (KOFA) ver­öf­fent­licht wur­de, wird der Zusam­men­hang zwi­schen öko­lo­gi­scher Nach­hal­tig­keit und per­so­nal­po­li­ti­schen Maß­nah­men in Unter­neh­men unter­sucht.

Die Stu­die zeigt, dass vie­le Unter­neh­men ihre Pro­duk­te, Dienst­leis­tun­gen und Arbeits­pro­zes­se bereits an öko­lo­gi­scher Nach­hal­tig­keit aus­rich­ten. Aller­dings könn­te der Fach­kräf­te­man­gel den öko­lo­gi­schen Wan­del hem­men, da sechs von zehn Unter­neh­men den all­ge­mei­nen Per­so­nal- und Fach­kräf­te­man­gel sowie feh­len­des Wis­sen als Her­aus­for­de­rung für mehr öko­lo­gi­sche Nach­hal­tig­keit sehen.

Die Stu­die zeigt eben­falls, dass die Anfor­de­run­gen an die Kom­pe­ten­zen der Mit­ar­bei­ter sich ver­än­dern und dass Unter­neh­men Stra­te­gien ent­wi­ckeln müs­sen, um die­sen Her­aus­for­de­run­gen zu begeg­nen.

Wei­te­re Ein­bli­cke und Details fin­den Sie in unse­rem voll­stän­di­gen Arti­kel:

1.5 Zukunftskompetenzen: Schlüsselqualifikationen für die Arbeitswelt von morgen

In einer sich stän­dig ver­än­dern­den Arbeits­welt, sowohl in der Pri­vat­wirt­schaft als auch im öffent­li­chen Sek­tor, sind bestimm­te Fähig­kei­ten und Kennt­nis­se uner­läss­lich, um Schritt zu hal­ten und erfolg­reich zu sein. Die­se Fähig­kei­ten, die als „Zukunfts­kom­pe­ten­zen“ bezeich­net wer­den, sind Schlüs­sel­qua­li­fi­ka­tio­nen, die in der Arbeits­welt von mor­gen von ent­schei­den­der Bedeu­tung sein wer­den. Sie umfas­sen ins­be­son­de­re

  • digi­ta­le Kom­pe­tenz,
  • öko­lo­gi­sches Bewusst­sein,
  • kri­ti­sches Den­ken,
  • Krea­ti­vi­tät
  • emo­tio­na­le Intel­li­genz und
  • Anpas­sungs­fä­hig­keit.

Unter­neh­men, Bil­dungs­ein­rich­tun­gen, öffent­li­che Ein­rich­tun­gen und Ein­zel­per­so­nen spie­len alle eine ent­schei­den­de Rol­le bei der För­de­rung die­ser Kom­pe­ten­zen.

1.6 Die Rolle des Betriebsrats in der digitalen Transformation: Einblicke aus der Hans-Böckler-Studie

In einer aktu­el­len Stu­die der Hans-Böck­ler-Stif­tung mit dem Titel „Betriebs­rä­te in der dop­pel­ten Trans­for­ma­ti­on“ wur­de die Rol­le von Betriebs­rä­ten in der digi­ta­len Trans­for­ma­ti­on unter­sucht.

Die Stu­die, die neun Betriebs­rats­gre­mi­en bei der Gestal­tung ihrer digi­ta­len Trans­for­ma­ti­on beglei­tet hat, zeigt, dass Betriebs­rä­te eine ent­schei­den­de Rol­le bei der Gestal­tung der digi­ta­len Trans­for­ma­ti­on spie­len kön­nen. Sie kön­nen dazu bei­tra­gen, die Aus­wir­kun­gen der digi­ta­len Trans­for­ma­ti­on auf die Beschäf­tig­ten zu mil­dern und gleich­zei­tig die Wett­be­werbs­fä­hig­keit des Unter­neh­mens zu stär­ken. Die Stu­die betont auch die Bedeu­tung von Wei­ter­bil­dung und Qua­li­fi­zie­rung im Kon­text der digi­ta­len Trans­for­ma­ti­on.

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2. Aktuelle Gesetzesänderungen

Seit dem Jahr 2020 wur­den in Deutsch­land zahl­rei­che Geset­zes­än­de­run­gen auf dem Gebiet des Arbeits- und Betriebs­ver­fas­sungs­rechts ein­ge­führt. Die­se haben weit­rei­chen­de Aus­wir­kun­gen auf Arbeit­neh­mer, Arbeit­ge­ber und Betriebs­rä­te. Beson­ders bedeu­tend waren Neu­re­ge­lun­gen in den Berei­chen des Min­dest­lohns, des Min­dest­lohns für Aus­zu­bil­den­de, der Erwei­te­rung des Kurz­ar­bei­ter­gel­des, der Digi­ta­li­sie­rung von Krank­mel­dung und Arbeits­lo­sen­mel­dung sowie Steu­er­erleich­te­run­gen im Arbeits­recht.

Obwohl wir uns in die­sem Skript haupt­säch­lich auf die neu­es­ten Ände­run­gen kon­zen­trie­ren wer­den, möch­ten wir zu Beginn unse­rer Betrach­tung das soge­nann­te „Arbeit-von-mor­gen-Gesetz“ her­vor­he­ben.

Obwohl die­ses Gesetz bereits im Jahr 2020 in Kraft getre­ten ist, stellt es den Beginn einer bedeu­ten­den gesetz­li­chen Ent­wick­lung dar, die die Arbeits­welt in Deutsch­land nach­hal­tig ver­än­dert hat und wei­ter­hin ver­än­dert.

2.1 Das Arbeit-von-morgen-Gesetz

Das Arbeit-von-mor­gen-Gesetz ist eine Schlüs­sel­maß­nah­me der Bun­des­re­gie­rung, um Arbeit­neh­mer und Unter­neh­men in Deutsch­land auf den tech­no­lo­gi­schen Struk­tur­wan­del und die dar­aus resul­tie­ren­den Her­aus­for­de­run­gen vor­zu­be­rei­ten.

Durch eine ver­stärk­te För­de­rung von Wei­ter­bil­dung und Qua­li­fi­zie­rung zielt das Gesetz dar­auf ab, die Anpas­sungs­fä­hig­keit und Wett­be­werbs­fä­hig­keit des deut­schen Arbeits­mark­tes zu stär­ken.

2.1.1 Einleitung

Obwohl das Gesetz bereits 2020 in Kraft getre­ten ist, sind die Aus­wir­kun­gen und Impli­ka­tio­nen nach wie vor sehr rele­vant. Dar­über hin­aus legt es den Grund­stein für vie­le der neue­ren Geset­zes­än­de­run­gen, die wir in die­sem Skript dis­ku­tie­ren wer­den.

2.1.1.1 Hintergrund und Zielsetzung des Gesetzes

Das „Arbeit-von-mor­gen-Gesetz“, ursprüng­lich im Febru­ar 2020 unter der alten Bun­des­re­gie­rung auf den Weg gebracht, stellt einen wich­ti­gen Schritt zur Ver­bes­se­rung der Arbeits­markt­po­li­tik und zur Bewäl­ti­gung der Her­aus­for­de­run­gen der digi­ta­len Trans­for­ma­ti­on in Deutsch­land dar. Das Gesetz zielt dar­auf ab, die Arbeits­för­de­rung zu stär­ken, die Wei­ter­bil­dung zu för­dern und das Kurz­ar­bei­ter­geld fle­xi­bler und effek­ti­ver zu gestal­ten.

2.1.1.2 Bedeutung für den Arbeitsmarkt und Betriebsverfassungsrecht

Das Gesetz hat erheb­li­che Aus­wir­kun­gen auf den Arbeits­markt und die Arbeits­welt. Es ermög­licht es Arbeit­neh­mern, ihre Fähig­kei­ten und Qua­li­fi­ka­tio­nen durch Wei­ter­bil­dung zu ver­bes­sern, um den Anfor­de­run­gen des digi­ta­len Zeit­al­ters gerecht zu wer­den. Dar­über hin­aus stärkt es die Rol­le der Betriebs­rä­te in Fra­gen der Qua­li­fi­zie­rung und Wei­ter­bil­dung.

2.1.2 Hauptbestandteile des Gesetzes

2.1.2.1 Arbeitsförderung
2.1.2.1.1 Betriebliche Weiterbildung

Das Gesetz ermög­licht es Unter­neh­men, bei der Durch­füh­rung betrieb­li­cher Wei­ter­bil­dungs­maß­nah­men finan­zi­el­le Unter­stüt­zung zu erhal­ten. Durch die Anpas­sung des § 81 des Drit­ten Buches Sozi­al­ge­setz­buch (SGB III) wur­de das Instru­ment der För­de­rung betrieb­li­cher Wei­ter­bil­dung gestärkt.

2.1.2.1.2 Außerbetriebliche Weiterbildung

Für die außer­be­trieb­li­che Wei­ter­bil­dung bie­tet das Gesetz eben­falls Unter­stüt­zung, indem es den Zugang zu Wei­ter­bil­dungs­maß­nah­men erleich­tert und die Kos­ten­über­nah­me durch die Bun­des­agen­tur für Arbeit ermög­licht.

2.1.2.1.3 Unterstützung bei der Eingliederung von Arbeitslosen

Das Gesetz ver­bes­sert die Mög­lich­kei­ten zur Unter­stüt­zung von Arbeits­lo­sen bei ihrer Ein­glie­de­rung in den Arbeits­markt. Durch die Anpas­sung von § 16 SGB III wird das Ein­glie­de­rungs­ma­nage­ment ver­bes­sert und erwei­tert.

2.1.2.2 Reform des Kurzarbeitergeldes
2.1.2.2.1 Flexibilität in Krisenzeiten

Das Gesetz ermög­licht es Unter­neh­men, in Kri­sen­zei­ten fle­xi­bler auf wirt­schaft­li­che Schwan­kun­gen zu reagie­ren. Durch die Ände­run­gen im § 95 SGB III wird die Fle­xi­bi­li­tät des Kurz­ar­bei­ter­gel­des erhöht und eine schnel­le­re Anpas­sung an wirt­schaft­li­che Ver­än­de­run­gen ermög­licht.

2.1.2.2.2 Verlängerung der Bezugsdauer

Die maxi­ma­le Bezugs­dau­er für das Kurz­ar­bei­ter­geld wur­de auf 24 Mona­te ver­län­gert. Dadurch haben Unter­neh­men mehr Zeit, sich von wirt­schaft­li­chen Schwie­rig­kei­ten zu erho­len.

2.1.2.3 Qualifizierung von Arbeitnehmern
2.1.2.3.1 Anspruch auf Weiterbildungsberatung

Das Gesetz stärkt das Recht der Arbeit­neh­mer auf Bera­tung zur beruf­li­chen Ent­wick­lung. Jeder Arbeit­neh­mer hat nun einen Anspruch auf eine Wei­ter­bil­dungs­be­ra­tung durch die Bun­des­agen­tur für Arbeit (§ 45 SGB III).

2.1.2.3.2 Möglichkeit zur Teilnahme an Weiterbildungsmaßnahmen

Arbeit­neh­mer haben nun das Recht, an Wei­ter­bil­dungs­maß­nah­men teil­zu­neh­men, wenn die­se zur Siche­rung ihres Arbeits­plat­zes not­wen­dig sind oder wenn sie von Arbeits­lo­sig­keit bedroht sind (§ 81 SGB III).

2.1.3 Rolle der Betriebsräte bei Weiterbildung

2.1.3.1 Initiativrecht zur Einführung von Qualifizierungsmaßnahmen

Das Gesetz stärkt die Rol­le der Betriebs­rä­te bei der Wei­ter­bil­dung. Sie haben jetzt ein Initia­tiv­recht zur Ein­füh­rung von Qua­li­fi­zie­rungs­maß­nah­men und kön­nen aktiv Vor­schlä­ge zur Ver­bes­se­rung der Qua­li­fi­zie­rung im Betrieb ein­brin­gen (§ 97 BetrVG).

2.1.3.2 Beteiligung bei Planung und Durchführung von Weiterbildungsmaßnahmen

Die Betriebs­rä­te sind nun stär­ker in die Pla­nung und Durch­füh­rung von Wei­ter­bil­dungs­maß­nah­men ein­be­zo­gen. Sie haben das Recht, bei der Fest­le­gung von Qua­li­fi­zie­rungs­zie­len und bei der Aus­wahl von Wei­ter­bil­dungs­maß­nah­men mit­zu­wir­ken (§ 98 BetrVG).

2.1.4 Ausbau der Assistierten Ausbildung

2.1.4.1 Unterstützung für junge Menschen mit Schwierigkeiten bei der Ausbildung

Das Gesetz ver­bes­sert die Unter­stüt­zung für jun­ge Men­schen, die Schwie­rig­kei­ten bei der Aus­bil­dung haben. Durch die Ände­run­gen im SGB III wird die assis­tier­te Aus­bil­dung aus­ge­baut und ver­bes­sert.

2.1.5 Schlussfolgerungen und Ausblick

2.1.5.1 Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt und die Arbeitswelt

Das Arbeit-von-mor­gen-Gesetz ist ein wich­ti­ger Schritt in Rich­tung einer zukunfts­fä­hi­gen Arbeits­welt. Es för­dert die Wei­ter­bil­dung und Qua­li­fi­zie­rung der Arbeit­neh­mer und bie­tet Unter­neh­men mehr Fle­xi­bi­li­tät in Kri­sen­zei­ten. Dar­über hin­aus stärkt es die Rol­le der Betriebs­rä­te in Fra­gen der Qua­li­fi­zie­rung und Wei­ter­bil­dung.

2.1.5.2 Relevanz für Betriebsräte und Unternehmen

Für Betriebs­rä­te und Unter­neh­men ist es wich­tig, die Mög­lich­kei­ten und Vor­tei­le, die das Gesetz bie­tet, zu ken­nen und zu nut­zen. Nur so kön­nen sie ihre Rol­le in der Gestal­tung der Arbeit von mor­gen effek­tiv wahr­neh­men und einen posi­ti­ven Bei­trag zur Wei­ter­ent­wick­lung der Arbeits­welt leis­ten.

2.2 Novellierung des Berufsbildungsgesetzes 2020

Das Berufs­bil­dungs­ge­setz (BBiG) wur­de im Jahr 2020 novel­liert und trat am 1. Janu­ar 2020 in Kraft. Mit die­ser Novel­lie­rung des BBiG wur­de das dua­le Aus­bil­dungs­sys­tem moder­ni­siert und an die Bedürf­nis­se des digi­ta­len Zeit­al­ters ange­passt.

2.2.1 Einführung neuer Abschlussbezeichnungen

Mit der Novel­lie­rung wur­den neue Abschluss­be­zeich­nun­gen ein­ge­führt, um die Gleich­wer­tig­keit von beruf­li­cher und aka­de­mi­scher Bil­dung zu unter­strei­chen. Ab sofort gibt es neben dem „Gesel­len“ (Berufs­be­zeich­nung nach Abschluss einer Berufs­aus­bil­dung) den „Fach­ar­bei­ter“ und den „Spe­zia­lis­ten“ (Berufs­be­zeich­nun­gen nach Abschluss einer Fort­bil­dung).

2.2.2 Verbesserung der Durchlässigkeit im Bildungssystem

Die Durch­läs­sig­keit im Bil­dungs­sys­tem wur­de ver­bes­sert, indem es Berufs­tä­ti­gen erleich­tert wur­de, einen Berufs­ab­schluss nach­zu­ho­len. Zudem wur­den die Mög­lich­kei­ten zur Anrech­nung von beruf­li­chen Kom­pe­ten­zen auf Hoch­schul­stu­di­en­gän­ge erwei­tert.

2.2.3 Stärkung der Qualität in der Berufsausbildung

Die Qua­li­tät in der Berufs­aus­bil­dung wur­de gestärkt, indem die Eig­nung von Aus­bil­dungs­be­trie­ben stär­ker in den Fokus gerückt wur­de. Die Aus­bil­dungs­be­trie­be müs­sen nun nach­wei­sen, dass sie über aus­rei­chend qua­li­fi­zier­tes Per­so­nal ver­fü­gen und dass die Aus­bil­dung nach den aner­kann­ten Stan­dards durch­ge­führt wird.

2.2.4 Förderung der Mobilität von Auszubildenden

Die Mobi­li­tät von Aus­zu­bil­den­den wur­de geför­dert, indem die Mög­lich­kei­ten für Aus­lands­auf­ent­hal­te wäh­rend der Berufs­aus­bil­dung ver­bes­sert wur­den.

Die­se Neue­run­gen im Berufs­bil­dungs­ge­setz bie­ten sowohl für Aus­zu­bil­den­de als auch für Betrie­be neue Mög­lich­kei­ten und tra­gen dazu bei, die Attrak­ti­vi­tät und Qua­li­tät der dua­len Berufs­aus­bil­dung zu stär­ken.

2.3 Qualifizierungschancengesetz

Das Qua­li­fi­zie­rungs­chan­cen­ge­setz trat am bereits am1. Janu­ar 2019 in Kraft und wur­de in den letz­ten Jah­ren wei­ter­ent­wi­ckelt und ange­passt. Die­ses Gesetz zielt dar­auf ab, die Wei­ter­bil­dungs­be­tei­li­gung von Beschäf­tig­ten zu erhö­hen und die Qua­li­fi­zie­rung von Arbeit­neh­mern und Arbeit­neh­me­rin­nen zu för­dern, um den Her­aus­for­de­run­gen der digi­ta­len Trans­for­ma­ti­on zu begeg­nen.

Haupt­merk­ma­le des Qua­li­fi­zie­rungs­chan­cen­ge­set­zes sind:

2.3.1 Förderung der beruflichen Weiterbildung

Das Qua­li­fi­zie­rungs­chan­cen­ge­setz erwei­tert die För­de­rung der beruf­li­chen Wei­ter­bil­dung. Es ermög­licht Arbeit­neh­mern und Arbeit­neh­me­rin­nen, die vom tech­no­lo­gi­schen Wan­del betrof­fen sind, finan­zi­el­le Unter­stüt­zung für beruf­li­che Wei­ter­bil­dungs­maß­nah­men zu erhal­ten.

2.3.2 Beratungsangebote für Unternehmen

Das Gesetz sieht Bera­tungs­an­ge­bo­te für Unter­neh­men vor, um sie bei der Pla­nung und Durch­füh­rung von Wei­ter­bil­dungs­maß­nah­men zu unter­stüt­zen. Ins­be­son­de­re klei­ne und mitt­le­re Unter­neh­men (KMU) kön­nen von die­ser Bera­tung pro­fi­tie­ren, da sie oft nicht über die not­wen­di­gen Res­sour­cen für die Ent­wick­lung eige­ner Wei­ter­bil­dungs­pro­gram­me ver­fü­gen.

2.3.3 Erweiterung des Kurzarbeitergeldes

Das Qua­li­fi­zie­rungs­chan­cen­ge­setz erwei­tert auch das Kurz­ar­bei­ter­geld. Unter­neh­men, die von kon­junk­tu­rel­len Schwan­kun­gen betrof­fen sind, kön­nen nun Kurz­ar­bei­ter­geld für ihre Beschäf­tig­ten bean­tra­gen, um Wei­ter­bil­dungs­maß­nah­men wäh­rend der Kurz­ar­beits­zeit zu finan­zie­ren.

Das Qua­li­fi­zie­rungs­chan­cen­ge­setz ist ein wich­ti­ges Instru­ment zur För­de­rung der beruf­li­chen Wei­ter­bil­dung und zur Siche­rung der Zukunfts­fä­hig­keit des Arbeits­mark­tes. Es unter­stützt sowohl Arbeit­neh­mer und Arbeit­neh­me­rin­nen als auch Unter­neh­men dabei, den Her­aus­for­de­run­gen des digi­ta­len Wan­dels aktiv zu begeg­nen.

2.4 Das Berufsbildungsgesetz (BBiG)

Das Berufs­bil­dungs­ge­setz (BBiG) stellt den recht­li­chen Rah­men für die beruf­li­che Bil­dung in Deutsch­land dar. Es beinhal­tet die Regeln und Vor­schrif­ten für die dua­le Aus­bil­dung, die beruf­li­che Fort­bil­dung und die beruf­li­che Umschu­lung.

Im Jahr 2020 wur­de das BBiG novel­liert und grund­le­gend über­ar­bei­tet. Die­se Über­ar­bei­tung brach­te eine Rei­he von wich­ti­gen Ände­run­gen mit sich, die Aus­zu­bil­den­de, Arbeit­ge­ber und Bil­dungs­ein­rich­tun­gen direkt betref­fen.

2.4.1 Änderungen durch die Novellierung 2020

Die Novel­lie­rung des BBiG im Jahr 2020 hat ins­be­son­de­re fol­gen­de Ände­run­gen ein­ge­führt:

2.4.2 Mindestvergütung für Auszubildende

Eine der signi­fi­kan­tes­ten Ände­run­gen ist die Ein­füh­rung eines Min­dest­lohns für Aus­zu­bil­den­de. Ab 2020 müs­sen Arbeit­ge­ber Aus­zu­bil­den­den im ers­ten Lehr­jahr eine Min­dest­ver­gü­tung von 515 Euro pro Monat zah­len. Die Min­dest­ver­gü­tung steigt in den fol­gen­den Jah­ren der Aus­bil­dung stu­fen­wei­se an.

2.4.3 Neue Abschlussbezeichnungen

Die Novel­lie­rung führ­te neue Abschluss­be­zeich­nun­gen ein, um die Gleich­wer­tig­keit von beruf­li­cher und aka­de­mi­scher Bil­dung zu beto­nen. So kön­nen Absol­ven­ten der beruf­li­chen Wei­ter­bil­dung nun die Titel „Bache­lor Pro­fes­sio­nal“ oder „Mas­ter Pro­fes­sio­nal“ füh­ren.

2.4.4 Verbesserte Freistellungsregelungen für den Berufsschulunterricht

Ein wei­te­res wich­ti­ges Ele­ment der Novel­lie­rung betrifft die Frei­stel­lungs­re­ge­lun­gen für den Berufs­schul­un­ter­richt. Aus­zu­bil­den­de, die an einem Berufs­schul­tag min­des­tens fünf Unter­richts­stun­den à 45 Minu­ten haben, sind nun für den gan­zen Tag von der Arbeit frei­ge­stellt.

2.4.5 Erleichterungen im Prüfungsbereich

Die Novel­lie­rung des BBiG hat auch Erleich­te­run­gen im Prü­fungs­be­reich mit sich gebracht. Ins­be­son­de­re wur­den die Mög­lich­kei­ten für das Able­gen von Teil­prü­fun­gen erwei­tert.

Das novel­lier­te Berufs­bil­dungs­ge­setz trägt dazu bei, die Qua­li­tät der beruf­li­chen Bil­dung in Deutsch­land zu sichern und zu erhö­hen. Es stärkt die Attrak­ti­vi­tät der dua­len Aus­bil­dung und schafft bes­se­re Bedin­gun­gen für Aus­zu­bil­den­de und Arbeit­ge­ber.

2.5 Betriebsrätemodernisierungsgesetz

2.5.1 Betriebsrätemodernisierungsgesetz – Welche Änderungen ergeben sich für die Betriebsratsarbeit?

Die Digi­ta­li­sie­rung und Moder­ni­sie­rung der Arbeits­welt macht auch vor der Arbeit der Betriebs­rä­te kei­nen Halt. Der deut­sche Gesetz­ge­ber hat daher ver­sucht, die­sen Trend auch in das Betriebs­ver­fas­sungs­ge­setz ein­flie­ßen zu las­sen.

Das Betriebs­rä­te­mo­der­ni­sie­rungs­ge­setz, wel­ches im Mai vom Bun­des­tag und Bun­des­rat ver­ab­schie­det wur­de und am 18. Juni 2021 in Kraft getre­ten ist, bringt wich­ti­ge Neue­run­gen für die Betriebs­rats­ar­beit. Im Fol­gen­den wer­den die wich­tigs­ten Ände­run­gen erläu­tert:

2.5.2 Virtuelle Sitzungen möglich – Präsenzsitzungen sollen aber Regelfall bleiben

Wäh­rend der Coro­na-Pan­de­mie war es aus­nahms­wei­se mög­lich, Sit­zun­gen des Betriebs­rats vir­tu­ell abzu­hal­ten. Das Betriebs­rä­te­mo­der­ni­sie­rungs­ge­setz ver­an­kert nun die Mög­lich­keit vir­tu­el­ler Sit­zun­gen im Betriebs­ver­fas­sungs­ge­setz. Aller­dings blei­ben Prä­senz­sit­zun­gen wei­ter­hin der Regel­fall. Die vir­tu­el­le Sit­zung ist unter bestimm­ten Vor­aus­set­zun­gen mög­lich:

  1. Die Mög­lich­keit der vir­tu­el­len Sit­zung muss in der Geschäfts­ord­nung ver­an­kert sein.
  2. Es darf kein Wider­spruch von min­des­tens einem Vier­tel der Betriebs­rats­mit­glie­der gegen eine vir­tu­el­le Sit­zung bestehen.
  3. Es muss gewähr­leis­tet sein, dass kei­ne ande­ren Per­so­nen Kennt­nis vom Inhalt der Sit­zun­gen neh­men kön­nen.

Zusätz­lich wur­de klar­ge­stellt, dass jedes Mit­glied trotz vir­tu­el­ler Sit­zung die Mög­lich­keit haben soll­te, die Sit­zung auch phy­sisch zu besu­chen. Die Prä­senz­teil­nah­me bleibt wei­ter­hin erfor­der­lich, und die damit ver­bun­de­nen Kos­ten müs­sen vom Arbeit­ge­ber getra­gen wer­den.

2.5.3 Betriebsratswahlen vereinfacht und Kündigungsschutz verbessert

Das Betriebs­rä­te­mo­der­ni­sie­rungs­ge­setz bringt auch Ver­ein­fa­chun­gen im Bereich der Betriebs­rats­wah­len mit sich. Das ver­ein­fach­te Wahl­ver­fah­ren gilt nun ver­pflich­tend bis zu einer Betriebs­grö­ße von 100 Mit­ar­bei­tern (vor­her 50 Mit­ar­bei­ter). Für Betrie­be mit 101 bis 200 Mit­ar­bei­tern kann das ver­ein­fach­te Wahl­ver­fah­ren auch ver­ein­bart wer­den, wenn dies zwi­schen Wahl­vor­stand und Arbeit­ge­ber fest­ge­legt wird. Das ver­ein­fach­te Wahl­ver­fah­ren zielt dar­auf ab, die Hür­den und For­ma­li­tä­ten für die Grün­dung eines Betriebs­rats nied­rig­schwel­lig zu hal­ten.

Zusätz­lich wur­de der Kün­di­gungs­schutz für Initia­to­ren der Betriebs­rats­grün­dung erwei­tert. Vor­her waren ledig­lich drei Initia­to­ren einer Betriebs­rats­wahl vor einer Kün­di­gung geschützt. Mit dem Betriebs­rä­te­mo­der­ni­sie­rungs­ge­setz wur­de die Zahl auf sechs erhöht. Aller­dings gilt die­ser erwei­ter­te Kün­di­gungs­schutz nicht unmit­tel­bar für außer­or­dent­li­che Kün­di­gun­gen.

2.5.4 Verantwortlichkeit für den Datenschutz

Das Betriebs­rä­te­mo­der­ni­sie­rungs­ge­setz beinhal­tet auch Rege­lun­gen zur Ver­ant­wort­lich­keit für den Daten­schutz im Betriebs­rat. Nach Inkraft­tre­ten der Daten­schutz-Grund­ver­ord­nung (DSGVO) war umstrit­ten, wer für die Ver­ar­bei­tung per­so­nen­be­zo­ge­ner Daten inner­halb des Betriebs­rats daten­schutz­recht­lich ver­ant­wort­lich ist. Mit dem neu­en § 79a BetrVG wird nun klar­ge­stellt, dass die Ver­ant­wort­lich­keit im Sin­ne der daten­schutz­recht­li­chen Vor­schrif­ten beim Arbeit­ge­ber liegt.

2.5.5 Mitbestimmung bei der mobilen Arbeit

Des Wei­te­ren erhal­ten Betriebs­rä­te durch § 87 Abs. 1 Nr. 14 BetrVG ein Mit­be­stim­mungs­recht bei der Gestal­tung der mobi­len Arbeit. Dabei betrifft die mobi­le Arbeit nicht nur das Home­of­fice, son­dern auch die Mög­lich­keit für Arbeit­neh­mer, an einem von ihnen bestimm­ten Ort zu arbei­ten. Aller­dings bezieht sich das Mit­be­stim­mungs­recht nur auf das „wie“ der mobi­len Arbeit, wäh­rend das „ob“ wei­ter­hin vom Arbeit­ge­ber bestimmt wird.

Das Betriebs­rä­te­mo­der­ni­sie­rungs­ge­setz bringt wich­ti­ge Ände­run­gen für die Betriebs­rats­ar­beit mit sich, um sie an die Anfor­de­run­gen der moder­nen Arbeits­welt anzu­pas­sen. Es ist von gro­ßer Bedeu­tung, dass Betriebs­rä­te und Arbeit­ge­ber die­se Ände­run­gen genau ken­nen und umset­zen, um eine rei­bungs­lo­se Zusam­men­ar­beit und die Wah­rung der Rech­te der Arbeit­neh­me­rin­nen und Arbeit­neh­mer zu gewähr­leis­ten.

2.6 Neue Regelungen zum Urlaub und zur Absonderung im Infektionsschutzgesetz

Das Infek­ti­ons­schutz­ge­setz wur­de kürz­lich um eine bedeu­ten­de Ände­rung erwei­tert, die den Umgang mit Urlaub und Abson­de­rung betrifft. Ins­be­son­de­re die Fra­ge, ob Zei­ten der Abson­de­rung wäh­rend des Urlaubs auf den Jah­res­ur­laubs­an­spruch ange­rech­net wer­den müs­sen, war bis­lang umstrit­ten. In die­sem Arti­kel wer­den die Hin­ter­grün­de, aktu­el­le Ent­wick­lun­gen und Aus­wir­kun­gen der neu­en Rege­lung erläu­tert.

2.6.1 Unklarheiten vor der Gesetzesänderung:

Vor der Geset­zes­än­de­rung gab es kei­ne ein­deu­ti­ge Recht­spre­chung oder Fach­li­te­ra­tur, die die Anrech­nung von Abson­de­rungs­zei­ten auf den Jah­res­ur­laubs­an­spruch klär­te. Eini­ge Exper­ten argu­men­tier­ten, dass urlaubs­stö­ren­de Ereig­nis­se zum per­sön­li­chen Lebens­ri­si­ko des Arbeit­neh­mers gehö­ren. Ande­re befür­wor­te­ten hin­ge­gen die Anwen­dung von § 9 BUrlG, wonach der Urlaub wäh­rend einer Erkran­kung dem Arbeit­neh­mer „gut­ge­schrie­ben wird“. Um Klar­heit zu schaf­fen, wur­de die­se Fra­ge vom Bun­des­ar­beits­ge­richt (BAG) dem Euro­päi­schen Gerichts­hof (EuGH) vor­ge­legt.

2.6.2 Auswirkungen bei nicht erkrankten Arbeitnehmern:

Die Fra­ge nach der Anrech­nung der Abson­de­rungs­zei­ten stellt sich jedoch nur, wenn der Arbeit­neh­mer wäh­rend der Abson­de­rung nicht erkrankt ist. Wenn ein Arbeit­neh­mer sich mit dem Coro­na-Virus infi­ziert und arbeits­un­fä­hig krank ist, fin­det die Rege­lung des § 9 BUrlG direkt Anwen­dung. Aller­dings ist noch nicht abschlie­ßend geklärt, ob ein Arbeit­neh­mer auch dann als arbeits­un­fä­hig erkrankt gilt, wenn er mit dem Covid-19-Virus infi­ziert ist, aber kei­ne Sym­pto­me auf­weist. Auf­grund der sel­te­nen Vor­komm­nis­se sol­cher Fäl­le gibt es kei­ne kla­re Recht­spre­chung.

2.6.3 Die neue Regelung und ihre Auswirkungen:

Der Gesetz­ge­ber hat mitt­ler­wei­le reagiert und einen neu­en § 59 IfSG ins Infek­ti­ons­schutz­ge­setz ein­ge­fügt. Gemäß die­ser Rege­lung wer­den die Tage der Abson­de­rung wäh­rend des Urlaubs nicht auf den Jah­res­ur­laub ange­rech­net. Die­se Ände­rung trat am 17. Sep­tem­ber 2022 in Kraft und bringt Klar­heit für zukünf­ti­ge Fäl­le. Aller­dings gilt die­se Rege­lung nur für Abson­de­run­gen auf­grund deut­scher Rechts­vor­schrif­ten und nicht für aus­län­di­sche Rechts­vor­schrif­ten.

2.6.4 Ausland und unklare Rechtslage:

Es gibt noch Unklar­hei­ten bei Fäl­len, in denen sich ein Arbeit­neh­mer im Aus­land im Urlaub befin­det und nach dem Recht des ent­spre­chen­den Lan­des in Abson­de­rung bege­ben muss. Die Rege­lung des § 59 IfSG gilt ein­deu­tig nur für Abson­de­run­gen auf­grund deut­scher Rechts­vor­schrif­ten. Hier kann die Ent­schei­dung des Euro­päi­schen Gerichts­hofs von Bedeu­tung sein, um eine ein­heit­li­che Rege­lung zu gewähr­leis­ten.

2.6.5 Fazit

Die Ände­rung des Infek­ti­ons­schutz­ge­set­zes in Bezug auf Urlaub und Abson­de­rung bringt Klar­heit für zukünf­ti­ge Fäl­le, in denen Arbeit­neh­mer wäh­rend des Urlaubs auf­grund behörd­li­cher Anord­nun­gen oder des Infek­ti­ons­schutz­ge­set­zes in Qua­ran­tä­ne müs­sen. Die genaue Aus­ge­stal­tung der Rege­lung in Bezug auf erkrank­te und nicht erkrank­te Arbeit­neh­mer sowie die Anwen­dung bei aus­län­di­schen Abson­de­rungs­maß­nah­men bleibt jedoch wei­ter­hin Gegen­stand von Dis­kus­sio­nen und mög­li­chen zukünf­ti­gen Gerichts­ent­schei­dun­gen. Arbeit­ge­ber soll­ten die Ent­wick­lun­gen auf­merk­sam ver­fol­gen und gege­be­nen­falls ihre Vor­ge­hens­wei­se anpas­sen, um rechts­si­cher zu han­deln.

2.7 Verlängerung des Kinder‑, Kranken- und Betreuungsgeldes

Die Rege­lung des § 45 SGB V, die das Kin­der-Kran­ken­geld regelt, wird in meh­re­ren Aspek­ten ver­län­gert. Zum einen besteht der Anspruch auf Kin­der-Kran­ken­geld nach § 45 Abs. 2a SGB V für längs­tens 30 Arbeits­ta­ge je Kind, bei Allein­er­zie­hen­den für längs­tens 60 Arbeits­ta­ge je Kind. Die­se Rege­lung gilt nun auch für das gesam­te Jahr 2023. Es gibt jedoch eine Begren­zung auf ins­ge­samt 65 bzw. 130 Arbeits­ta­ge.

Zusätz­lich wird der Anspruch auf Kin­der-Kran­ken­geld zeit­lich begrenzt bis zum 7. April 2023 auch dann gewährt, wenn das Kind nicht krank ist, son­dern auf­grund der Schlie­ßung der Betreu­ungs­ein­rich­tung zu Hau­se betreut wer­den muss. Dies bedeu­tet, dass Eltern, die auf­grund der Betreu­ungs­si­tua­ti­on ihres Kin­des nicht arbei­ten kön­nen, einen Anspruch auf Kin­der-Kran­ken­geld haben.

Es gibt jedoch eine Ein­schrän­kung für den Anspruch auf Ent­schä­di­gung bei nicht gesetz­lich kran­ken­ver­si­cher­ten Eltern­tei­len und Kin­dern. Gemäß § 56 Abs. 1a IfSG besteht ein Ent­schä­di­gungs­an­spruch für Arbeit­neh­mer, jedoch ist die­ser Anspruch nicht über den 23. Sep­tem­ber 2022 hin­aus ver­län­gert wor­den.

Die­se Ver­län­ge­run­gen des Kin­der-Kran­ken­gel­des und die Berück­sich­ti­gung der Betreu­ungs­si­tua­ti­on auf­grund von Schlie­ßun­gen der Betreu­ungs­ein­rich­tun­gen sol­len Eltern ent­las­ten und ihnen ermög­li­chen, sich um ihre Kin­der zu küm­mern, ins­be­son­de­re wäh­rend der anhal­ten­den COVID-19-Pan­de­mie. Es ist jedoch wich­tig zu beach­ten, dass der Anspruch auf Ent­schä­di­gung für nicht gesetz­lich kran­ken­ver­si­cher­te Eltern und Kin­der nicht über den genann­ten Zeit­punkt hin­aus besteht.

2.8 Das Hinweisgeberschutzgesetz (HinSCHG) – Umsetzung der EU-Whistleblower-Richtlinie

Das Hin­weis­ge­ber­schutz­ge­setz, das einen umfas­sen­den Schutz für Hin­weis­ge­ber oder Whist­le­b­lower vor­sieht, wur­de am 2. Juni 2023 im Bun­des­ge­setz­blatt ver­kün­det. Damit tritt das Gesetz am 2. Juli 2023 in Kraft, nach­dem es zuvor vom Deut­schen Bun­des­tag und Bun­des­rat ver­ab­schie­det wur­de.

Am 12. Mai 2023 hat der Bun­des­rat das Gesetz ver­ab­schie­det, nur einen Tag nach­dem es bereits vom Deut­schen Bun­des­tag ver­ab­schie­det wur­de. Die schnel­le Ver­ab­schie­dung zeigt das gro­ße Inter­es­se und die Wich­tig­keit, die dem Hin­weis­ge­ber­schutz bei­gemes­sen wird. Zuvor, am 10. Mai 2023, hat­te der Ver­mitt­lungs­aus­schuss getagt und konn­te sich auf einen zustim­mungs­fä­hi­gen Kom­pro­miss eini­gen.

Die­se jüngs­ten Ent­wick­lun­gen mar­kie­ren einen Mei­len­stein in der deut­schen Gesetz­ge­bung zum Schutz von Hin­weis­ge­bern. Mit dem Inkraft­tre­ten des Hin­weis­ge­ber­schutz­ge­set­zes im Juli 2023 wird Deutsch­land den Schutz für Whist­le­b­lower wei­ter stär­ken und sicher­stel­len, dass sie vor Repres­sa­li­en geschützt sind, wenn sie ille­ga­le Miss­stän­de auf­de­cken und mel­den. Das Gesetz schafft kla­re Rah­men­be­din­gun­gen für Unter­neh­men und Orga­ni­sa­tio­nen und legt fest, dass inter­ne Mel­de­stel­len vor­ran­gig genutzt wer­den sol­len.

Durch die Bereit­stel­lung von kla­ren und leicht zugäng­li­chen Infor­ma­tio­nen über die Nut­zung des inter­nen Mel­de­ver­fah­rens wer­den Unter­neh­men ange­hal­ten, Anrei­ze zu schaf­fen, damit Hin­weis­ge­ber bevor­zugt auf die­se Kanä­le zurück­grei­fen. Gleich­zei­tig sol­len exter­ne Mel­de­stel­len Hin­weis­ge­ber über die Mög­lich­keit einer inter­nen Mel­dung infor­mie­ren.

Das Hin­weis­ge­ber­schutz­ge­setz erwei­tert den Anwen­dungs­be­reich, indem es Ver­stö­ße sowohl gegen euro­päi­sches als auch natio­na­les Recht abdeckt. Damit geht es über die Min­dest­an­for­de­run­gen der EU-Hin­weis­ge­ber-Richt­li­nie hin­aus und schließt straf­be­wehr­te oder buß­geld­be­wehr­te Ver­ge­hen ein, die die Gesund­heit oder das Leben gefähr­den.

Die neu­en Rege­lun­gen sehen auch vor, dass anony­me Hin­wei­se bear­bei­tet wer­den sol­len, obwohl dies nicht ver­pflich­tend ist. Die Emp­feh­lung des Geset­zes zielt dar­auf ab, die Unsi­cher­heit von Hin­weis­ge­bern zu ver­rin­gern und ihnen die Mög­lich­keit zu geben, Miss­stän­de ohne Angst vor Repres­sa­li­en zu mel­den.

Zusätz­lich legt das HinSchG fest, dass Unter­neh­men zwi­schen 50 und 249 Mit­ar­bei­ten­den Hin­weis­ge­ber­sys­te­me tei­len dür­fen, um die Kos­ten zu redu­zie­ren. Auch Gesell­schaf­ten und Kon­zer­ne kön­nen gemein­sa­me Mel­de­ka­nä­le nut­zen. Dar­über hin­aus wird die Beweis­last­um­kehr zu Guns­ten des Hin­weis­ge­bers fest­ge­schrie­ben, um sie vor mög­li­chen Repres­sa­li­en zu schüt­zen.

Mit dem Hin­weis­ge­ber­schutz­ge­setz setzt Deutsch­land ein deut­li­ches Zei­chen für den Schutz von Hin­weis­ge­bern und för­dert eine Kul­tur der Inte­gri­tät und Ver­ant­wort­lich­keit in Unter­neh­men und Orga­ni­sa­tio­nen. Das Gesetz wird dazu bei­tra­gen, Miss­stän­de auf­zu­de­cken und die Ein­hal­tung von Recht und Ethik zu för­dern.

2.9 Das Vereinbarkeitsrichtlinienumsetzungsgesetz (VRUG)

Das Ver­ein­bar­keits­richt­li­ni­en­um­set­zungs­ge­setz (VRUG), das am 24. Dezem­ber 2022 in Kraft trat, bringt Ände­run­gen im Eltern­zeit­recht und im Pfle­ge­zeit­recht mit sich. Eine der neu­en Rege­lun­gen betrifft die Begrün­dungs­pflicht des Arbeit­ge­bers bei der Ableh­nung eines Antrags auf Eltern­zeit­teil­zeit nach § 15 Abs. 5 des Bun­des­el­tern­geld- und Eltern­zeit­ge­set­zes (BEEG). Die­se Begrün­dungs­pflicht gilt nun auch für Klein­un­ter­neh­men mit weni­ger als 16 Arbeit­neh­mern. Die Begrün­dung kann form­los erfol­gen und es wer­den kei­ne hohen Anfor­de­run­gen an den Inhalt gestellt.

Das Gesetz lässt jedoch offen, wel­che Fol­gen eine nicht frist­ge­rech­te oder unbe­grün­de­te Ableh­nung hat. In § 15 Abs. 7 Satz 5 BEEG ist jedoch expli­zit gere­gelt, dass bei Arbeit­ge­bern mit mehr als 15 Beschäf­tig­ten eine nicht form- und frist­ge­rech­te Ableh­nung dazu führt, dass eine ent­spre­chen­de Ver­ein­ba­rung als getrof­fen gilt. Für Klein­un­ter­neh­men mit 15 oder weni­ger Beschäf­tig­ten dürf­te eine Ver­let­zung der Ableh­nungs­pflicht fol­gen­los sein, da der Gesetz­ge­ber für das Kon­sens­ver­fah­ren kei­ne ent­spre­chen­den Fol­gen vor­sieht.

Im Pfle­ge­zeit- und Fami­li­en­pfle­ge­zeit­ge­setz wird für Arbeit­ge­ber mit in der Regel 15 oder weni­ger Beschäf­tig­ten bzw. mit in der Regel 25 oder weni­ger aus­schließ­lich der zu ihrer Berufs­bil­dung Beschäf­tig­ten, also für Klein­be­trie­be, die Ver­pflich­tung ein­ge­führt, Anträ­ge der Beschäf­tig­ten auf den Abschluss einer Ver­ein­ba­rung über eine Frei­stel­lung nach dem Pfle­ge­zeit- und Fami­li­en­pfle­ge­zeit­ge­setz inner­halb von 4 Wochen zu beant­wor­ten und im Fal­le der Ableh­nung zu begrün­den.

Beschäf­tig­te von Arbeit­ge­bern mit in der Regel 15 oder weni­ger Beschäf­tig­ten haben kei­nen Rechts­an­spruch auf die Inan­spruch­nah­me einer Pfle­ge­zeit nach § 3 Abs. 1 Satz 1 Pfle­ge­zeit­ge­setz (Pfle­geZG) oder einer sons­ti­gen Frei­stel­lung nach § 3 Abs. 5 Satz 1 oder Abs. 6 Satz 1 Pfle­geZG. Im Fall einer ein­ver­nehm­li­chen Ver­ein­ba­rung einer sol­chen Frei­stel­lung kön­nen ihnen jedoch gemäß § 3 Abs. 1 Satz 2 Fami­li­en­pfle­ge­zeit­ge­setz (FamPflZG) auf Antrag zins­lo­se Dar­le­hen gewährt wer­den. Mit der neu­en Rege­lung des § 3 Abs. 6a Pfle­geZG wird klar­ge­stellt, dass auch Beschäf­tig­te bei Arbeit­ge­bern mit in der Regel 15 oder weni­ger Beschäf­tig­ten den Abschluss einer Ver­ein­ba­rung über eine Pfle­ge­zeit oder eine sons­ti­ge Frei­stel­lung bean­tra­gen kön­nen. Die Ant­wort des Arbeit­ge­bers auf den Antrag muss inner­halb von 4 Wochen erfol­gen und im Fal­le einer Ableh­nung muss die­se begrün­det wer­den. Eine unter­blie­be­ne Ant­wort oder eine nicht sach­lich begrün­de­te Ableh­nung führt jedoch nicht zur Zustim­mung des Arbeit­ge­bers zur bean­trag­ten Frei­stel­lung.

In Klein­un­ter­neh­men mit nicht mehr als 15 bzw. 25 Beschäf­tig­ten besteht der beson­de­re Kün­di­gungs­schutz für Beschäf­tig­te in Pfle­ge­zeit erst mit Beginn der Frei­stel­lung und nicht bereits mit der Antrag­stel­lung.

Die­se Ände­run­gen sol­len die Ver­ein­bar­keit von Eltern­zeit und Pfle­ge­zeit mit der beruf­li­chen Tätig­keit erleich­tern und für mehr Trans­pa­renz und Schutz der Beschäf­tig­ten sor­gen.

2.10 Anpassung des Mindestlohns

Seit dem 01. Janu­ar 2024 beträgt der gesetz­li­che Min­dest­lohn 12,41 Euro brut­to je tat­säch­lich geleis­te­ter Arbeits­stun­de. Im Janu­ar 2025 wird er auf 12,82 Euro stei­gen.

2.10.1 Auszubildende:

Für Aus­zu­bil­den­de liegt der Min­dest­be­trag im Jahr 2023 bei 620 Euro. Und der Grund­be­trag muss min­des­tens ein­mal jähr­lich anstei­gen.

2.10.2 Für Mini- und Midi- Jobs:

Für Mini­job­ber wird die gering­fü­gi­ge Beschäf­ti­gung aus dem 520 Euro-Job ein 538 Euro-Job. Für Midi-Jobs ändert sich dadurch die Ent­geltspan­ne auf monat­lich 538,01 Euro bis 2000 Euro.

2.10.3 Im Pflegebereich:

Der Min­dest­lohn wur­de im Okto­ber 2022 auf 12 Euro pro Stun­de erhöht. Des­we­gen wird es im Jahr 2023 kei­ne wei­te­re Erhö­hung geben, außer im Pfle­ge­be­reich, dort wird der Min­dest­lohn im Jahr 2023 stu­fen­wei­se erhöht. Die Anhe­bung rich­tet sich wel­che Aus­bil­dung die jewei­li­ge Pfle­ge­kraft absol­viert hat. Die ers­te Stu­fe soll zum Mai 2023 und die zwei­te Stu­fe soll zum Dezem­ber 2023 erfol­gen.

2.11 Änderungen im Nachweisgesetz

Das Nach­weis­ge­setz (Nach­wG) wur­de zum 1. August 2022 in einer neu­en Fas­sung ein­ge­führt. Das Ziel der Geset­zes­än­de­rung besteht dar­in, trans­pa­ren­te und ver­läss­li­che Arbeits­be­din­gun­gen für Arbeit­neh­mer durch umfas­sen­de Infor­ma­ti­ons- und Doku­men­ta­ti­ons­pflich­ten sei­tens der Arbeit­ge­ber zu schaf­fen. Sowohl neue als auch bestehen­de Arbeits­ver­hält­nis­se sind von den Neue­run­gen betrof­fen.

Eine der wesent­li­chen Ände­run­gen betrifft den Umfang der Ver­trags­be­din­gun­gen, die dem Arbeit­neh­mer bekannt­ge­ge­ben wer­den müs­sen. Zudem wur­den die Fris­ten für die Nach­weis­pflicht ange­passt. Das Gesetz sieht außer­dem emp­find­li­che Sank­tio­nen durch Auf­sichts­be­hör­den vor, falls der Arbeit­ge­ber sei­nen gesetz­li­chen Ver­pflich­tun­gen nicht nach­kommt.

Die wich­tigs­ten Ände­run­gen im Über­blick:

  • Der Nach­weis umfasst nun die wesent­li­chen Ver­trags­be­din­gun­gen für Arbeits­ver­hält­nis­se, die ab dem 1. August 2022 schrift­lich nie­der­ge­legt wer­den müs­sen. Dazu gehö­ren unter ande­rem der Name und die Anschrift der Ver­trags­par­tei­en, der Beginn des Arbeits­ver­hält­nis­ses, die Arbeits­zeit, die Tätig­keits­be­schrei­bung, das Arbeits­ent­gelt sowie wei­te­re spe­zi­fi­sche Anga­ben je nach Art des Arbeits­ver­hält­nis­ses.
  • Bei Aus­lands­tä­tig­kei­ten mit einer Dau­er von mehr als 4 Wochen müs­sen zusätz­li­che Anga­ben, wie das Land der Aus­lands­tä­tig­keit, die geplan­te Dau­er, die Ent­loh­nungs­wäh­rung und wei­te­re Infor­ma­tio­nen, schrift­lich fest­ge­hal­ten wer­den. Bei Ent­sen­dun­gen gemäß der Ent­sen­de­richt­li­nie sind auch der Min­dest­lohn des Ent­sen­de­lan­des und Infor­ma­tio­nen zu den gel­ten­den Arbeits- und Beschäf­ti­gungs­be­din­gun­gen mit­zu­tei­len.
  • Der Nach­weis muss vom Arbeit­ge­ber schrift­lich auf Papier erfol­gen und im Ori­gi­nal unter­zeich­net wer­den. Elek­tro­ni­sche oder münd­li­che For­men sind nicht zuläs­sig. Es ist jedoch zu beach­ten, dass der Nach­weis ledig­lich eine Zusam­men­fas­sung der bereits bestehen­den arbeits­ver­trag­li­chen Bedin­gun­gen ist und kei­ne Ände­rung des Arbeits­ver­trags dar­stellt.
  • Es gel­ten unter­schied­li­che Fris­ten für die Aus­hän­di­gung des Nach­wei­ses, je nach­dem, ob es sich um ein neu­es oder bereits bestehen­des Arbeits­ver­hält­nis han­delt. Neue Arbeit­neh­mer müs­sen die wesent­li­chen Arbeits­be­din­gun­gen in einem schrift­li­chen Doku­ment erhal­ten, ent­we­der am ers­ten Tag der Arbeits­leis­tung oder spä­tes­tens am sieb­ten Kalen­der­tag nach Beginn des Arbeits­ver­hält­nis­ses. Bereits beschäf­tig­te Arbeit­neh­mer kön­nen vom Arbeit­ge­ber ver­lan­gen, dass sie schrift­lich über die wesent­li­chen Arbeits­be­din­gun­gen infor­miert wer­den, und es gel­ten ähn­li­che Fris­ten.
  • Ver­stö­ße gegen die Doku­men­ta­ti­ons- und Nach­weis­pflich­ten kön­nen als Ord­nungs­wid­rig­kei­ten betrach­tet wer­den und mit Buß­gel­dern von bis zu 2.000 € geahn­det wer­den.

Es ist wich­tig zu beach­ten, dass der Nach­weis ledig­lich die Sicht­wei­se des Arbeit­ge­bers wider­spie­gelt. Falls es zu Unstim­mig­kei­ten über die gel­ten­den Arbeits­be­din­gun­gen zwi­schen Arbeit­ge­ber und Arbeit­neh­mer kommt, müss­te geklärt wer­den, was genau im Arbeits­ver­trag fest­ge­hal­ten ist.

Ins­ge­samt bie­tet das neue Nach­weis­ge­setz Arbeit­neh­mern die Mög­lich­keit, trans­pa­ren­te­re und ver­läss­li­che­re Arbeits­be­din­gun­gen zu erhal­ten. Es schafft Klar­heit und för­dert die Rechts­si­cher­heit sowohl für Arbeit­ge­ber als auch Arbeit­neh­mer.

2.12 Änderungen im Teilzeit- und Befristungsgesetz

Seit dem 1. August 2022 gel­ten Ände­run­gen im Teil­zeit- und Befris­tungs­ge­setz (TzBfG), die sich auf die Dau­er der Pro­be­zeit in befris­te­ten Arbeits­ver­hält­nis­sen, die Arbeit auf Abruf und den Wunsch nach Ver­län­ge­rung der Arbeits­zeit oder Ent­fris­tung bezie­hen.

2.12.1 Dauer der Probezeit im befristeten Arbeitsverhältnis

Gemäß § 15 Abs. 3 TzBfG muss eine ver­ein­bar­te Pro­be­zeit in einem befris­te­ten Arbeits­ver­hält­nis nun im Ver­hält­nis zur erwar­te­ten Dau­er der Befris­tung und zur Art der Tätig­keit ste­hen. Dies ent­spricht den Vor­ga­ben von Art. 8 Abs. 2 Satz 1 der EU-Arbeits­be­din­gun­gen­richt­li­nie. Ist die Dau­er der ver­ein­bar­ten Pro­be­zeit unver­hält­nis­mä­ßig, gilt die­se als nicht wirk­sam ver­ein­bart, und die ver­kürz­te Kün­di­gungs­frist des § 622 Abs. 3 TzBfG greift nicht. Dies kann dazu füh­ren, dass die Kün­di­gungs­mög­lich­keit ganz ent­fällt, wenn sich die­se Mög­lich­keit nicht aus ande­ren Vor­schrif­ten des befris­te­ten Arbeits­ver­hält­nis­ses ergibt.

2.12.2 Arbeit auf Abruf

Nach der Neu­re­ge­lung von § 12 Abs. 3 TzBfG ist der Arbeit­ge­ber ver­pflich­tet, den Zeit­rah­men fest­zu­le­gen, in dem auf sei­ne Auf­for­de­rung hin Arbeit statt­fin­den kann. Der Arbeit­neh­mer ist nur zur Arbeits­leis­tung ver­pflich­tet, wenn der Arbeit­ge­ber ihm die Lage sei­ner Arbeits­zeit min­des­tens 4 Tage im Vor­aus mit­teilt und die Arbeits­leis­tung im zuvor fest­ge­leg­ten Zeit­rah­men zu erfol­gen hat. Hat der Arbeit­ge­ber die Fest­le­gung des Refe­renz­zeit­raums unter­las­sen, besteht für den Arbeit­neh­mer kei­ne Arbeits­pflicht.

2.12.3 Wunsch der Verlängerung der Arbeitszeit und Entfristungswunsch

Seit dem 1.8.2022 hat der Arbeit­ge­ber einem Teil­zeit-Arbeit­neh­mer, der ihm den Wunsch nach Ver­än­de­rung von Dau­er oder Lage sei­ner ver­trag­lich ver­ein­bar­ten Arbeits­zeit ange­zeigt hat, inner­halb eines Monats nach Zugang der Anzei­ge eine begrün­de­te Ant­wort in Text­form mit­zu­tei­len (§ 7 Abs. 2 Satz 1 TzBfG). Ähn­lich ver­hält es sich mit dem Wunsch nach einem unbe­fris­te­ten Arbeits­ver­trag (§ 18 Abs. 2 TzBfG). In bei­den Fäl­len sieht das Gesetz kei­ne Rechts­fol­ge vor, wenn der Arbeit­ge­ber die Pflicht zur Ant­wort nicht oder nicht ord­nungs­ge­mäß erfüllt. Denk­bar wären jedoch Scha­dens­er­satz­an­sprü­che des Arbeit­neh­mers.

3. Bevorstehende Gesetzesänderungen

3.1 Die Auswirkungen des geplanten EU Artificial Intelligence Act auf das Arbeitsrecht

Künst­li­che Intel­li­genz (KI) hat sich zu einem inte­gra­len Bestand­teil unse­rer Arbeits­welt ent­wi­ckelt. Die Euro­päi­sche Uni­on (EU) hat am 21. April 2021 einen Ent­wurf für eine neue Rege­lung für KI vor­ge­stellt, den Arti­fi­ci­al Intel­li­gence Act (AI Act), der welt­weit weg­wei­send ist und erheb­li­che Aus­wir­kun­gen auf das Arbeits­recht haben könn­te.

3.1.1 Der EU Artificial Intelligence Act: Ein Überblick

Der AI Act zielt dar­auf ab, den Ein­satz von KI-Sys­te­men zu regu­lie­ren, um die Sicher­heit und Grund­rech­te der Men­schen zu schüt­zen. Er unter­teilt KI-Sys­te­me in Risi­ko­ka­te­go­rien, ver­bie­tet KI-Sys­te­me mit nicht ver­tret­ba­ren Risi­ken und begrenzt die Nut­zung von KI-Sys­te­men mit hohen oder nied­ri­gen Risi­ken durch Trans­pa­renz­pflich­ten.

3.1.2 Auswirkungen auf die Überwachung am Arbeitsplatz

Der AI Act ver­bie­tet bestimm­te Anwen­dun­gen von KI, wie die bio­me­tri­sche Über­wa­chung und den Ein­satz bio­me­tri­scher Daten für die Emo­ti­ons­er­ken­nung. Dies könn­te die Über­wa­chungs­prak­ti­ken am Arbeits­platz erheb­lich beein­flus­sen und die Pri­vat­sphä­re der Arbeit­neh­mer stär­ken.

3.1.3 KI und Diskriminierung am Arbeitsplatz

Der AI Act ver­langt, dass KI-Sys­te­me nicht dis­kri­mi­nie­rend sein dür­fen. Dies könn­te Aus­wir­kun­gen auf die Ver­wen­dung von KI in der Per­so­nal­be­schaf­fung und ‑bewer­tung haben. Es gibt Hin­wei­se dar­auf, dass KI-Sys­te­me unge­rech­te, sexis­ti­sche oder ras­sis­ti­sche Annah­men und Ent­schei­dun­gen tref­fen kön­nen. Arbeit­ge­ber müs­sen sicher­stel­len, dass ihre KI-Sys­te­me fair und unvor­ein­ge­nom­men sind.

3.1.4 Transparenz und Kontrolle für Arbeitnehmer

Die neu­en Trans­pa­renz­pflich­ten könn­ten dazu füh­ren, dass Arbeit­neh­mer ein bes­se­res Ver­ständ­nis und mehr Kon­trol­le über die Ver­wen­dung von KI-Sys­te­men am Arbeits­platz haben. Arbeit­ge­ber müs­sen trans­pa­rent sein über die Ver­wen­dung von KI und den Arbeit­neh­mern ermög­li­chen, ihre Rech­te in Bezug auf KI-Sys­te­me aus­zu­üben.

3.1.5 Sicherheit am Arbeitsplatz und KI

Der AI Act ver­bie­tet KI-Sys­te­me, die die Sicher­heit von Men­schen bedro­hen. Dies könn­te Aus­wir­kun­gen auf die Ver­wen­dung von KI in sicher­heits­kri­ti­schen Arbeits­um­ge­bun­gen haben. Arbeit­ge­ber müs­sen sicher­stel­len, dass ihre KI-Sys­te­me die Sicher­heit am Arbeits­platz nicht gefähr­den.

3.1.6 Die Auswirkungen auf das Arbeitsrecht

Der AI Act könn­te erheb­li­che Aus­wir­kun­gen auf das Arbeits­recht haben. Es könn­ten Ände­run­gen in den Arbeits­ge­set­zen erfor­der­lich sein, um die Rege­lung umzu­set­zen, und sowohl Arbeit­neh­mer als auch Arbeit­ge­ber müs­sen sich auf neue Rech­te und Pflich­ten ein­stel­len.

3.1.7 Besondere Regelungen für KI-Systeme wie GPT und Open Source

Der AI Act ent­hält spe­zi­el­le Bestim­mun­gen für gene­ra­ti­ve Grund­la­gen­mo­del­le wie GPT. Die­se Model­le müs­sen zusätz­li­che Trans­pa­renz­an­for­de­run­gen erfül­len, wie das Offen­le­gen, dass die Inhal­te durch KI gene­riert wur­den, und das Design des Modells so, dass es kei­ne ille­ga­len Inhal­te gene­riert. Dar­über hin­aus gibt es Aus­nah­men für For­schungs­tä­tig­kei­ten und KI-Kom­po­nen­ten, die unter Open-Source-Lizen­zen zur Ver­fü­gung gestellt wer­den. Dies könn­te die Abhän­gig­keit euro­päi­scher Unter­neh­men von US-Anbie­tern ver­rin­gern und die Inno­va­ti­on in Euro­pa för­dern.

3.1.8 Nächste Schritte und Fazit

Die Abstim­mung über den AI Act im Euro­päi­schen Par­la­ment ist für den 14. Juni 2023 geplant. Danach kön­nen die Ver­hand­lun­gen mit dem Rat, also den Regie­run­gen der EU-Mit­glieds­staa­ten, begin­nen. Der AI Act ist ein wich­ti­ger Schritt in Rich­tung einer gerech­te­ren und siche­re­ren Arbeits­welt. Er stellt hohe Anfor­de­run­gen an Arbeit­ge­ber und KI-Anbie­ter und stärkt die Rech­te und Sicher­heit der Arbeit­neh­mer. Wäh­rend wir uns auf eine zuneh­mend von KI gepräg­te Arbeits­welt zube­we­gen, ist es ent­schei­dend, dass wir die Rech­te und Sicher­heit der Arbeit­neh­mer schüt­zen und eine fai­re und gerech­te Arbeits­um­ge­bung gewähr­leis­ten.

4. Aktuelle Rechtsprechung

Anforderungen an die Substantiierung im Kündigungsrecht (BAG, Beschluss vom 21.03.2024, 2 AZN 785/23)

Zusam­men­fas­sung des Sach­ver­halts:

Die Par­tei­en strei­ten im Rah­men einer Kün­di­gungs­schutz­kla­ge, in der die Beklag­te eine außer­or­dent­li­che frist­lo­se sowie eine außer­or­dent­li­che Kün­di­gung mit Aus­lauf­frist wegen eines angeb­li­chen Eigen­tums­de­likts gegen den Klä­ger aus­sprach. Die Beklag­te berief sich auf Zeu­gen­aus­sa­gen, ins­be­son­de­re von Herrn C, als Beweis für die Tat­be­tei­li­gung des Klä­gers. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt wies die Beru­fung der Beklag­ten zurück, da es die Beweis­an­trä­ge der Beklag­ten als nicht aus­rei­chend sub­stan­ti­iert ansah und die Beklag­te nicht dar­le­gen konn­te, wie der Zeu­ge die Iden­ti­tät des Klä­gers fest­ge­stellt habe.

Zusam­men­fas­sung der Urteils­be­grün­dung:

Das Bun­des­ar­beits­ge­richt hob das Urteil des Lan­des­ar­beits­ge­richts auf und ver­wies den Fall zurück zur erneu­ten Ver­hand­lung. Das Gericht stell­te fest, dass das Lan­des­ar­beits­ge­richt die Sub­stan­ti­ie­rungs­an­for­de­run­gen für das Vor­brin­gen der Beklag­ten über­spannt hat­te. Ins­be­son­de­re wur­de kri­ti­siert, dass von der Beklag­ten nicht ver­langt wer­den kann, bereits im Vor­feld der Zeu­gen­ver­neh­mung detail­lier­te Bewei­se für die Rich­tig­keit der Aus­sa­gen des Zeu­gen zu lie­fern. Die­se Ent­schei­dung bedeu­tet, dass das Lan­des­ar­beits­ge­richt die Zeu­gen­aus­sa­gen hät­te berück­sich­ti­gen müs­sen, ohne von der Beklag­ten eine Erklä­rung zu ver­lan­gen, wie der Zeu­ge zu sei­nen Kennt­nis­sen kam. Die­ser Ansatz hät­te mög­li­cher­wei­se zu einem ande­ren Urteil füh­ren kön­nen, ins­be­son­de­re wenn der Zeu­ge den Klä­ger als betei­lig­te Per­son iden­ti­fi­zie­ren konn­te. Das BAG betont damit die Bedeu­tung des recht­li­chen Gehörs und die kor­rek­te Anwen­dung der pro­zes­sua­len Regeln zur Beweis­auf­nah­me.

https://www.bundesarbeitsgericht.de/entscheidung/2‑azn-785–23/

Diskriminierung eines schwerbehinderten Bewerbers im kirchlichen Kontext (BAG, Urteil vom 25.01.2024, 8 AZR 318/22)

Zusam­men­fas­sung des Sach­ver­hal­tes:

Der Klä­ger, ein schwer­be­hin­der­ter Bewer­ber, for­der­te eine Ent­schä­di­gung wegen Dis­kri­mi­nie­rung nach § 15 Abs. 2 AGG, nach­dem er von einem kirch­li­chen Arbeit­ge­ber nicht zu einem Vor­stel­lungs­ge­spräch ein­ge­la­den wur­de. Der Beklag­te, ein Kir­chen­kreis der Evan­ge­li­schen Kir­che, argu­men­tier­te, nicht als öffent­li­cher Arbeit­ge­ber nach § 165 SGB IX ver­pflich­tet zu sein, schwer­be­hin­der­te Bewer­ber zu einem Vor­stel­lungs­ge­spräch ein­zu­la­den.

Zusam­men­fas­sung der Urteils­be­grün­dung:

Das Bun­des­ar­beits­ge­richt wies die Revi­si­on des Klä­gers ab, bestä­ti­gend, dass kirch­li­che Kör­per­schaf­ten des öffent­li­chen Rechts nicht als öffent­li­che Arbeit­ge­ber im Sin­ne des § 165 SGB IX gel­ten. Somit war der Beklag­te nicht ver­pflich­tet, den Klä­ger zu einem Vor­stel­lungs­ge­spräch ein­zu­la­den. Das Gericht stell­te klar, dass das kirch­li­che Selbst­be­stim­mungs­recht und die ver­fas­sungs­recht­li­che Ver­an­ke­rung der Kir­chen eine sol­che Ver­pflich­tung aus­schlie­ßen. Es wur­de betont, dass die kirch­li­chen Kör­per­schaf­ten kei­ne staat­li­chen Auf­ga­ben wahr­neh­men und daher nicht den glei­chen Rege­lun­gen wie öffent­li­che Arbeit­ge­ber unter­lie­gen.

https://www.bundesarbeitsgericht.de/entscheidung/8‑azr-318–22

Streit über Urlaubsgeldanspruch nach Ablösung durch Betriebsvereinbarung (BAG, Urteil vom 24.01.2024, 10 AZR 33/23)

Zusam­men­fas­sung des Sach­ver­hal­tes:

Der Klä­ger for­dert ein Urlaubs­geld für das Jahr 2021 von der Beklag­ten, einer Mit­glieds­fir­ma des Kom­mu­na­len Arbeit­ge­ber­ver­bands. Ursprüng­lich basier­te der Anspruch auf einer Gesamt­zu­sa­ge von 1992, die spä­ter durch eine Betriebs­ver­ein­ba­rung (BV) ersetzt wur­de. Nach Kün­di­gung die­ser BV behaup­tet der Klä­ger, der Anspruch auf das Urlaubs­geld lebe wie­der auf oder erge­be sich aus betrieb­li­cher Übung.

Zusam­men­fas­sung der Urteils­be­grün­dung:

Das Bun­des­ar­beits­ge­richt wies die Revi­si­on des Klä­gers zurück. Es fand, dass die ursprüng­li­che Gesamt­zu­sa­ge durch die Betriebs­ver­ein­ba­rung von 1999 wirk­sam ersetzt wur­de und dass mit der Kün­di­gung die­ser Ver­ein­ba­rung zum 30. Juni 2021 kei­ne Rech­te aus der ursprüng­li­chen Zusa­ge wie­der auf­le­ben. Wei­ter­hin argu­men­tiert das Gericht, dass der Anspruch auf Urlaubs­geld durch die BV gere­gelt wur­de und nach deren Kün­di­gung erlo­schen ist, ohne dass eine Umdeu­tung in eine Gesamt­zu­sa­ge gerecht­fer­tigt sei.

https://www.bundesarbeitsgericht.de/entscheidung/10-azr-33–23

Tarifliche Nachtarbeitszuschläge und der Gleichheitssatz (BAG, Urteil vom 21.02.2024, 10 AZR 177/21)

Zusam­men­fas­sung des Sach­ver­halts

Der Klä­ger war in einem Unter­neh­men der Geträn­ke­indus­trie beschäf­tigt und leis­te­te Nacht­ar­beit im Rah­men von Wech­sel­schich­ten. Nach dem Man­tel­ta­rif­ver­trag erhielt er für Nacht­ar­beit zwi­schen 22:00 Uhr und 06:00 Uhr einen Zuschlag von 25%. Der Klä­ger ver­lang­te jedoch einen höhe­ren Zuschlag von 50%, den ande­re Nacht­ar­beit­neh­mer erhiel­ten, und argu­men­tier­te, dass die nied­ri­ge­re Ver­gü­tung für ver­gleich­ba­re Nacht­ar­beit ohne sach­li­chen Grund und damit gegen den all­ge­mei­nen Gleich­heits­satz ver­stieß.

Zusam­men­fas­sung der Urteils­be­grün­dung

Das Bun­des­ar­beits­ge­richt gab dem Klä­ger recht, indem es das Urteil der Vor­in­stanz auf­hob und die Dif­fe­renz zwi­schen den geleis­te­ten und den tarif­lich höhe­ren Zuschlä­gen zusprach. Das Gericht erklär­te, dass die Unter­schei­dung zwi­schen den Zuschlä­gen für regu­lä­re Nacht­ar­beit und die für Wech­sel­schicht­ar­beit ohne sach­li­chen Grund erfolg­te. Die­se Ungleich­be­hand­lung ver­stieß gegen Art. 3 Abs. 1 GG. Das Gericht führ­te aus, dass bei­de For­men der Nacht­ar­beit ver­gleich­ba­re Belas­tun­gen für die Arbeit­neh­mer dar­stell­ten und des­halb gleich behan­delt wer­den soll­ten. Dadurch wur­de der Klä­ger berech­tigt, den­sel­ben höhe­ren Nacht­ar­beits­zu­schlag wie ande­re Nacht­ar­beit­neh­mer zu erhal­ten, um die gleich­heits­wid­ri­ge Behand­lung aus­zu­glei­chen.

Die­ses Urteil ver­deut­licht die Anfor­de­rung an Tarif­ver­trä­ge, eine gleich­mä­ßi­ge und gerech­te Behand­lung aller Arbeit­neh­mer zu gewähr­leis­ten, ins­be­son­de­re in Bezug auf Lohn­zu­schlä­ge für Nacht­ar­beit.

https://www.bundesarbeitsgericht.de/entscheidung/10-azr-177–21

Prüfung der Kündigung wegen Kirchenaustritts vor dem Hintergrund der Religionsfreiheit (BAG, Urteil vom 1.02.2024, 2 AZR 196/22 (A))

Zusam­men­fas­sung des Sach­ver­hal­tes:

Die Klä­ge­rin, eine lang­jäh­ri­ge Mit­ar­bei­te­rin eines katho­li­schen Bera­tungs­ver­eins, trat aus der katho­li­schen Kir­che aus. Ihre Tätig­keit umfass­te die Bera­tung schwan­ge­rer Frau­en gemäß kirch­li­chen Richt­li­ni­en, die einen kirch­li­chen Aus­tritt als schwer­wie­gen­den Loya­li­täts­ver­stoß wer­ten. Der Beklag­te, ihr Arbeit­ge­ber, kün­dig­te dar­auf­hin das Arbeits­ver­hält­nis sowohl frist­los als auch frist­ge­recht zum Jah­res­en­de, nach­dem Bemü­hun­gen, die Klä­ge­rin zum Wie­der­ein­tritt zu bewe­gen, schei­ter­ten. Die vor­he­ri­gen Instan­zen gaben der Kün­di­gungs­schutz­kla­ge der Klä­ge­rin statt.

Zusam­men­fas­sung der Urteils­be­grün­dung:

Das Bun­des­ar­beits­ge­richt setz­te das Revi­si­ons­ver­fah­ren aus und rich­te­te ein Vor­ab­ent­schei­dungs­er­su­chen an den Gerichts­hof der Euro­päi­schen Uni­on. Es stell­te Fra­gen zur Ver­ein­bar­keit der Kün­di­gung auf­grund eines Kir­chen­aus­tritts mit der Richt­li­nie 2000/78/EG und der Char­ta der Grund­rech­te der Euro­päi­schen Uni­on, ins­be­son­de­re im Hin­blick auf die Reli­gi­ons­frei­heit und Gleich­be­hand­lung in Beschäf­ti­gung und Beruf.

Es bestehen Beden­ken, ob eine sol­che Kün­di­gung eine direk­te Dis­kri­mi­nie­rung wegen Reli­gi­on dar­stellt und ob sie durch das kirch­li­che Selbst­ver­ständ­nis gerecht­fer­tigt sein kann. Dabei wird erör­tert, ob die spe­zi­fi­schen Anfor­de­run­gen an die Loya­li­tät, die eine reli­giö­se Orga­ni­sa­ti­on an ihre Mit­ar­bei­ter stellt, ins­be­son­de­re die Nicht-Been­di­gung der Mit­glied­schaft wäh­rend des Beschäf­ti­gungs­ver­hält­nis­ses, nach EU-Recht halt­bar sind. Das Gericht betont die Not­wen­dig­keit einer sorg­fäl­ti­gen Prü­fung, ob der Aus­tritt allein ein aus­rei­chen­der Grund für eine Kün­di­gung sein kann, ohne dass wei­te­re Umstän­de hin­zu­tre­ten.

Das BAG hebt her­vor, dass die kirch­li­chen Anfor­de­run­gen an die Loya­li­tät ihrer Ange­stell­ten zwar grund­sätz­lich aner­kannt sind, jedoch auch nicht das Dis­kri­mi­nie­rungs­ver­bot ver­let­zen dür­fen. Die euro­pa­recht­li­che Über­prü­fung soll klä­ren, ob die kirch­li­che For­de­rung nach Loya­li­tät in Form des Nicht-Aus­tritts aus der Kir­che eine not­wen­di­ge, legi­ti­me und ange­mes­se­ne beruf­li­che Anfor­de­rung dar­stellt.

https://www.bundesarbeitsgericht.de/entscheidung/2‑azr-196–22‑a

Einstweiliger Rechtsschutz – Verbot des Einsatzes von ChatGPT und anderen KI-Systemen (ArbG Hamburg, Beschluss vom 16.01.2024, 24 BVGa 1/24)

Zusam­men­fas­sung des Sach­ver­hal­tes:

Der Kon­zern­be­triebs­rat eines Unter­neh­mens der Medi­zin­tech­nik in Ham­burg hat im Rah­men des einst­wei­li­gen Rechts­schut­zes bean­tragt, den Mit­ar­bei­tern der Betei­lig­ten zu 2 (dem Unter­neh­men) den Ein­satz von ChatGPT und ande­ren KI-Sys­te­men zu ver­bie­ten. Nach einer kurz­zei­ti­gen Sper­rung hat­te das Unter­neh­men den Zugang zu ChatGPT wie­der frei­ge­ge­ben und Richt­li­ni­en für die Nut­zung von gene­ra­ti­ver KI ver­öf­fent­licht. Der Betriebs­rat sieht in der Frei­ga­be und den damit ver­bun­de­nen Nut­zungs­richt­li­ni­en eine Ver­let­zung sei­ner Mit­be­stim­mungs­rech­te nach § 87 Abs. 1 BetrVG, ins­be­son­de­re weil kei­ne Betriebs­ver­ein­ba­rung zur Nut­zung der KI vor­liegt und auch kei­ne Zustim­mung durch den Betriebs­rat erteilt wur­de. Dar­über hin­aus wur­de eine poten­zi­el­le Über­wa­chung der Arbeit­neh­mer durch die Nut­zung der KI-Tools befürch­tet, sowie psy­chi­sche Belas­tun­gen durch die Ein­füh­rung der neu­en Tech­no­lo­gie.

Zusam­men­fas­sung der Urteils­be­grün­dung:

Das Arbeits­ge­richt Ham­burg hat alle Anträ­ge des Betriebs­rats zurück­ge­wie­sen. Das Gericht befand, dass die Anträ­ge teils unzu­läs­sig, teils unbe­grün­det sei­en. Ins­be­son­de­re sei kein Ver­fü­gungs­an­spruch erkenn­bar, da die Vor­aus­set­zun­gen für einen Ein­griff in die Mit­be­stim­mungs­rech­te nach § 87 Abs. 1 BetrVG nicht vor­lä­gen. Es wur­de fest­ge­stellt, dass die Richt­li­ni­en und die Nut­zung der KI-Tools eher das Arbeits­ver­hal­ten als das Ord­nungs­ver­hal­ten betref­fen und somit kei­ne Mit­be­stim­mung des Betriebs­rats erfor­der­lich ist. Auch wur­de argu­men­tiert, dass der Ein­satz von ChatGPT kei­ne Über­wa­chung dar­stel­le, die ein Mit­be­stim­mungs­recht nach § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG aus­lö­sen wür­de, da das Unter­neh­men kei­nen Zugriff auf die Daten hat und die Nut­zung auf pri­va­ten Accounts der Mit­ar­bei­ter basiert. Zudem konn­te kei­ne kon­kre­te Gefähr­dung der Mit­ar­bei­ter durch die Nut­zung der KI nach­ge­wie­sen wer­den, was ein Mit­be­stim­mungs­recht nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG aus­schließt. Die Bera­tungs­rech­te nach § 90 BetrVG wur­den als erfüllt ange­se­hen, und somit bestand auch hier kein Ver­fü­gungs­an­spruch.

Ham­burg – 24 BVGa 1/24 | ArbG Ham­burg 24. Kam­mer | Beschluss | Einst­wei­li­ger Rechts­schutz – Ver­bot des Ein­sat­zes von ChatGPT und ande­ren Sys­te­men der Künst­li­chen … (landesrecht-hamburg.de)

Kündigung wegen Täuschung über vorläufige Impfunfähigkeit (BAG, Urteil vom 14.12.2023, 2 AZR 55/23)

Zusam­men­fas­sung des Sach­ver­hal­tes:

Die Klä­ge­rin, seit 1988 als Pfle­ge­hel­fe­rin in einem Kran­ken­haus der Beklag­ten beschäf­tigt, leg­te zur Umge­hung der ein­rich­tungs­be­zo­ge­nen Impf­pflicht gegen SARS-CoV‑2 eine gefälsch­te Beschei­ni­gung über ihre vor­läu­fi­ge Impf­un­fä­hig­keit vor. Die­se Beschei­ni­gung hat­te sie im Inter­net erwor­ben, ohne eine tat­säch­li­che ärzt­li­che Kon­sul­ta­ti­on. Die Beklag­te kün­dig­te dar­auf­hin das Arbeits­ver­hält­nis außer­or­dent­lich frist­los sowie hilfs­wei­se mit sozia­ler Aus­lauf­frist.

Zusam­men­fas­sung der Urteils­be­grün­dung:

Das Bun­des­ar­beits­ge­richt bestä­tig­te die Wirk­sam­keit der außer­or­dent­li­chen frist­lo­sen Kün­di­gung. Es sah in der Hand­lung der Klä­ge­rin eine erheb­li­che Ver­let­zung der arbeits­ver­trag­li­chen Neben­pflich­ten, die geeig­net ist, einen wich­ti­gen Grund für eine frist­lo­se Kün­di­gung dar­zu­stel­len. Die Klä­ge­rin täusch­te wahr­heits­wid­rig über die medi­zi­ni­sche Not­wen­dig­keit einer Über­prü­fung ihrer Impf­fä­hig­keit und erweck­te den Ein­druck einer ärzt­li­chen Unter­su­chung. Das Gericht wer­te­te dies als schwe­ren Ver­trau­ens­bruch, da die Täu­schung nicht nur dar­auf abziel­te, die Impf­pflicht zu umge­hen, son­dern auch das Risi­ko für die Gesund­heit vul­nerabler Pati­en­ten erhöh­te.

Die Ent­schei­dung beruh­te auf der Erwä­gung, dass die Schwe­re der Pflicht­ver­let­zung eine vor­he­ri­ge Abmah­nung über­flüs­sig mach­te und eine Wei­ter­be­schäf­ti­gung der Klä­ge­rin bis zum Ablauf der Kün­di­gungs­frist unzu­mut­bar war. Das Gericht sah in der Täu­schung eine bewuss­te und schwer­wie­gen­de Hand­lung, die das Ver­trau­en der Beklag­ten irrepa­ra­bel beschä­dig­te.

https://www.bundesarbeitsgericht.de/entscheidung/2‑azr-55–23

Anpassung der Vergütung bei Aufstockung von Teilzeit auf Vollzeit (BAG, Urteil vom 13.12.2023, 5 AZR 168/23)

Zusam­men­fas­sung des Sach­ver­hal­tes:

Die Klä­ge­rin, ursprüng­lich in Teil­zeit beschäf­tigt, streb­te eine Erhö­hung ihrer Arbeits­zeit auf eine Voll­zeit­be­schäf­ti­gung an. Im Zuge des­sen for­der­te sie eine Ver­dopp­lung einer zuvor ver­ein­bar­ten Zula­ge von 250,00 Euro auf 500,00 Euro brut­to monat­lich. Die Beklag­te lehn­te die­se Erhö­hung ab, wor­auf­hin die Klä­ge­rin recht­li­che Schrit­te ein­lei­te­te. Nach der Auf­sto­ckung ihrer Arbeits­zeit durch eine außer­ge­richt­li­che Eini­gung zwi­schen den Par­tei­en, zahl­te die Beklag­te die Klä­ge­rin nach wie vor nur die ursprüng­li­che Zula­ge von 250,00 Euro.

Zusam­men­fas­sung der Urteils­be­grün­dung:

Das Bun­des­ar­beits­ge­richt wies die Revi­si­on der Beklag­ten ab und bestä­tig­te die Ent­schei­dung des Lan­des­ar­beits­ge­richts, wel­che der For­de­rung der Klä­ge­rin nach einer erhöh­ten Zula­ge statt­gab. Das Gericht argu­men­tier­te, dass die Zula­ge ein wesent­li­cher Bestand­teil der Ver­gü­tung für die erbrach­te Arbeits­leis­tung dar­stellt und daher bei einer Erhö­hung der Arbeits­zeit ent­spre­chend anzu­pas­sen ist. Es führ­te wei­ter­hin aus, dass eine der­ar­ti­ge Anpas­sung den übli­chen Gepflo­gen­hei­ten im Arbeits­le­ben ent­spricht, bei denen die Ver­gü­tung in Rela­ti­on zum Umfang der Arbeits­zeit gestal­tet wird. Somit sei die Klä­ge­rin berech­tigt, eine ver­dop­pel­te Zula­ge zu erhal­ten, da sie nun eine voll­um­fäng­li­che Arbeits­leis­tung erbringt.

https://www.bundesarbeitsgericht.de/entscheidung/5‑azr-168–23

Vorlage von Bewerbungsunterlagen – digitales Leserecht (BAG, Beschluss vom 13.12.2023, 1 ABR 28/22)

Zusam­men­fas­sung des Sach­ver­halts

In die­sem Fall strit­ten die Par­tei­en über die kor­rek­te Art der Vor­la­ge von Bewer­bungs­un­ter­la­gen für den Betriebs­rat im Rah­men eines Ein­stel­lungs­ver­fah­rens. Die Arbeit­ge­be­rin, ein Unter­neh­men der Geträn­ke­indus­trie, führ­te den Bewer­bungs­pro­zess digi­tal durch und stell­te dem Betriebs­rat die Bewer­bungs­un­ter­la­gen über ein Soft­ware­pro­gramm zur Ver­fü­gung. Der Betriebs­rat for­der­te hin­ge­gen die Unter­la­gen in Papier­form und ver­wei­ger­te sei­ne Zustim­mung zur Ein­stel­lung eines Kan­di­da­ten, da er der Mei­nung war, nicht ord­nungs­ge­mäß unter­rich­tet wor­den zu sein.

Zusam­men­fas­sung der Urteils­be­grün­dung

Das Bun­des­ar­beits­ge­richt ent­schied, dass die digi­ta­le Bereit­stel­lung der Bewer­bungs­un­ter­la­gen aus­rei­chend ist, um den Anfor­de­run­gen des § 99 Abs. 1 BetrVG nach­zu­kom­men. Es beton­te, dass die digi­ta­le Vor­la­ge der Unter­la­gen den Betriebs­rats­mit­glie­dern erlaubt, die erfor­der­li­chen Infor­ma­tio­nen zur Prü­fung und Bera­tung über die Bewer­ber zu erhal­ten. Die Mit­glie­der des Betriebs­rats hat­ten Zugang zu allen rele­van­ten Bewer­ber­in­for­ma­tio­nen durch bereit­ge­stell­te Lap­tops und konn­ten im Sys­tem hin­ter­leg­te Doku­men­te wie Lebens­läu­fe und Zeug­nis­se ein­se­hen. Dies genüg­te den Anfor­de­run­gen, die eine ord­nungs­ge­mä­ße Unter­rich­tung im Sin­ne des Betriebs­ver­fas­sungs­ge­set­zes erfül­len müs­sen. Die Argu­men­ta­ti­on des Gerichts stütz­te sich dabei auf die Funk­tio­na­li­tät und Prak­ti­ka­bi­li­tät digi­ta­ler Tech­no­lo­gien im moder­nen Arbeits­um­feld.

https://www.bundesarbeitsgericht.de/entscheidung/1‑abr-28–22

Entgeltfortzahlung bei Kündigung während krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit (BAG, Urteil vom 13.12.2023, 5 AZR 137/23)

Zusam­men­fas­sung des Sach­ver­hal­tes:

Der Klä­ger, beschäf­tigt als Hel­fer mit einem Stun­den­lohn von 10,88 Euro und einer wöchent­li­chen Arbeits­zeit von 35 Stun­den bei einer Fir­ma für Arbeit­neh­mer­über­las­sung, erhielt nach Vor­la­ge einer Arbeits­un­fä­hig­keits­be­schei­ni­gung am 2. Mai 2022, die sei­ne Arbeits­un­fä­hig­keit vom 2. bis zum 6. Mai bestä­tig­te, am 3. Mai eine Kün­di­gung zum 31. Mai 2022. Der Klä­ger prä­sen­tier­te wei­te­re Arbeits­un­fä­hig­keits­be­schei­ni­gun­gen für den gesam­ten Kün­di­gungs­zeit­raum bis Ende Mai. Nach sei­ner Gene­sung nahm er am 1. Juni eine neue Beschäf­ti­gung auf.

Zusam­men­fas­sung der Urteils­be­grün­dung:

Das BAG ent­schied teil­wei­se zuguns­ten des Klä­gers, dass für den Zeit­raum vom 1. bis zum 6. Mai 2022 Ent­gelt­fort­zah­lung zu leis­ten sei, jedoch mit geän­der­tem Zins­be­ginn ab dem 23. Juni 2022. Für den Zeit­raum vom 7. bis zum 31. Mai 2022 wur­de das Urteil des Lan­des­ar­beits­ge­richts auf­ge­ho­ben und zur erneu­ten Ver­hand­lung zurück­ver­wie­sen, da der Beweis­wert der vor­ge­leg­ten Arbeits­un­fä­hig­keits­be­schei­ni­gun­gen durch die Beklag­te erfolg­reich ange­zwei­felt wur­de. Ins­be­son­de­re wur­den die Umstän­de und die zeit­li­che Nähe von Kün­di­gung und Krank­heits­mel­dun­gen des Klä­gers als Grund für berech­tig­te Zwei­fel an der Authen­ti­zi­tät der Arbeits­un­fä­hig­keit ange­se­hen.

https://www.bundesarbeitsgericht.de/entscheidung/5‑azr-137–23

Berechtigung der Gesamtschwerbehindertenvertretung zur Teilnahme an Betriebsversammlungen (BAG, Beschluss vom 12.12.2023, 7 ABR 23/22)

Zusam­men­fas­sung des Sach­ver­halts:

Die betei­lig­te Gesamt­schwer­be­hin­der­ten­ver­tre­tung begehrt das Recht zur Teil­nah­me an den Betriebs­ver­samm­lun­gen, die vom zu betei­lig­ten Betriebs­rat ein­be­ru­fen wer­den. In der betrof­fe­nen Filia­le des Unter­neh­mens gibt es kei­ne gewähl­te Schwer­be­hin­der­ten­ver­tre­tung, obwohl dort schwer­be­hin­der­te Arbeit­neh­mer beschäf­tigt sind. Die Gesamt­schwer­be­hin­der­ten­ver­tre­tung argu­men­tiert, dass sie in Erman­ge­lung einer loka­len Ver­tre­tung das Recht zur Teil­nah­me an die­sen Ver­samm­lun­gen habe, um die Inter­es­sen der schwer­be­hin­der­ten Arbeit­neh­mer zu ver­tre­ten.

Zusam­men­fas­sung der Urteils­be­grün­dung:

Das Bun­des­ar­beits­ge­richt bestä­tig­te die Ent­schei­dung des Lan­des­ar­beits­ge­richts, die der Gesamt­schwer­be­hin­der­ten­ver­tre­tung das Recht zur Teil­nah­me an den Betriebs­ver­samm­lun­gen zuspricht. Die gesetz­li­chen Bestim­mun­gen zur Schwer­be­hin­der­ten­ver­tre­tung erlau­ben der Gesamt­schwer­be­hin­der­ten­ver­tre­tung, in Betrie­ben ohne loka­le Schwer­be­hin­der­ten­ver­tre­tung die Inter­es­sen der schwer­be­hin­der­ten Arbeit­neh­mer zu ver­tre­ten. Dies schließt auch das Recht zur Teil­nah­me an Betriebs­ver­samm­lun­gen ein, um dort für die Rech­te schwer­be­hin­der­ter Arbeit­neh­mer ein­zu­tre­ten. Das Gericht beton­te, dass die Nicht­öf­fent­lich­keit der Betriebs­ver­samm­lung die­sem Teil­nah­me­recht nicht ent­ge­gen­steht, da das Teil­nah­me­recht expli­zit dazu dient, die Inter­es­sen der schwer­be­hin­der­ten Arbeit­neh­mer in Abwe­sen­heit einer loka­len Ver­tre­tung zu schüt­zen.

https://www.bundesarbeitsgericht.de/entscheidung/7‑abr-23–22

Urlaubsberechnung bei Krankheit während Kurzarbeit “null” (BAG, Urteil vom 05.12.2023, 9 AZR 364/22)

Zusam­men­fas­sung des Sach­ver­halts:

In die­sem Fall geht es um die Fra­ge, wie der Urlaubs­an­spruch eines Arbeit­neh­mers zu berech­nen ist, der wäh­rend eines Zeit­raums erkrankt, für den im Unter­neh­men wirk­sam Kurz­ar­beit “null” ein­ge­führt wur­de. Der Klä­ger, ein ehe­ma­li­ger Mit­ar­bei­ter der Betriebs­schlos­se­rei, ver­lang­te Urlaubs­ab­gel­tung für das Jahr 2020 und argu­men­tier­te, dass sei­ne krank­heits­be­ding­ten Aus­fall­zei­ten wie nor­ma­le Arbeits­zei­ten zu behan­deln sei­en.

Zusam­men­fas­sung der Urteils­be­grün­dung:

Das Bun­des­ar­beits­ge­richt bestä­tig­te die Ent­schei­dung des Lan­des­ar­beits­ge­richts und wies die Revi­si­on des Klä­gers zurück. Das Gericht erklär­te, dass die Zei­ten, in denen auf­grund der ein­ge­führ­ten Kurz­ar­beit “null” kei­ne Arbeits­pflicht bestand, auch nicht als Zei­ten mit Arbeits­pflicht bei der Berech­nung des Urlaubs­an­spruchs ange­se­hen wer­den. Dies gilt auch dann, wenn der Arbeit­neh­mer wäh­rend die­ser Zei­ten krank war. Die krank­heits­be­ding­ten Aus­fall­zei­ten fal­len somit nicht in die Berech­nung des Urlaubs­an­spruchs ein, da sie wäh­rend der Kurz­ar­beit “null” erfolg­ten.

Das Gericht stütz­te sich dabei auf die Rege­lun­gen des Bun­des­ur­laubs­ge­set­zes (BUrlG) und die ent­spre­chen­de Recht­spre­chung des Euro­päi­schen Gerichts­hofs. Der EuGH hat fest­ge­stellt, dass der Anspruch auf bezahl­ten Jah­res­ur­laub grund­sätz­lich anhand der tat­säch­lich geleis­te­ten Arbeits­zeit­räu­me zu berech­nen ist, und der Urlaubs­zweck auf der Prä­mis­se beruht, dass der Arbeit­neh­mer im Lau­fe des Bezugs­zeit­raums tat­säch­lich gear­bei­tet hat. Des­halb soll­ten Zei­ten der Kurz­ar­beit “null”, in denen kei­ne Arbeit geleis­tet wird, nicht zur Berech­nung des Urlaubs­an­spruchs bei­tra­gen.

https://www.bundesarbeitsgericht.de/entscheidung/9‑azr-364–22

Anrechnung von Urlaub in Doppelarbeitsverhältnissen (BAG, Urteil vom 5.12.2023, 9 AZR 230/22)

Zusam­men­fas­sung des Sach­ver­hal­tes:

Die Klä­ge­rin, eine Flei­sche­rei­fach­ver­käu­fe­rin, bean­spruch­te die Abgel­tung von Urlaubs­ta­gen aus den Jah­ren 2020 und 2021. Nach einer frist­lo­sen, aber rechts­wid­ri­gen Kün­di­gung durch den Beklag­ten und dem erfolg­rei­chen Abschluss einer Kün­di­gungs­schutz­kla­ge, hat­te die Klä­ge­rin ein wei­te­res Arbeits­ver­hält­nis begon­nen. Sie erhielt in die­sem neu­en Arbeits­ver­hält­nis Urlaub, wäh­rend sie gleich­zei­tig Ansprü­che gegen den frü­he­ren Arbeit­ge­ber gel­tend mach­te. Die zen­tra­le Fra­ge war, ob und wie der Urlaub des neu­en Arbeit­ge­bers auf die Urlaubs­an­sprü­che gegen­über dem alten Arbeit­ge­ber anzu­rech­nen sei.

Zusam­men­fas­sung der Urteils­be­grün­dung:

Das Bun­des­ar­beits­ge­richt ent­schied, dass Urlaubs­an­sprü­che, die in einem bestehen­den Arbeits­ver­hält­nis wäh­rend der Dau­er eines ande­ren, zeit­gleich geführ­ten Arbeits­ver­hält­nis­ses ent­ste­hen, grund­sätz­lich anzu­re­chen­bar sind. Dabei wird eine kalen­der­jah­res­be­zo­ge­ne Anrech­nung vor­ge­nom­men, um Dop­pel­an­sprü­che zu ver­mei­den. Das Gericht wies dar­auf hin, dass Urlaubs­an­sprü­che in Dop­pel­ar­beits­ver­hält­nis­sen nach deut­schem Recht in bei­den Arbeits­ver­hält­nis­sen ent­ste­hen kön­nen, auch wenn die Pflich­ten aus bei­den Ver­hält­nis­sen nicht gleich­zei­tig erfüllt wer­den kön­nen. Ent­schei­dend war, dass der Urlaub des neu­en Arbeit­ge­bers auf die Urlaubs­an­sprü­che des alten Arbeit­ge­bers anzu­rech­nen ist, wobei die Anrech­nung auf das jewei­li­ge Kalen­der­jahr beschränkt bleibt. Dadurch soll der gesetz­lich vor­ge­se­he­ne Erho­lungs­zweck jedes Jah­res gewähr­leis­tet wer­den.

https://www.bundesarbeitsgericht.de/entscheidung/9‑azr-230–22

Pflicht zur Einladung schwerbehinderter Bewerber zu Ersatzterminen (BAG, Urteil vom 23.11.2023, 8 AZR 164/22)

Zusam­men­fas­sung des Sach­ver­hal­tes:

Die Klä­ge­rin, eine schwer­be­hin­der­te Per­son, die sich als Herm­aphro­dit iden­ti­fi­ziert, bewarb sich auf eine Stel­le bei der Beklag­ten, einer öffent­li­chen Behör­de. Sie wur­de zu einem Vor­stel­lungs­ge­spräch ein­ge­la­den, konn­te den Ter­min jedoch auf­grund eines ande­ren Ter­mins nicht wahr­neh­men und bat um einen Ersatz­ter­min. Die Beklag­te lehn­te dies ab, da kei­ne zeit­na­he Mög­lich­keit bestand, die Aus­wahl­kom­mis­si­on erneut zusam­men­zu­brin­gen. Die Klä­ge­rin erhob dar­auf­hin Kla­ge auf Zah­lung einer Ent­schä­di­gung wegen Dis­kri­mi­nie­rung auf­grund ihres Geschlechts und ihrer Behin­de­rung.

Zusam­men­fas­sung der Urteils­be­grün­dung:

Das Bun­des­ar­beits­ge­richt wies die Revi­si­on der Klä­ge­rin zurück. Es fand kei­ne Ver­let­zung des AGG hin­sicht­lich der geschlecht­li­chen Iden­ti­tät statt, da der Gebrauch des Gen­der­sterns in der Stel­len­aus­schrei­bung als inklu­siv ange­se­hen wur­de und sich an alle Geschlech­ter rich­te­te. Auch eine Dis­kri­mi­nie­rung auf­grund der Schwer­be­hin­de­rung lag nicht vor. Obwohl die Beklag­te nach § 165 Satz 3 SGB IX ver­pflich­tet war, die Klä­ge­rin zu einem Vor­stel­lungs­ge­spräch ein­zu­la­den, was auch geschah, bestand kei­ne Pflicht, einen Ersatz­ter­min anzu­bie­ten, da die orga­ni­sa­to­ri­schen Umstän­de der Beklag­ten und der nicht aus­rei­chend dar­ge­leg­te Grund für die Ter­min­ab­sa­ge der Klä­ge­rin gegen die Zumut­bar­keit eines Ersatz­ter­mins spra­chen. Die Ent­schei­dung des Lan­des­ar­beits­ge­richts wur­de bestä­tigt, da es kei­nen Rechts­feh­ler dar­in gab, dass die Beklag­te kei­ne Benach­tei­li­gung auf­grund der Schwer­be­hin­de­rung began­gen hat­te, indem sie kei­nen Ersatz­ter­min anbot.

https://www.bundesarbeitsgericht.de/entscheidung/8‑azr-164–22

Diskriminierung wegen Behinderung bei Bewerbungsverfahren (BAG, Urteil vom 23.11.2023, 8 AZR 212/22)

Zusam­men­fas­sung des Sach­ver­hal­tes:

Der Klä­ger, ein Stu­dent mit einem Grad der Behin­de­rung (GdB) von 40, bewarb sich bei der Beklag­ten um ein För­der­pro­gramm, das neben einer finan­zi­el­len Unter­stüt­zung auch prak­ti­sche Erfah­run­gen in Form von Prak­ti­ka bie­tet. Wäh­rend des Bewer­bungs­pro­zes­ses infor­mier­te der Klä­ger die Beklag­te über sei­ne Behin­de­rung und sei­nen gestell­ten Antrag auf Gleich­stel­lung mit einem schwer­be­hin­der­ten Men­schen. Kurz dar­auf erhielt der Klä­ger eine Absa­ge für das Pro­gramm. Nach­dem sein Antrag auf Gleich­stel­lung rück­wir­kend geneh­migt wur­de, klag­te er gegen die Beklag­te auf Ent­schä­di­gung nach § 15 Abs. 2 AGG wegen Benach­tei­li­gung auf­grund sei­ner Behin­de­rung.

Zusam­men­fas­sung der Urteils­be­grün­dung:

Das Bun­des­ar­beits­ge­richt wies die Revi­si­on des Klä­gers zurück, da kei­ne hin­rei­chen­den Indi­zi­en für eine Dis­kri­mi­nie­rung wegen der Behin­de­rung vor­la­gen. Zwar fällt der Klä­ger unter den per­sön­li­chen Anwen­dungs­be­reich des AGG als Bewer­ber für ein Beschäf­ti­gungs­ver­hält­nis, jedoch konn­te nicht nach­ge­wie­sen wer­den, dass die Absa­ge im Zusam­men­hang mit sei­ner Behin­de­rung stand. Zudem waren die spe­zi­fi­schen Ver­fah­rens­pflich­ten des SGB IX, die bei der Bewer­bung schwer­be­hin­der­ter Per­so­nen grei­fen, nicht anwend­bar, da zum Zeit­punkt der Ent­schei­dung über die Bewer­bung noch kei­ne Gleich­stel­lung vor­lag. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt ent­schied kor­rekt, dass der Klä­ger kei­ne Benach­tei­li­gung auf­grund sei­ner Behin­de­rung erlit­ten hat. Die Ent­schei­dung für die Absa­ge war recht­lich unab­hän­gig von der spä­ter erfolg­ten Gleich­stel­lung, und es gab kei­ne Ver­let­zung der Ver­fah­rens­pflich­ten, da die­se nur bei bereits aner­kann­ter Schwer­be­hin­de­rung oder erfolg­ter Gleich­stel­lung wäh­rend des Bewer­bungs­pro­zes­ses Anwen­dung fin­den.

https://www.bundesarbeitsgericht.de/entscheidung/8‑azr-212–22

Regelung der wöchentlichen Arbeitszeit bei Arbeit auf Abruf ohne vertragliche Festlegung (BAG, Urteil vom 18.10.2023, 5 AZR 22/23)

Zusam­men­fas­sung des Sach­ver­hal­tes:

Die Klä­ge­rin ist seit dem 22. Juli 2009 als Mit­ar­bei­te­rin auf Abruf bei der Beklag­ten beschäf­tigt. Ursprüng­lich war kei­ne kon­kre­te wöchent­li­che Arbeits­zeit ver­trag­lich fest­ge­legt wor­den. Die Klä­ge­rin war in den Jah­ren 2017 bis 2019 durch­schnitt­lich 103,2 Stun­den monat­lich tätig. Seit Janu­ar 2020, nach Weg­fall der Sams­tags­ar­beit, wur­de sie weni­ger zur Arbeit her­an­ge­zo­gen. Die Klä­ge­rin erhob Kla­ge auf Ver­gü­tung wegen Annah­me­ver­zugs und ver­lang­te die Fest­stel­lung einer regel­mä­ßi­gen monat­li­chen Arbeits­zeit von 103,2 Stun­den ab 2020. Die Vor­in­stan­zen, das Arbeits­ge­richt und das Lan­des­ar­beits­ge­richt Hamm, wie­sen die Kla­ge größ­ten­teils ab.

Zusam­men­fas­sung der Urteils­be­grün­dung:

Das Bun­des­ar­beits­ge­richt bestä­tig­te die Ent­schei­dung der Vor­in­stan­zen und wies die Revi­si­on der Klä­ge­rin zurück. Es wur­de fest­ge­stellt, dass im Fal­le der Arbeit auf Abruf ohne ver­trag­lich fest­ge­leg­te Arbeits­zeit nach § 12 Abs. 1 Satz 3 TzBfG eine Arbeits­zeit von 20 Stun­den wöchent­lich als ver­ein­bart gilt. Eine ergän­zen­de Ver­trags­aus­le­gung, um eine ande­re Arbeits­zeit­dau­er fest­zu­le­gen, sei nur mög­lich, wenn objek­ti­ve Anhalts­punk­te dafür vor­lie­gen, dass Arbeit­ge­ber und Arbeit­neh­mer bei Ver­trags­schluss eine ande­re Rege­lung gewollt hät­ten. Das Gericht fand kei­ne Anhalts­punk­te für eine abwei­chen­de Ver­ein­ba­rung und erklär­te, dass das Abruf­ver­hal­ten der Beklag­ten in den Jah­ren 2017 bis 2019 nicht aus­rei­che, um einen ande­ren als den gesetz­lich vor­ge­se­he­nen Umfang der Arbeits­zeit anzu­neh­men.

https://www.bundesarbeitsgericht.de/entscheidung/5‑azr-22–23

Mitbestimmung des Betriebsrats bei Handyverbot während der Arbeitszeit (BAG, Beschluss vom 17.10.2023, 1 ABR 24/22)

Zusam­men­fas­sung des Sach­ver­hal­tes:

Der Betriebs­rat eines Unter­neh­mens, das Brems- und Kraft­stoff­sys­te­me her­stellt, hat gegen eine Anord­nung der Arbeit­ge­be­rin geklagt, die den Arbeit­neh­mern die pri­va­te Nut­zung von Smart­phones wäh­rend der Arbeits­zeit unter­sagt. Die­se Anord­nung wur­de durch Aus­hän­ge im Betrieb kom­mu­ni­ziert und beinhal­te­te arbeits­recht­li­che Kon­se­quen­zen bei Ver­stö­ßen, bis hin zur frist­lo­sen Kün­di­gung. Der Betriebs­rat argu­men­tier­te, dass das Han­dy­ver­bot das Ord­nungs­ver­hal­ten der Arbeit­neh­mer im Betrieb betrifft und somit ein Mit­be­stim­mungs­recht nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG besteht.

Zusam­men­fas­sung der Urteils­be­grün­dung:

Das Bun­des­ar­beits­ge­richt wies die Rechts­be­schwer­de des Betriebs­rats zurück und bestä­tig­te damit die Ent­schei­dun­gen der Vor­in­stan­zen, die eben­falls die Anträ­ge des Betriebs­rats abge­wie­sen hat­ten. Es stell­te fest, dass die streit­be­fan­ge­ne Anord­nung der Arbeit­ge­be­rin, die pri­va­te Nut­zung von Mobil­te­le­fo­nen und Smart­phones wäh­rend der Arbeits­zeit zu ver­bie­ten, pri­mär auf die Steue­rung des Arbeits­ver­hal­tens gerich­tet ist und nicht auf das Ord­nungs­ver­hal­ten im Betrieb. Das Ver­bot zielt dar­auf ab, die Arbeits­leis­tung sicher­zu­stel­len, indem es Ablen­kun­gen durch pri­va­te Nut­zung der Gerä­te ver­hin­dert. Selbst wenn durch die Maß­nah­me auch das Ord­nungs­ver­hal­ten tan­giert wird, liegt der Schwer­punkt auf dem Arbeits­ver­hal­ten, was mit­be­stim­mungs­frei ist. Der Senat urteil­te, dass ein Mit­be­stim­mungs­recht des Betriebs­rats nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG nicht besteht und wies dar­auf hin, dass die recht­li­che Zuläs­sig­keit der Wei­sung selbst kei­nen Ein­fluss auf das Bestehen oder Nicht­be­stehen eines Mit­be­stim­mungs­rechts hat.

https://www.bundesarbeitsgericht.de/entscheidung/1‑abr-24–22

Nachwirkung kollektivrechtlicher Regelungen bei nicht identitätswahrendem Betriebsübergang (BAG, Urteil vom 19.09.2023, 1 AZR 281/22)

Zusam­men­fas­sung des Sach­ver­hal­tes:

Der Klä­ger war seit 1986 bei einem Rechts­vor­gän­ger der Beklag­ten beschäf­tigt, bei dem seit 1979 eine Gesamt­be­triebs­ver­ein­ba­rung galt, die auch Bei­hil­fen im Krank­heits­fall regel­te. Die­se Ver­ein­ba­rung wur­de durch den Betriebs­über­gang auf die Beklag­te trans­for­miert. Trotz eines Frei­wil­lig­keits­vor­be­halts und der Ein­stel­lung der Leis­tung durch die Beklag­te 2020, behaup­te­te der Klä­ger, aus der kon­ti­nu­ier­li­chen Pra­xis der Bei­hil­fe­ge­wäh­rung, auch über sei­nen Ein­tritt in den Ruhe­stand hin­aus, ein Recht auf die­se Leis­tun­gen erlangt zu haben.

Zusam­men­fas­sung der Urteils­be­grün­dung:

Das BAG wies die Revi­si­on der Beklag­ten zurück und bestä­tig­te die Urtei­le der Vor­in­stan­zen, die dem Klä­ger Recht gaben. Es wur­de fest­ge­stellt, dass der Klä­ger auf­grund der betrieb­li­chen Übung einen Anspruch auf Bei­hil­fen nach Maß­ga­be der Betriebs­ver­ein­ba­rung hat, der auch nach sei­nem Aus­schei­den als Betriebs­rent­ner fort­be­steht. Zudem wur­de ent­schie­den, dass trotz des nicht iden­ti­täts­wah­ren­den Betriebs­über­gangs die kol­lek­tiv­recht­li­chen Rege­lun­gen in die indi­vi­du­el­len Arbeits­ver­hält­nis­se trans­for­miert wur­den und daher nach­wir­ken. Die Nach­wir­kung der gekün­dig­ten Rege­lung gilt fort, bis eine neue Ver­ein­ba­rung zwi­schen Arbeit­ge­ber und Betriebs­rat getrof­fen wird. Die Ein­stel­lung der Leis­tung durch die Beklag­te konn­te nicht ohne eine sol­che neue Ver­ein­ba­rung wirk­sam wer­den, wes­halb der Klä­ger wei­ter­hin Anspruch auf die Bei­hil­fen hat.

https://www.bundesarbeitsgericht.de/entscheidung/1‑azr-281–22

Anspruch auf Teilzeit während der Elternzeit und Entgeltzahlung (BAG, Urteil vom 05.09.2023, 9 AZR 329/22)

Zusam­men­fas­sung des Sach­ver­hal­tes:

Der Klä­ger, ein Appli­ca­ti­on Engi­neer, war seit dem 1. Okto­ber 2010 bei der beklag­ten Fir­ma beschäf­tigt. Wäh­rend einer Eltern­zeit für sei­ne Toch­ter vom 3. August 2018 bis zum 2. Dezem­ber 2019 arbei­te­te er in Teil­zeit mit einer wöchent­li­chen Regel­ar­beits­zeit von 30 Stun­den. Für eine anschlie­ßen­de Eltern­zeit zur Betreu­ung sei­nes Soh­nes vom 3. Dezem­ber 2019 bis zum 2. Novem­ber 2021 bean­trag­te er eben­falls eine Teil­zeit­be­schäf­ti­gung, wel­che die Beklag­te auf­grund drin­gen­der betrieb­li­cher Grün­de ablehn­te. Der Klä­ger for­der­te dar­auf­hin die Zustim­mung der Beklag­ten zur Teil­zeit­ar­beit und die Zah­lung von Ent­gelt für die betref­fen­den Zeit­räu­me.

Zusam­men­fas­sung der Urteils­be­grün­dung:

Das Bun­des­ar­beits­ge­richt bestä­tig­te die Ent­schei­dung des Lan­des­ar­beits­ge­richts, wonach der Klä­ger einen Anspruch auf Zustim­mung zur Teil­zeit­be­schäf­ti­gung wäh­rend der Eltern­zeit hat­te. Es wur­de fest­ge­stellt, dass kei­ne drin­gen­den betrieb­li­chen Grün­de vor­la­gen, die die­sem Anspruch ent­ge­gen­stan­den. Eine ana­lo­ge Anwen­dung des § 1 Abs. 5 KSchG, wel­cher eine Ver­mu­tung drin­gen­der betrieb­li­cher Erfor­der­nis­se zulässt, wur­de abge­lehnt, da dies auf Kün­di­gun­gen beschränkt ist und kei­ne Anwen­dung auf Teil­zeit­an­trä­ge wäh­rend der Eltern­zeit fin­det.

Das Gericht stell­te wei­ter­hin fest, dass der Klä­ger Anspruch auf das gefor­der­te Ent­gelt hat­te, da die Beklag­te die Ver­wei­ge­rung der Zustim­mung zur Teil­zeit zu ver­tre­ten hat­te. Ein unver­meid­ba­rer Rechts­irr­tum wur­de ver­neint, und die Beklag­te konn­te sich nicht erfolg­reich auf einen sol­chen beru­fen. Zudem wur­de bestä­tigt, dass die Tarif­lohn­er­hö­hung nicht auf die Zula­ge anzu­rech­nen war und die tarif­ver­trag­li­chen Aus­schluss­fris­ten gewahrt wur­den.

Die Kos­ten des Rechts­streits wur­den auf­grund des Erfolgs der nach­ran­gig gel­tend gemach­ten Ansprü­che des Klä­gers gegen­ein­an­der auf­ge­ho­ben.

https://www.bundesarbeitsgericht.de/entscheidung/9‑azr-329–22

Beleidigende Äußerungen in einer WhatsApp-Gruppe und arbeitsrechtliche Konsequenzen (BAG, Urteil vom 24.08.2023, 2 AZR 17/23)

Zusam­men­fas­sung des Sach­ver­hal­tes:

Der Klä­ger, seit 1999 bei der Beklag­ten beschäf­tigt und zuletzt als Grup­pen­lei­ter in der Lager­lo­gis­tik tätig, war Mit­glied einer Whats­App-Chat­grup­pe, die aus sie­ben Arbeit­neh­mern bestand. In die­ser Grup­pe wur­den zwi­schen Novem­ber 2020 und Janu­ar 2021 belei­di­gen­de, frem­den­feind­li­che, sexis­ti­sche und men­schen­ver­ach­ten­de Äuße­run­gen über Vor­ge­setz­te und Kol­le­gen getä­tigt, teils mit Auf­ru­fen zur Gewalt. Die Inhal­te gelang­ten durch ein aus­ge­schie­de­nes Mit­glied der Grup­pe an die Unter­neh­mens­lei­tung. Dar­auf­hin sprach die Beklag­te eine außer­or­dent­li­che Kün­di­gung aus, die der Klä­ger gericht­lich anfech­ten woll­te.

Zusam­men­fas­sung der Urteils­be­grün­dung:

Das BAG hob das Urteil des Lan­des­ar­beits­ge­richts teil­wei­se auf und ver­wies die Sache zur erneu­ten Ver­hand­lung zurück. Zen­tral war die Fra­ge, ob die Äuße­run­gen in der Whats­App-Grup­pe einen hin­rei­chen­den Kün­di­gungs­grund dar­stell­ten. Das BAG stell­te fest, dass bei belei­di­gen­den und men­schen­ver­ach­ten­den Äuße­run­gen über Betriebs­an­ge­hö­ri­ge in einer Grup­pe von sie­ben Mit­glie­dern eine beson­de­re Begrün­dung nötig ist, war­um der Klä­ger eine Ver­trau­lich­keit die­ser Kom­mu­ni­ka­ti­on anneh­men durf­te. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat­te die Erwar­tung des Klä­gers auf Ver­trau­lich­keit der Kom­mu­ni­ka­ti­on als gege­ben ange­se­hen, jedoch ohne aus­rei­chen­de Begrün­dung.

Das BAG beton­te, dass das Lan­des­ar­beits­ge­richt rele­van­te Aspek­te nicht berück­sich­tigt hat­te, die für die Beur­tei­lung einer berech­tig­ten Ver­trau­lich­keits­er­war­tung ent­schei­dend sind. Unter ande­rem sei die Anzahl der Grup­pen­mit­glie­der und die Art des Nach­rich­ten­aus­tauschs rele­vant, ins­be­son­de­re die tech­ni­sche Mög­lich­keit des ein­fa­chen Wei­ter­lei­tens von Nach­rich­ten.

Das Gericht wies dar­auf hin, dass selbst wenn der Klä­ger eine Ver­trau­lich­keit erwar­tet habe, dies nicht auto­ma­tisch bedeu­tet, dass solch schwe­re Ver­feh­lun­gen wie belei­di­gen­de oder gewalt­för­dern­de Äuße­run­gen arbeits­recht­lich irrele­vant sind. Bei der erneu­ten Ver­hand­lung muss das Lan­des­ar­beits­ge­richt prü­fen, ob die Kün­di­gung unter Berück­sich­ti­gung aller Umstän­de gerecht­fer­tigt war.

https://www.bundesarbeitsgericht.de/entscheidung/2‑azr-17–23

Korrigierende Rückgruppierung und Anforderungen an die Eingruppierung (BAG, Urteil vom 16.08.2023, 4 AZR 339/22)

Zusam­men­fas­sung des Sach­ver­halts:

Die Klä­ge­rin, seit dem 30.09.2005 bei der Beklag­ten beschäf­tigt, wur­de gemäß ihrem Arbeits­ver­trag nach dem Bun­des-Ange­stell­ten­ta­rif­ver­trag (BAT) und ent­spre­chen­den Tarif­ver­trä­gen ver­gü­tet. Vom 15.09.2017 bis zum 20.09.2022 war sie als Sach­ge­biets­lei­te­rin “Finan­zen und Abwick­lung Grund­stücks­ver­kehr” tätig. Die Beklag­te ver­gü­te­te sie nach Ent­gelt­grup­pe 10 Stu­fe 4 des TVöD/VKA. Die Klä­ge­rin for­der­te eine Höher­grup­pie­rung in Ent­gelt­grup­pe 11 TVöD/VKA, rück­wir­kend zum Zeit­punkt der Über­tra­gung ihrer Tätig­keit, was die Beklag­te ablehn­te. Die Klä­ge­rin argu­men­tier­te, ihre Tätig­keit hebe sich durch beson­de­re Schwie­rig­keit und Bedeu­tung aus der Ent­gelt­grup­pe 9c TVöD/VKA her­aus.

Zusam­men­fas­sung der Urteils­be­grün­dung:

Das Bun­des­ar­beits­ge­richt wies die Revi­si­on der Klä­ge­rin zurück. Es bestä­tig­te, dass die Klä­ge­rin durch­ge­hend nach Ent­gelt­grup­pe 10 TVöD/VKA ver­gü­tet wur­de und die Beklag­te kei­ne kor­ri­gie­ren­de Rück­grup­pie­rung vor­nahm. Daher tra­ge die Klä­ge­rin die Beweis­last für die Erfül­lung der Anfor­de­run­gen der höhe­ren Ent­gelt­grup­pe.

Das Gericht erklär­te, dass die Grund­sät­ze der kor­ri­gie­ren­den Rück­grup­pie­rung nur anwend­bar sei­en, wenn aus der bis­he­ri­gen Ein­grup­pie­rung zwin­gend die Vor­aus­set­zun­gen der gefor­der­ten höhe­ren Ent­gelt­grup­pe fol­gen. Dies sei hier nicht der Fall, da die Beklag­te die Ein­grup­pie­rung nicht geän­dert hat­te und die Klä­ge­rin die Ein­grup­pie­rungs­kri­te­ri­en für Ent­gelt­grup­pe 11 TVöD/VKA selbst­stän­dig und eigen­ver­ant­wort­lich dar­le­gen müs­se.

Zudem sei die Kla­ge bereits für den Zeit­raum vor dem 01.09.2020 unzu­läs­sig, da die Klä­ge­rin kei­nen Anspruch auf Ver­gü­tung für die­sen Zeit­raum hat­te, weil sie ihre Ansprü­che nicht inner­halb der sechs­mo­na­ti­gen Aus­schluss­frist gel­tend gemacht hat­te. Das Gericht befand auch, dass die Klä­ge­rin ihre Tätig­kei­ten nicht so dar­ge­legt hat­te, dass ersicht­lich wur­de, wie sie sich durch beson­de­re Bedeu­tung aus der Ent­gelt­grup­pe 9c her­aus­ge­ho­ben hät­te.

https://www.bundesarbeitsgericht.de/entscheidung/4‑azr-339–22

Verwertbarkeit von Daten aus offener Videoüberwachung und elektronischer Anwesenheitserfassung (BAG, Urteil vom 29.06.2023, 2 AZR 297/22)

Zusam­men­fas­sung des Sach­ver­hal­tes:

Der Klä­ger, ein Mit­ar­bei­ter in einer Gie­ße­rei, wur­de von der Beklag­ten beschul­digt, am 2. Juni 2018 eine Mehr­ar­beits­schicht nicht geleis­tet zu haben, obwohl er sich dafür ange­mel­det und das Werks­ge­län­de betre­ten hat­te. Er soll das Gelän­de vor Schicht­be­ginn ver­las­sen und zudem die Anwe­sen­heit eines Kol­le­gen vor­ge­täuscht haben, indem er des­sen Werks­aus­weis am Kar­ten­le­se­ge­rät ver­wen­de­te. Die Beklag­te kün­dig­te dar­auf­hin das Arbeits­ver­hält­nis sowohl außer­or­dent­lich frist­los als auch ordent­lich. Der Klä­ger wehr­te sich gegen die Kün­di­gung und behaup­te­te, gear­bei­tet zu haben. Er argu­men­tier­te wei­ter­hin, dass die Erkennt­nis­se aus der Video­über­wa­chung und der elek­tro­ni­schen Anwe­sen­heits­er­fas­sung einem Ver­wer­tungs­ver­bot unter­lie­gen soll­ten.

Zusam­men­fas­sung der Urteils­be­grün­dung:

Das Bun­des­ar­beits­ge­richt hob das Urteil des Lan­des­ar­beits­ge­richts teil­wei­se auf und ver­wies den Fall zurück. Das Gericht stell­te fest, dass Daten aus einer offe­nen Video­über­wa­chung und einer elek­tro­ni­schen Anwe­sen­heits­er­fas­sung grund­sätz­lich im Pro­zess ver­wert­bar sind, solan­ge die­se Maß­nah­men den betrof­fe­nen Mit­ar­bei­tern bekannt und sicht­bar waren. Es wur­de ent­schie­den, dass kein gene­rel­les Ver­wer­tungs­ver­bot für Daten aus recht­mä­ßi­gen Über­wa­chungs­maß­nah­men besteht, ins­be­son­de­re wenn sie zur Auf­klä­rung schwer­wie­gen­der Pflicht­ver­let­zun­gen die­nen. Das Gericht erklär­te auch, dass die Über­wa­chung selbst bei einer even­tu­el­len Nicht­er­fül­lung von Infor­ma­ti­ons­pflich­ten (nach DSGVO) nicht auto­ma­tisch zu einem Ver­wer­tungs­ver­bot führt, solan­ge die Über­wa­chung offen erfolg­te und die betrof­fe­ne Per­son von der Über­wa­chung wuss­te oder wis­sen konn­te.

Des Wei­te­ren hat das Gericht dar­auf hin­ge­wie­sen, dass eine erneu­te Prü­fung des Sach­ver­halts nötig ist, um fest­zu­stel­len, ob der Klä­ger die Mehr­ar­beits­schicht tat­säch­lich geleis­tet hat. Es wur­de auch klar­ge­stellt, dass Argu­men­te bezüg­lich eines Ver­wer­tungs­ver­bots auf­grund eines Miss­ach­tens von Mit­be­stim­mungs­rech­ten des Betriebs­rats nicht grei­fen, da die gericht­li­che Ver­wen­dung von Daten nicht in der Dis­po­si­ti­on der Betriebs­par­tei­en steht.

https://www.bundesarbeitsgericht.de/entscheidung/2‑azr-297–22

Beweiswert von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen bei Entgeltfortzahlung (BAG, Urteil vom 28.06.2023, 5 AZR 335/22)

Zusam­men­fas­sung des Sach­ver­hal­tes:

Der Klä­ger war als tech­ni­scher Sach­be­ar­bei­ter bei der Beklag­ten beschäf­tigt, die in der Per­so­nal­ver­mitt­lung und ‑ver­leih tätig ist. Nach sei­ner Kün­di­gung leg­te der Klä­ger für den Zeit­raum vom 7. bis 30. Sep­tem­ber 2020 zwei Arbeits­un­fä­hig­keits­be­schei­ni­gun­gen vor, die eine Arbeits­un­fä­hig­keit wegen Gelenk­schmer­zen in der Schul­ter­re­gi­on bestä­tig­ten. Der Klä­ger for­der­te dar­auf­hin die Fort­zah­lung sei­nes Ent­gelts für die­se Zeit, da er auf­grund der Arbeits­un­fä­hig­keit nicht arbei­ten konn­te.

Zusam­men­fas­sung der Urteils­be­grün­dung:

Das Bun­des­ar­beits­ge­richt bestä­tig­te die Ent­schei­dun­gen der Vor­in­stan­zen, die dem Klä­ger Ent­gelt­fort­zah­lung zuspra­chen. Es wur­de fest­ge­stellt, dass die vom Klä­ger ein­ge­reich­ten Arbeits­un­fä­hig­keits­be­schei­ni­gun­gen einen hohen Beweis­wert hat­ten und die Beklag­te die­sen nicht aus­rei­chend erschüt­tern konn­te. Es wur­de betont, dass Arbeits­un­fä­hig­keits­be­schei­ni­gun­gen als zen­tra­les Beweis­mit­tel für krank­heits­be­ding­te Arbeits­un­fä­hig­keit gel­ten. Ein „blo­ßes Bestrei­ten“ der Arbeits­un­fä­hig­keit mit Nicht­wis­sen durch den Arbeit­ge­ber sei nicht aus­rei­chend, um den Beweis­wert der Beschei­ni­gun­gen zu erschüt­tern.

Die Beklag­te hat­te argu­men­tiert, dass die Beschei­ni­gun­gen nicht den Vor­ga­ben der Arbeits­un­fä­hig­keits-Richt­li­nie ent­sprä­chen, da die Sym­pto­me nicht inner­halb von sie­ben Tagen durch eine Dia­gno­se ersetzt wur­den. Das Gericht stell­te jedoch fest, dass die ICD-10-Codes, die in den Beschei­ni­gun­gen ange­ge­ben waren, tat­säch­lich spe­zi­fi­sche Dia­gno­sen dar­stell­ten. Des Wei­te­ren wur­de klar­ge­stellt, dass Ver­stö­ße gegen bestimm­te for­ma­le Vor­ga­ben der Arbeits­un­fä­hig­keits-Richt­li­nie, die pri­mär das Abrech­nungs­recht betref­fen, nicht den Beweis­wert der Beschei­ni­gun­gen beein­träch­ti­gen.

Die Revi­si­on der Beklag­ten wur­de zurück­ge­wie­sen, und sie wur­de ver­ur­teilt, die Kos­ten des Revi­si­ons­ver­fah­rens zu tra­gen. Das Gericht hob her­vor, dass die ärzt­li­che Beur­tei­lung der Arbeits­un­fä­hig­keit, auch wenn sie auf sub­jek­ti­ven Schil­de­run­gen des Pati­en­ten basiert, grund­sätz­lich einen hohen Beweis­wert hat.

https://www.bundesarbeitsgericht.de/entscheidung/5‑azr-335–22

Berechnung der betrieblichen Altersversorgung nach Teilzeitbeschäftigung (BAG, Urteil vom 20.06.2023, 3 AZR 221/22)

Zusam­men­fas­sung des Sach­ver­hal­tes:

Die Klä­ge­rin, gebo­ren 1964, war von August 1984 bis Sep­tem­ber 2020 bei der Beklag­ten bzw. deren Rechts­vor­gän­ge­rin­nen beschäf­tigt. Nach einer Voll­zeit­be­schäf­ti­gung bis März 2005 wech­sel­te sie zu einer Teil­zeit­ar­beit mit 17,5 Stun­den pro Woche. Im Rah­men der betrieb­li­chen Alters­ver­sor­gung nach den RL 1995 wur­de ihr mit­ge­teilt, dass für die Berech­nung der Alters­ver­sor­gung der Beschäf­ti­gungs­um­fang der letz­ten zehn Jah­re maß­geb­lich sei. Die Klä­ge­rin for­der­te, dass statt­des­sen der Beschäf­ti­gungs­um­fang wäh­rend der gesam­ten Dienst­zeit berück­sich­tigt wird, um die Alters­ren­te zu berech­nen.

Zusam­men­fas­sung der Urteils­be­grün­dung:

Das Bun­des­ar­beits­ge­richt wies die Revi­si­on der Klä­ge­rin ab. Es bestä­tig­te die Berech­nung der betrieb­li­chen Alters­ver­sor­gung, die auf den letz­ten zehn Jah­ren der Beschäf­ti­gung basiert, wie in den Richt­li­ni­en für die Gewäh­rung von Ver­sor­gungs­leis­tun­gen fest­ge­legt. Das Gericht erklär­te, dass die Rege­lung, die die letz­te Arbeits­zeit berück­sich­tigt, kei­nen Ver­stoß gegen das Teil­zeit- und Befris­tungs­ge­setz (TzBfG) dar­stellt. Auch liegt kei­ne Dis­kri­mi­nie­rung vor, da die Rege­lun­gen zur betrieb­li­chen Alters­ver­sor­gung, die auf den letz­ten zehn Dienst­jah­ren basie­ren, sowohl mit dem natio­na­len als auch mit dem EU-Recht ver­ein­bar sind.

Das Gericht beton­te, dass die betrieb­li­che Alters­ver­sor­gung, die auf dem End­ge­halt basiert, die Betriebs­treue wür­digt und den Ver­sor­gungs­be­darf bewer­tet. Die Ver­wen­dung des Durch­schnitts der letz­ten zehn Jah­re als Berech­nungs­grund­la­ge für die Alters­ver­sor­gung wur­de als ange­mes­sen und gerecht­fer­tigt ange­se­hen, da sie den Lebens­stan­dard, der sich wäh­rend die­ser Zeit ver­fes­tigt hat, wider­spie­gelt.

https://www.bundesarbeitsgericht.de/entscheidung/3‑azr-221–22

Diskriminierung schwerbehinderter Bewerber bei der Stellenbesetzung (BAG, Urteil vom 14.06.2023, 8 AZR 136/22)

Zusam­men­fas­sung des Sach­ver­hal­tes:

Der Klä­ger, ein stu­dier­ter Wirt­schafts­wis­sen­schaft­ler und schwer­be­hin­dert, bewarb sich auf eine Stel­le als “Scrum Mas­ter Ener­gy”. Trotz sei­ner Qua­li­fi­ka­tio­nen und expli­zi­ten Hin­wei­ses auf sei­ne Schwer­be­hin­de­rung erhielt er eine Absa­ge. Der Klä­ger ver­mu­te­te eine Dis­kri­mi­nie­rung auf­grund sei­ner Schwer­be­hin­de­rung und mach­te einen Ent­schä­di­gungs­an­spruch nach § 15 Abs. 2 AGG gel­tend, ins­be­son­de­re da die Beklag­te ver­säumt hat­te, den Betriebs­rat gemäß § 164 Abs. 1 Satz 4 SGB IX unver­züg­lich zu infor­mie­ren.

Zusam­men­fas­sung der Urteils­be­grün­dung:

Das Bun­des­ar­beits­ge­richt gab dem Klä­ger teil­wei­se Recht. Es stell­te fest, dass der Klä­ger durch die Nicht­be­rück­sich­ti­gung sei­ner Bewer­bung dis­kri­mi­niert wur­de, da die Beklag­te es ver­säumt hat­te, den Betriebs­rat recht­zei­tig zu infor­mie­ren, was die Ver­mu­tung einer Benach­tei­li­gung wegen der Schwer­be­hin­de­rung begrün­det. Der Beklag­ten gelang es nicht, die­se Ver­mu­tung zu wider­le­gen. Wei­ter­hin wur­de das Argu­ment der Beklag­ten, der Klä­ger hand­le rechts­miss­bräuch­lich, da er sich nur bewor­ben habe, um im Fal­le einer Ableh­nung Scha­dens­er­satz­an­sprü­che gel­tend zu machen, zurück­ge­wie­sen. Das Gericht ver­ur­teil­te die Beklag­te zur Zah­lung einer Ent­schä­di­gung von 7.500 Euro. Die­se Sum­me ent­spricht 1,5 Brut­to­mo­nats­ge­häl­tern und soll sowohl den imma­te­ri­el­len Scha­den des Klä­gers kom­pen­sie­ren als auch eine abschre­cken­de Wir­kung erzie­len.

https://www.bundesarbeitsgericht.de/entscheidung/8‑azr-136–22

Abberufung eines Datenschutzbeauftragten: Anforderungen und Voraussetzungen (BAG, Urteil vom 06.06.2023, 9 AZR 621/19)

Zusam­men­fas­sung des Sach­ver­hal­tes:

Der Klä­ger wur­de von der beklag­ten Kör­per­schaft des öffent­li­chen Rechts, die Dienst­leis­tun­gen für Kom­mu­nen im Bereich des Bun­des­rechts aus­führt, im Jahr 2004 zum Daten­schutz­be­auf­trag­ten bestellt. Mit der Ein­füh­rung der Daten­schutz-Grund­ver­ord­nung (DSGVO) im Mai 2018 emp­fahl der Säch­si­sche Lan­des­da­ten­schutz­be­auf­trag­te eine Anpas­sung der Bestel­lun­gen der Daten­schutz­be­auf­trag­ten. Dar­auf­hin berief die Beklag­te den Klä­ger im August 2018 ab, gegen was der Klä­ger gericht­lich vor­geht. Er ver­tritt die Auf­fas­sung, dass sei­ne Abbe­ru­fung einen wich­ti­gen Grund erfor­de­re, der nicht vor­lie­ge.

Zusam­men­fas­sung der Urteils­be­grün­dung:

Das Bun­des­ar­beits­ge­richt hebt das Urteil des Säch­si­schen Lan­des­ar­beits­ge­richts auf und ver­weist den Fall zur erneu­ten Ver­hand­lung und Ent­schei­dung zurück. Es bestä­tigt, dass die Abbe­ru­fung eines Daten­schutz­be­auf­trag­ten der Zustim­mung zu einem wich­ti­gen Grund bedarf, wie es § 6 Abs. 4 Satz 1 BDSG in Anleh­nung an § 626 Abs. 1 BGB vor­sieht. Das Gericht erklärt, dass die­se Rege­lung mit der DSGVO kon­form geht, da sie die Unab­hän­gig­keit und Effek­ti­vi­tät des Daten­schutz­be­auf­trag­ten schützt, ohne die Zie­le der DSGVO zu beein­träch­ti­gen.

Das Lan­des­ar­beits­ge­richt muss nun prü­fen, ob die vom Klä­ger aus­ge­üb­ten Tätig­kei­ten und sei­ne beruf­li­che Posi­ti­on Inter­es­sen­kon­flik­te erzeu­gen, die einen wich­ti­gen Grund für sei­ne Abbe­ru­fung dar­stel­len könn­ten. Wei­ter­hin ist zu klä­ren, ob mil­de­re Mit­tel als die Abbe­ru­fung, wie eine Umor­ga­ni­sa­ti­on sei­ner Auf­ga­ben, mög­lich gewe­sen wären, um die Unab­hän­gig­keit des Daten­schutz­be­auf­trag­ten zu gewähr­leis­ten.

https://www.bundesarbeitsgericht.de/entscheidung/9‑azr-621–19

Maßregelungsverbot bei der Erstellung von Arbeitszeugnissen (BAG, Versäumnisurteil vom 06.06.2023, 9 AZR 272/22)

Zusam­men­fas­sung des Sach­ver­hal­tes:

Die Klä­ge­rin war von August 2017 bis Febru­ar 2021 bei der Beklag­ten beschäf­tigt und ver­lang­te eine Kor­rek­tur ihres Arbeits­zeug­nis­ses, ins­be­son­de­re hin­sicht­lich der Bewer­tung ihres Arbeits- und Sozi­al­ver­hal­tens. Nach mehr­fa­chen Ände­run­gen ent­hielt die letz­te Ver­si­on des Zeug­nis­ses nicht mehr die ursprüng­lich auf­ge­nom­me­ne Dan­kes- und Wunsch­for­mel. Die Klä­ge­rin sah dar­in eine Ver­let­zung des Maß­re­ge­lungs­ver­bots gemäß § 612a BGB, da die Beklag­te die­se For­mel nach erfolg­ten Kor­rek­tu­ren weg­ließ.

Zusam­men­fas­sung der Urteils­be­grün­dung:

Das Bun­des­ar­beits­ge­richt wies die Revi­si­on der Beklag­ten ab und bestä­tig­te die Ent­schei­dun­gen der Vor­in­stan­zen. Es stell­te fest, dass das Maß­re­ge­lungs­ver­bot auch nach Been­di­gung des Arbeits­ver­hält­nis­ses grei­fe, ins­be­son­de­re im Kon­text der Zeug­nis­er­stel­lung. Die Beklag­te hat­te die Klä­ge­rin benach­tei­ligt, indem sie die Dan­kes- und Wunsch­for­mel in der letz­ten Zeug­nis­ver­si­on weg­ließ, obwohl die­se For­mu­lie­run­gen in den vor­he­ri­gen Ver­sio­nen ent­hal­ten waren. Das Gericht urteil­te, dass das Weg­las­sen der For­mel als Reak­ti­on auf die Rechts­aus­übung der Klä­ge­rin zur Zeug­nis­kor­rek­tur eine unzu­läs­si­ge Maß­re­ge­lung dar­stell­te.

Das Gericht argu­men­tier­te, dass der Arbeit­ge­ber an den ein­mal im Zeug­nis zum Aus­druck gebrach­ten Dank und die guten Wün­sche grund­sätz­lich gebun­den sei, solan­ge kei­ne neu­en Umstän­de eine Ände­rung recht­fer­ti­gen. Die Beklag­te konn­te kei­ne sol­chen Umstän­de dar­le­gen, was zu der Fest­stel­lung führ­te, dass sie die Klä­ge­rin in rechts­wid­ri­ger Wei­se benach­tei­lig­te, indem sie die bereits gewähr­te Dan­kes- und Wunsch­for­mel in der fina­len Fas­sung des Zeug­nis­ses ent­fern­te.

https://www.bundesarbeitsgericht.de/entscheidung/9‑azr-272–22

Unvereinbarkeit von Betriebsratsvorsitz und Datenschutzbeauftragung (BAG, Urteil vom 06.06.2023, 9 AZR 383/19)

Zusam­men­fas­sung des Sach­ver­hal­tes:

Der Klä­ger, seit 1993 bei der Beklag­ten beschäf­tigt, fun­giert als Betriebs­rats­vor­sit­zen­der und wur­de zusätz­lich zum Daten­schutz­be­auf­trag­ten bestellt. Der Thü­rin­ger Lan­des­be­auf­trag­te für Daten­schutz äußer­te Beden­ken bezüg­lich der Ver­ein­bar­keit die­ser Ämter und der dar­aus resul­tie­ren­den Zuver­läs­sig­keit des Klä­gers. Die Beklag­te wider­ruft dar­auf­hin die Bestel­lung als Daten­schutz­be­auf­trag­ten und beruft den Klä­ger ab, woge­gen die­ser klagt.

Zusam­men­fas­sung der Urteils­be­grün­dung:

Das BAG hebt die Vor­in­stan­zen auf und gibt der Revi­si­on der Beklag­ten statt, indem es die Kla­ge des Klä­gers abweist. Das Gericht erkennt, dass die par­al­le­le Aus­übung der Ämter des Betriebs­rats­vor­sit­zen­den und des Daten­schutz­be­auf­trag­ten zu unauf­lös­ba­ren Inter­es­sen­kon­flik­ten führt, die die not­wen­di­ge Unab­hän­gig­keit des Daten­schutz­be­auf­trag­ten gefähr­den. Ins­be­son­de­re wird dar­auf hin­ge­wie­sen, dass der Betriebs­rats­vor­sit­zen­de maß­geb­lich die Ver­ar­bei­tung per­so­nen­be­zo­ge­ner Daten beein­flus­sen kann, was sei­ner Funk­ti­on als neu­tra­ler Daten­schutz­be­auf­trag­ter wider­spricht. Daher war der Wider­ruf der Bestel­lung recht­mä­ßig, um die daten­schutz­recht­li­che Inte­gri­tät zu wah­ren. Der Klä­ger hat die Kos­ten des Rechts­streits zu tra­gen.

https://www.bundesarbeitsgericht.de/entscheidung/9‑azr-383–19

Wirksamkeit von Kündigungen im Rahmen von Betriebsübergängen bei Luftverkehrsunternehmen (BAG, Urteil vom 01.06.2023, 2 AZR 150/22)

Zusam­men­fas­sung des Sach­ver­halts:

Der Klä­ger, ein Flug­ka­pi­tän, war bei einem öster­rei­chi­schen Luft­ver­kehrs­un­ter­neh­men ange­stellt, das Teil des Ryan­air-Kon­zerns ist und eine Basis in Düs­sel­dorf unter­hielt. Im Rah­men einer Umstruk­tu­rie­rung kün­dig­te das Unter­neh­men, dass es sei­ne Flug­ak­ti­vi­tä­ten ein­stellt und die Akti­vi­tä­ten auf eine neu gegrün­de­te Fir­ma inner­halb des Kon­zerns über­trägt, die in Mal­ta regis­triert ist. Der Klä­ger erhielt ein Ange­bot der neu­en Fir­ma unter den glei­chen Arbeits­be­din­gun­gen wei­ter­zu­ar­bei­ten, woge­gen er sich mit der Begrün­dung wehr­te, dass ein Betriebs­über­gang statt­ge­fun­den habe.

Zusam­men­fas­sung der Urteils­be­grün­dung:

Das Bun­des­ar­beits­ge­richt wies die Revi­si­on des Klä­gers ab und bestä­tig­te die Wirk­sam­keit der Kün­di­gun­gen. Es wur­de fest­ge­stellt, dass kein Betriebs­über­gang im Sin­ne des § 613a BGB vor­lag, da die wirt­schaft­li­che Ein­heit ihre Iden­ti­tät nicht bewahr­te und die neue Fir­ma kei­ne Betriebs­tä­tig­keit in Deutsch­land auf­nahm. Die Kün­di­gun­gen waren sozi­al gerecht­fer­tigt, da das ursprüng­li­che Unter­neh­men sei­nen Betrieb in Deutsch­land voll­stän­dig ein­stell­te und kei­ne Beschäf­ti­gungs­mög­lich­keit für den Klä­ger mehr bestand. Das Gericht beton­te auch, dass der Betriebs­be­griff eines Luft­ver­kehrs­be­triebs die Gesamt­heit der an inlän­di­schen Flug­hä­fen sta­tio­nier­ten Luft­fahr­zeu­ge eines Luft­ver­kehrs­un­ter­neh­mens bil­det.

https://www.bundesarbeitsgericht.de/entscheidung/2‑azr-150–22

Bewertung des privaten Dienstwagennutzens und dessen Auswirkungen auf die Nettovergütung (BAG, Urteil vom 31.05.2023, 5 AZR 273/22)

Zusam­men­fas­sung des Sach­ver­hal­tes:

Der Klä­ger, beschäf­tigt in der Mar­ke­ting­ab­tei­lung der Beklag­ten, nutz­te einen ihm über­las­se­nen Dienst­wa­gen auch pri­vat. Es ent­stand Streit über die kor­rek­te Berech­nung der Net­to­ver­gü­tungs­dif­fe­ren­zen, da der Klä­ger behaup­te­te, die Beklag­te habe die Pfän­dungs­gren­zen nicht beach­tet. Der Dienst­wa­gen wur­de als Sach­be­zug gewer­tet, wobei strit­tig war, ob auch der Zuschlag für Fahr­ten zwi­schen Woh­nung und Arbeits­stät­te (0,03 %-Regel) ein­zu­be­zie­hen ist.

Zusam­men­fas­sung der Urteils­be­grün­dung:

Das Bun­des­ar­beits­ge­richt ent­schied, dass bei der Bewer­tung des Sach­be­zugs eines Dienst­wa­gens zur pri­va­ten Nut­zung ledig­lich 1 % des Lis­ten­prei­ses zu berück­sich­ti­gen sei, ohne die 0,03 %-Regel für Fahr­ten zwi­schen Woh­nung und Arbeits­stät­te. Die­se Rege­lung dient steu­er­recht­lich ledig­lich der Kom­pen­sa­ti­on eines pau­scha­len Wer­bungs­kos­ten­ab­zugs und stellt kei­nen zusätz­li­chen geld­wer­ten Vor­teil dar.

Die Revi­si­on der Beklag­ten war erfolg­reich, da das Lan­des­ar­beits­ge­richt fälsch­li­cher­wei­se den 0,03 %-Wert mit ein­be­zo­gen hat­te. Das Urteil wur­de auf­ge­ho­ben und die Sache zur Neu­be­wer­tung zurück­ver­wie­sen. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt muss nun prü­fen, ob unter Berück­sich­ti­gung des kor­rek­ten Sach­be­zugs­werts die Pfän­dungs­gren­zen ein­ge­hal­ten wur­den. Dabei sind auch die Unter­halts­pflich­ten des Klä­gers und even­tu­el­le frei­wil­li­ge Kran­ken- und Pfle­ge­ver­si­che­rungs­bei­trä­ge ein­zu­be­zie­hen.

https://www.bundesarbeitsgericht.de/entscheidung/5‑azr-273–22

Ausschluss eines Betriebsratsmitglieds bei Verletzung gesetzlicher Pflichten trotz Restmandats (BAG, Beschluss vom 24.05.2023, 7 ABR 21/21)

Zusam­men­fas­sung des Sach­ver­hal­tes:

Die Antrag­stel­le­rin­nen, zwei Unter­neh­men der D‑Unternehmensgruppe, strei­ten mit dem Betriebs­rat und des­sen Vor­sit­zen­dem haupt­säch­lich über die Auf­lö­sung des rest­man­da­tier­ten Betriebs­rats und hilfs­wei­se über des­sen Aus­schluss aus dem Betriebs­rat. Der Betrieb in P wur­de zum 30. April 2019 still­ge­legt. Vor der Schlie­ßung ver­sand­te der Betriebs­rats­vor­sit­zen­de Infor­ma­tio­nen zu Kün­di­gungs­schutz­ver­fah­ren an exter­ne Anwäl­te und ermög­lich­te über einen Link den Zugriff auf umfang­rei­che Daten ohne Pass­wort­schutz. Die Arbeit­ge­be­rin­nen sehen dar­in eine gro­be Ver­let­zung der gesetz­li­chen Pflich­ten des Betriebs­rats und sei­nes Vor­sit­zen­den.

Zusam­men­fas­sung der Urteils­be­grün­dung:

Das Bun­des­ar­beits­ge­richt ent­schied, dass die Rechts­be­schwer­de der Arbeit­ge­be­rin­nen teil­wei­se Erfolg hat. Es wur­de fest­ge­stellt, dass ein rest­man­da­tier­ter Betriebs­rat, der nach dem Unter­gang eines Betrie­bes noch besteht, nicht auf­ge­löst wer­den kann. Eine Auf­lö­sung nach § 23 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 BetrVG ist dem­nach nicht mög­lich, weil das Rest­man­dat nicht dem voll­um­fäng­li­chen Man­dat eines Betriebs­rats ent­spricht und nur auf spe­zi­fi­sche Auf­ga­ben bezo­gen ist, die direkt mit dem Unter­gang des Betriebs zusam­men­hän­gen.

Für den Aus­schluss eines Betriebs­rats­mit­glieds aus dem rest­man­da­tier­ten Betriebs­rat wur­de ent­schie­den, dass die­ser mög­lich ist, wenn eine gro­be Pflicht­ver­let­zung vor­liegt, die den Aus­schluss recht­fer­tigt. Die Fra­ge, ob der Vor­sit­zen­de des Betriebs­rats tat­säch­lich gro­be Pflicht­ver­let­zun­gen began­gen hat, konn­te auf Basis der bis­he­ri­gen Fest­stel­lun­gen nicht abschlie­ßend geklärt wer­den. Des­halb wur­de die Sache zur wei­te­ren Klä­rung und Ent­schei­dung zurück an das Lan­des­ar­beits­ge­richt ver­wie­sen. Der Aus­schluss aus dem Betriebs­rat betrifft in die­sem Fall die Wahr­neh­mung des Rest­man­dats, nicht das gesam­te Mit­glied des Gre­mi­ums.

Zusätz­lich wur­de betont, dass das Vor­han­den­sein des Rest­man­dats kei­ne unein­ge­schränk­te Befug­nis für Pflicht­ver­let­zun­gen bie­tet. Gro­be Pflicht­ver­let­zun­gen, die indi­vi­du­el­len Mit­glie­dern zure­chen­bar sind, kön­nen wei­ter­hin zu per­so­nel­len Kon­se­quen­zen füh­ren.

https://www.bundesarbeitsgericht.de/entscheidung/7‑abr-21–21

Auskunftsanspruch des Betriebsrats über schwerbehinderte und gleichgestellte Arbeitnehmer (BAG, Beschluss vom 09.05.2023, 1 ABR 14/22)

Zusam­men­fas­sung des Sach­ver­hal­tes:

Die Betei­lig­ten strei­ten über den Aus­kunfts­an­spruch des Betriebs­rats bezüg­lich der im Betrieb und Unter­neh­men beschäf­tig­ten schwer­be­hin­der­ten und die­sen gleich­ge­stell­ten Men­schen. Die Arbeit­ge­be­rin, eine Ent­sor­gungs­dienst­leis­te­rin, hat­te ledig­lich mit­ge­teilt, dass der Schwel­len­wert für die Wahl einer Schwer­be­hin­der­ten­ver­tre­tung erreicht sei, ohne wei­te­re Details zu nen­nen. Der Betriebs­rat ver­lang­te dar­auf­hin die Namen und Anzahl aller rele­van­ten Arbeit­neh­mer, um sei­ne Auf­ga­ben gemäß §§ 80 Abs. 1 Nr. 4 BetrVG, 164 Abs. 4 und 5 SGB IX nach­zu­kom­men, was von der Arbeit­ge­be­rin abge­lehnt wur­de.

Zusam­men­fas­sung der Urteils­be­grün­dung:

Das BAG bestä­tig­te den Aus­kunfts­an­spruch des Betriebs­rats und wies die Rechts­be­schwer­de der Arbeit­ge­be­rin teil­wei­se zurück. Der Betriebs­rat benö­tigt die­se Daten, um sei­ne gesetz­li­chen Auf­ga­ben zu erfül­len, ins­be­son­de­re zur Über­wa­chung der Ein­hal­tung der Beschäf­ti­gungs­pflich­ten gegen­über schwer­be­hin­der­ten und gleich­ge­stell­ten Arbeit­neh­mern und der behin­de­rungs­ge­rech­ten Aus­stat­tung der Arbeits­plät­ze. Daten­schutz­recht­li­che Beden­ken stan­den dem Aus­kunfts­an­spruch nicht ent­ge­gen, da die Wei­ter­ga­be der Daten gemäß § 26 BDSG zuläs­sig ist und der Betriebs­rat geeig­ne­te Maß­nah­men zum Schutz der Daten vor­ge­se­hen hat.

Der Unter­las­sungs­an­trag des Betriebs­rats wur­de als unzu­läs­sig abge­wie­sen, da er inhalt­lich iden­tisch mit dem Aus­kunfts­an­spruch war und somit kei­ne eigen­stän­di­ge recht­li­che Bewer­tung erfor­der­te. Der Antrag auf Andro­hung eines Ord­nungs­gel­des war dem Gericht somit nicht zur Ent­schei­dung vor­ge­legt wor­den.

https://www.bundesarbeitsgericht.de/entscheidung/1‑abr-14–22

Bahnreisezeiten als Arbeitszeit bei Fahrzeugüberführung (VG Lüneburg, Urteil vom 02.05.2023, Az.: 3 A 146/22)

Zusam­men­fas­sung des Sach­ver­hal­tes:

Die Klä­ge­rin, ein Spe­di­ti­ons­un­ter­neh­men, spe­zia­li­siert auf die Über­füh­rung von Fahr­zeu­gen, nutzt dazu fest­an­ge­stell­te Arbeit­neh­mer, die die Fahr­zeu­ge per Bahn­rei­se von ver­schie­de­nen Start- zu Ziel­or­ten über­füh­ren. Die­se Rei­sen schlie­ßen die Zei­ten für den Weg vom Wohn­ort zum Abhol­ort und zurück ein. Die Klä­ge­rin berück­sich­tig­te die­se Rei­se­zei­ten nicht als Arbeits­zeit, was durch eine Über­prü­fung des Beklag­ten, der zustän­di­gen Auf­sichts­be­hör­de, kri­ti­siert wur­de. Der Beklag­te for­der­te die Klä­ge­rin auf, ent­spre­chen­de Arbeits­zeit­nach­wei­se zu erstel­len und vor­zu­le­gen, was die Klä­ge­rin zurück­wies und statt­des­sen Kla­ge erhob. Sie argu­men­tier­te, dass die Rei­se­zei­ten nicht der Arbeits­zeit zuzu­rech­nen sei­en und dass ihre Arbeit­neh­mer wäh­rend der Bahn­rei­sen nicht ver­gleich­bar belas­tet wür­den wie bei direk­ten Fahr­ten zu Kun­den.

Zusam­men­fas­sung der Urteils­be­grün­dung:

Das VG Lüne­burg wies die Kla­ge ab und bestä­tig­te die Auf­fas­sung des Beklag­ten, dass die Bahn­rei­se­zei­ten der Arbeit­neh­mer als Arbeits­zei­ten anzu­se­hen sind. Dies begrün­de­te das Gericht mit der euro­päi­schen Arbeits­zeit­richt­li­nie und der Recht­spre­chung des EuGH. Dem­nach gehö­ren die Fahr­ten, die die Beschäf­tig­ten ohne fes­ten Arbeits­ort zwi­schen ihrem Wohn­ort und dem Ort der ers­ten bzw. letz­ten Tätig­keit des Tages zurück­le­gen, zur Arbeits­zeit. Das Gericht stell­te fest, dass die Arbeit­neh­mer wäh­rend der Bahn­fahr­ten nicht frei über ihre Zeit ver­fü­gen kön­nen, da sie sich am Arbeits­pro­zess betei­li­gen, indem sie Über­füh­rungs­pa­pie­re und Aus­rüs­tung trans­por­tie­ren und in Kom­mu­ni­ka­ti­on mit dem Arbeit­ge­ber ste­hen müs­sen. Die Ent­schei­dung unter­strich zudem, dass die Rei­se­zei­ten inte­gra­ler Bestand­teil der geschul­de­ten Haupt­leis­tung sind und somit nicht als Ruhe­zeit gewer­tet wer­den kön­nen. Des Wei­te­ren wur­de die Klä­ge­rin ver­pflich­tet, die­se Zei­ten zu doku­men­tie­ren und dem Beklag­ten vor­zu­le­gen, was eben­falls recht­mä­ßig sei, um die Ein­hal­tung des Arbeits­zeit­ge­set­zes sicher­zu­stel­len. Die Klä­ge­rin wur­de außer­dem zu den Kos­ten des Ver­fah­rens ver­ur­teilt. Das Urteil ist noch nicht rechts­kräf­tig.

https://www.iww.de/quellenmaterial/id/235793

Arbeitnehmerstatus in spiritueller Gemeinschaft bei Vereinsmitgliedschaft (BAG, Urteil vom 25.04.2023, 9 AZR 253/22)

Zusam­men­fas­sung des Sach­ver­hal­tes:

Die Klä­ge­rin, eine Voll­ju­ris­tin, war als Mit­glied (Seva­ka) in einer spi­ri­tu­el­len Gemein­schaft, die von einem gemein­nüt­zi­gen Ver­ein geführt wird, tätig. Ihr Ver­trag mit dem Ver­ein sah vor, dass sie kein Arbeits­ver­hält­nis begrün­det, son­dern eine Mit­glied­schaft in der spi­ri­tu­el­len Gemein­schaft ein­geht. Im Rah­men ihrer Mit­glied­schaft führ­te sie ver­schie­de­ne Tätig­kei­ten durch, die als Seva (selbst­lo­ser Dienst) bezeich­net wur­den. Dafür erhielt sie Kost und Logis sowie ein monat­li­ches Taschen­geld. Die Klä­ge­rin behaup­tet, dass ihre Tätig­kei­ten den Anfor­de­run­gen eines Arbeits­ver­hält­nis­ses ent­spre­chen und for­dert die Zah­lung des gesetz­li­chen Min­dest­lohns für ihre Diens­te.

Zusam­men­fas­sung der Urteils­be­grün­dung:

Das Bun­des­ar­beits­ge­richt stell­te fest, dass die Klä­ge­rin trotz ihrer for­ma­len Ver­eins­mit­glied­schaft in einem Arbeits­ver­hält­nis zum Beklag­ten stand, da sie wei­sungs­ge­bun­de­ne, fremd­be­stimm­te Arbeit in per­sön­li­cher Abhän­gig­keit geleis­tet hat. Das Gericht wies dar­auf hin, dass der Ver­trag mate­ri­ell auf die Erbrin­gung sol­cher Arbeit aus­ge­rich­tet war und die dafür vor­ge­se­he­nen Kom­pen­sa­tio­nen (Kost, Logis, Taschen­geld) im Kern einem Arbeits­ent­gelt ent­spra­chen. Die spi­ri­tu­el­le Aus­rich­tung und die for­ma­le Ver­eins­mit­glied­schaft ändern dar­an nichts, da der Ver­ein weder als Reli­gi­ons- noch als Welt­an­schau­ungs­ge­mein­schaft aner­kannt wird, die sol­che Arran­ge­ments recht­fer­ti­gen könn­te. Das Gericht hob das Urteil des Lan­des­ar­beits­ge­richts auf und ver­wies den Fall zur wei­te­ren Klä­rung der genau­en Arbeits­stun­den und der ent­spre­chen­den Ver­gü­tung zurück an das Lan­des­ar­beits­ge­richt.

https://www.bundesarbeitsgericht.de/entscheidung/9‑azr-253–22

Anspruch auf Mindesturlaub – Verjährung und Mitwirkungsobliegenheiten des Arbeitgebers (BAG, Urteil vom 20.12.2022, 9 AZR 266/20)

Zusam­men­fas­sung des Sach­ver­hal­tes:

Die Klä­ge­rin war vom 1. Novem­ber 1996 bis zum 31. Juli 2017 als Steu­er­fach­an­ge­stell­te und Bilanz­buch­hal­te­rin beim Beklag­ten beschäf­tigt. Sie hat­te einen jähr­li­chen Urlaubs­an­spruch von 24 Arbeits­ta­gen und arbei­te­te wöchent­lich 32 Stun­den an vier Tagen. Nach Been­di­gung des Arbeits­ver­hält­nis­ses ver­lang­te sie die Abgel­tung von 101 Urlaubs­ta­gen, die aus ihrer Sicht nicht ver­fal­len waren, da der Beklag­te sie nicht aus­rei­chend über ihren Urlaubs­an­spruch infor­miert und sie nicht zur Urlaub­nah­me auf­ge­for­dert hat­te. Der Beklag­te argu­men­tier­te, dass der Urlaub ver­fal­len sei und ein Teil der Ansprü­che ver­jährt wäre.

Zusam­men­fas­sung der Urteils­be­grün­dung:

Das BAG wies die Revi­si­on des Beklag­ten zurück und bestä­tig­te die Ent­schei­dung des Lan­des­ar­beits­ge­richts Düs­sel­dorf. Es führ­te aus, dass Urlaubs­an­sprü­che der Klä­ge­rin aus den Jah­ren 2011 bis 2017 weder ver­fal­len noch ver­jährt waren. Der gesetz­li­che Min­dest­ur­laub unter­lie­ge zwar der Ver­jäh­rung, jedoch begin­ne die­se erst, wenn der Arbeit­ge­ber den Arbeit­neh­mer tat­säch­lich in die Lage ver­setzt habe, sei­nen Urlaubs­an­spruch wahr­zu­neh­men. Dies beinhal­te, dass der Arbeit­ge­ber den Arbeit­neh­mer aktiv auf­for­dern müs­se, den Urlaub zu neh­men, und ihn klar dar­auf hin­wei­sen müs­se, dass der Urlaub ver­fal­len kön­ne, falls die­ser nicht genom­men wird. Die­se Mit­wir­kungs­ob­lie­gen­hei­ten des Arbeit­ge­bers sei­en Vor­aus­set­zung dafür, dass Urlaubs­an­sprü­che am Jah­res­en­de ver­fal­len könn­ten. Da der Beklag­te die­se Oblie­gen­hei­ten nicht erfüllt hat­te, waren die Urlaubs­an­sprü­che der Klä­ge­rin zum Zeit­punkt der Been­di­gung des Arbeits­ver­hält­nis­ses nicht ver­fal­len und die Ver­jäh­rung der Ansprü­che hat­te noch nicht begon­nen.

Das Gericht stell­te außer­dem fest, dass der Arbeit­ge­ber kei­ne Ein­re­den der Ver­jäh­rung gel­tend machen konn­te, weil er es ver­säumt hat­te, sei­ne Mit­wir­kungs­pflich­ten zu erfül­len. Der Arbeit­ge­ber kön­ne sich nicht auf Ver­trau­ens­schutz beru­fen, da die Recht­spre­chung kei­ne rück­wir­ken­den Aus­nah­men für bereits ent­stan­de­ne Ansprü­che zulie­ße. Somit war der Beklag­te zur Abgel­tung der nicht genom­me­nen Urlaubs­ta­ge ver­pflich­tet.

https://www.bundesarbeitsgericht.de/entscheidung/9‑azr-266–20

Urlaubsansprüche bei dauerhafter Erwerbsminderung (BAG, Urteil vom 20.12.2022, 9 AZR 245/19)

Zusam­men­fas­sung des Sach­ver­hal­tes:

Der Klä­ger, seit dem 10. April 2000 als Fracht­fah­rer bei der Beklag­ten, einer Flug­ha­fen­be­trei­ber­ge­sell­schaft, beschäf­tigt, und aner­kannt schwer­be­hin­dert, begehr­te die Fest­stel­lung, dass ihm noch Urlaubs­ta­ge aus den Jah­ren 2010, 2011 und 2014 zuste­hen. Die Anwen­dung des Tarif­ver­trags TVöD‑F führ­te zu einem jähr­li­chen Urlaubs­an­spruch von 30 Tagen. Wegen vol­ler Erwerbs­min­de­rung wur­de ihm ab Dezem­ber 2014 eine Ren­te bewil­ligt. Der Klä­ger argu­men­tier­te, die Urlaubs­an­sprü­che sei­en nicht ver­fal­len, da die Beklag­te ihren Mit­wir­kungs­ob­lie­gen­hei­ten nicht nach­ge­kom­men sei.

Das Bun­des­ar­beits­ge­richt ent­schied, dass die Beru­fung des Klä­gers bezüg­lich der Urlaubs­an­sprü­che aus den Jah­ren 2010 und 2011 unzu­läs­sig war, da er sich nicht aus­rei­chend mit den Ent­schei­dungs­grün­den des Arbeits­ge­richts aus­ein­an­der­ge­setzt hat­te. In Bezug auf das Jahr 2014 war die Revi­si­on teil­wei­se begrün­det. Der Klä­ger hat­te Anspruch auf 24 Urlaubs­ta­ge, da die Beklag­te ihre Mit­wir­kungs­ob­lie­gen­hei­ten nicht erfüllt hat­te.

Zusam­men­fas­sung der Urteils­be­grün­dung:

Das Gericht führ­te aus, dass die Ansprü­che auf gesetz­li­chen Min­dest­ur­laub nur unter bestimm­ten Vor­aus­set­zun­gen ver­fal­len kön­nen. Ins­be­son­de­re müs­sen Arbeit­ge­ber ihre Mit­wir­kungs­ob­lie­gen­hei­ten erfül­len, um den Ver­fall des Urlaubs­an­spruchs zu begrün­den. Im Fall des Klä­gers waren die Urlaubs­an­sprü­che aus dem Jahr 2014 nicht ver­fal­len, da der Anspruch auf bezahl­ten Jah­res­ur­laub, den er erwor­ben hat­te, bevor er voll erwerbs­ge­min­dert wur­de, nur dann nach Ablauf eines Über­tra­gungs­zeit­raums von 15 Mona­ten erlö­schen kann, wenn der Arbeit­ge­ber den Arbeit­neh­mer durch Erfül­lung sei­ner Mit­wir­kungs­ob­lie­gen­hei­ten recht­zei­tig in die Lage ver­setzt hat, die­sen Anspruch aus­zu­üben. Da dies nicht der Fall war, blie­ben die Urlaubs­an­sprü­che bestehen.

Weisungsrecht bei Versetzung an ausländischen Arbeitsort (BAG, Urteil vom 30.11.2022, 5 AZR 336/21)

Zusam­men­fas­sung des Sach­ver­hal­tes:

Der Klä­ger, ein Pilot, war ursprüng­lich bei Ryan­air in Irland ange­stellt und am Flug­ha­fen Nürn­berg sta­tio­niert. Nach einem Betriebs­über­gang wech­sel­te er zur Beklag­ten, einer in Mal­ta ansäs­si­gen Flug­ge­sell­schaft. Ryan­air ent­schied spä­ter, den Stand­ort Nürn­berg auf­zu­ge­ben. Infol­ge­des­sen ver­setz­te die Beklag­te den Klä­ger an die Home­ba­se in Bolo­gna, Ita­li­en. Der Klä­ger akzep­tier­te die Ver­set­zung unter Vor­be­halt und klag­te gegen die Wirk­sam­keit die­ser Maß­nah­me, indem er argu­men­tier­te, das Wei­sungs­recht des Arbeit­ge­bers umfas­se kei­ne Ver­set­zung ins Aus­land und sei zudem unbil­lig.

Zusam­men­fas­sung der Urteils­be­grün­dung:

Das Bun­des­ar­beits­ge­richt wies die Revi­si­on des Klä­gers ab und bestä­tig­te die Ent­schei­dun­gen der Vor­in­stan­zen, dass die Ver­set­zung nach Bolo­gna rech­tens war. Es fand, dass der Arbeits­ver­trag des Klä­gers kei­ne aus­schließ­li­che Fest­le­gung des Arbeits­orts Nürn­berg vor­sah und auch kei­ne kon­klu­den­te Beschrän­kung auf Deutsch­land ent­hielt. Daher kön­ne der Arbeit­ge­ber auf­grund sei­nes Wei­sungs­rechts nach § 106 Satz 1 GewO den Arbeits­ort auch ins Aus­land ver­le­gen.

Das Gericht erläu­ter­te, dass unter­neh­me­ri­sche Ent­schei­dun­gen wie die Auf­ga­be eines Stand­orts beson­de­res Gewicht haben und nicht auf ihre Zweck­mä­ßig­keit hin über­prüft wer­den müs­sen. Es fand wei­ter­hin, dass die Beklag­te die in einem Sozi­al­plan ver­ein­bar­ten Ver­fah­ren ein­ge­hal­ten hat und dass die Ver­set­zung inner­halb des bil­li­gen Ermes­sens lag. Die damit ver­bun­de­nen Belas­tun­gen für den Klä­ger sei­en zumut­bar, ins­be­son­de­re weil die tarif­li­chen Rege­lun­gen am neu­en Arbeits­ort in Ita­li­en zur Anwen­dung kämen und der Klä­ger Umzugs­leis­tun­gen nach dem Sozi­al­plan erhal­ten wür­de.

Zusam­men­fas­send bestä­tig­te das Gericht, dass die Ver­set­zung des Klä­gers recht­lich zuläs­sig war und wies sei­ne Kla­ge ab.

https://www.bundesarbeitsgericht.de/entscheidung/5‑azr-336–21

Amtszeit der Schwerbehindertenvertretung – Schwellenwert (BAG, Beschluss vom 19.10.2022, 7 ABR 27/21)

Zusam­men­fas­sung des Sach­ver­hal­tes:

Die Betei­lig­ten strit­ten über das vor­zei­ti­ge Ende des Amtes einer Schwer­be­hin­der­ten­ver­tre­tung. Die betrof­fe­ne Schwer­be­hin­der­ten­ver­tre­tung wur­de am 13. Novem­ber 2019 gewählt. Am 1. August 2020 sank die Anzahl der schwer­be­hin­der­ten Mit­ar­bei­ter im Betrieb K der Arbeit­ge­be­rin, einem Unter­neh­men der kli­ni­schen For­schung, von fünf auf vier. Die Arbeit­ge­be­rin ver­trat die Auf­fas­sung, dass dadurch die Schwer­be­hin­der­ten­ver­tre­tung ihre Exis­tenz ver­lo­ren habe und die Ver­tre­tung durch eine ande­re Schwer­be­hin­der­ten­ver­tre­tung im Betrieb L wahr­ge­nom­men wer­den soll­te. Die Schwer­be­hin­der­ten­ver­tre­tung wider­sprach dem, indem sie argu­men­tier­te, ihr Amt sei nicht auf­grund des Absin­kens der Zahl der schwer­be­hin­der­ten Beschäf­tig­ten unter den Schwel­len­wert des § 177 Abs. 1 Satz 1 SGB IX been­det.

Zusam­men­fas­sung der Urteils­be­grün­dung:

Das Bun­des­ar­beits­ge­richt gab der Rechts­be­schwer­de der Schwer­be­hin­der­ten­ver­tre­tung statt und hob die Ent­schei­dun­gen der Vor­in­stan­zen auf. Es wur­de fest­ge­stellt, dass die Amts­zeit der Schwer­be­hin­der­ten­ver­tre­tung nicht auf­grund der redu­zier­ten Anzahl schwer­be­hin­der­ter Mit­ar­bei­ter ende­te. Das Gericht stell­te klar, dass die Min­dest­an­zahl von fünf schwer­be­hin­der­ten Beschäf­tig­ten, die für die Wahl einer Schwer­be­hin­der­ten­ver­tre­tung erfor­der­lich ist, nicht wäh­rend der gesam­ten Amts­zeit erreicht sein muss. Die Vor­aus­set­zun­gen für ein vor­zei­ti­ges Erlö­schen des Amtes sind in § 177 Abs. 7 SGB IX abschlie­ßend gere­gelt, und ein Unter­schrei­ten des Schwel­len­wer­tes gehört nicht dazu. Die gesetz­li­che Rege­lung sieht vor, dass das Amt der Schwer­be­hin­der­ten­ver­tre­tung bei Absin­ken der Zahl der schwer­be­hin­der­ten Beschäf­tig­ten unter den Schwel­len­wert nicht auto­ma­tisch endet, son­dern wei­ter­hin besteht, solan­ge die in § 177 Abs. 7 Satz 1 SGB IX fest­ge­leg­te Amts­zeit von vier Jah­ren nicht abge­lau­fen ist.

https://www.bundesarbeitsgericht.de/entscheidung/7‑abr-27–21

Informationspflicht des Arbeitgebers bei Fremdpersonaleinsatz (LAG Baden-Württemberg, Beschluss vom 12.10.2022, 4 TaBV 3/21)

Zusam­men­fas­sung des Sach­ver­hal­tes:

Der Betriebs­rat eines Kran­ken­hau­ses for­der­te vom Arbeit­ge­ber wie­der­holt Infor­ma­tio­nen über den Ein­satz von Fremd­per­so­nal durch kon­zern­zu­ge­hö­ri­ge Ser­vice­ge­sell­schaf­ten. Kon­kret ging es um die Auf­klä­rung, ob die­se Per­so­nen in den betrieb­li­chen Ablauf ein­ge­glie­dert und wei­sungs­ab­hän­gig sind, was eine Mit­be­stim­mungs­pflicht nach § 99 BetrVG begrün­den könn­te. Der Arbeit­ge­ber sah sei­nen Aus­kunfts­an­spruch als erfüllt an, indem er Rah­men­ver­trä­ge vor­leg­te und auf die Mög­lich­keit zur Ein­sicht­nah­me ver­wies. Dar­auf­hin lei­te­te der Betriebs­rat ein Beschluss­ver­fah­ren ein, um sei­ne For­de­run­gen durch­zu­set­zen.

Zusam­men­fas­sung der Urteils­be­grün­dung:

Das Lan­des­ar­beits­ge­richt Baden-Würt­tem­berg ent­schied, dass der Betriebs­rat grund­sätz­lich ein Recht auf Infor­ma­ti­on hat, um sei­ne Über­wa­chungs­pflich­ten nach § 80 Abs. 2 Satz 1 BetrVG wahr­zu­neh­men. Die Infor­ma­ti­ons­pflicht des Arbeit­ge­bers umfasst den zeit­li­chen Umfang der Ein­sät­ze, die Ein­satz­or­te und die Arbeits­auf­ga­ben der Fremd­per­so­nal­mit­ar­bei­ter, jedoch nicht not­wen­di­ger­wei­se deren Namen. Das Gericht stell­te fest, dass die Vor­la­ge von Rah­men­ver­trä­gen allein nicht aus­reicht, da der Betriebs­rat dar­aus nicht beur­tei­len kann, ob die tat­säch­li­che Durch­füh­rung der Ein­sät­ze einer uner­laub­ten Arbeit­neh­mer­über­las­sung gleich­kommt. Der Antrag des Betriebs­rats wur­de in Tei­len statt­ge­ge­ben, ins­be­son­de­re im Hin­blick auf die zukünf­ti­ge Unter­rich­tung vor Ein­satz­be­ginn neu­er Fremd­per­so­nal­mit­ar­bei­ter. Aller­dings wur­de der Antrag abge­wie­sen, soweit er die nament­li­che Nen­nung des Fremd­per­so­nals ver­lang­te, da dies für die Wahr­neh­mung der Betriebs­rats­auf­ga­ben nicht erfor­der­lich ist. Das Gericht ließ die Rechts­be­schwer­de zu, auf­grund der grund­sätz­li­chen Bedeu­tung der Fra­ge nach dem Umfang des Aus­kunfts­an­spruchs des Betriebs­rats.

https://www.iww.de/quellenmaterial/id/232297

Tariflich verlängerte Überlassungsdauer von Leiharbeitnehmern (BAG, Urteil vom 14.09.2022, 4 AZR 83/21)

Zusam­men­fas­sung des Sach­ver­hal­tes:

Der Klä­ger, ein Kfz-Meis­ter, ist seit März 2017 bei der S GmbH ange­stellt und wur­de von Mai 2017 bis April 2019 an die Beklag­te, ein Mit­glied des Ver­bands der Metall- und Elek­tro­in­dus­trie Baden-Würt­tem­berg, über­las­sen. Er argu­men­tier­te, dass zwi­schen ihm und der Beklag­ten auf­grund der Über­schrei­tung der gesetz­li­chen Über­las­sungs­höchst­dau­er von 18 Mona­ten ein Arbeits­ver­hält­nis ent­stan­den sei. Er bestritt die Anwen­dung des Tarif­ver­tra­ges (TV LeiZ), der die Über­las­sungs­dau­er auf 48 Mona­te ver­län­gert, da er nicht Mit­glied der IG Metall sei. Er hielt außer­dem § 1 Abs. 1b Satz 3 AÜG für ver­fas­sungs- und uni­ons­rechts­wid­rig.

Zusam­men­fas­sung der Urteils­be­grün­dung:

Das Bun­des­ar­beits­ge­richt wies die Revi­si­on des Klä­gers zurück und bestä­tig­te die Ent­schei­dun­gen der Vor­in­stan­zen, die fest­ge­stellt hat­ten, dass kein Arbeits­ver­hält­nis zwi­schen den Par­tei­en ent­stan­den sei. Das Gericht erläu­ter­te, dass die Über­las­sungs­dau­er arbeit­neh­mer­be­zo­gen zu bestim­men sei und der Klä­ger knapp 24 Mona­te über­las­sen wur­de, was die gesetz­li­che Über­las­sungs­höchst­dau­er von 18 Mona­ten über­schrei­tet. Aller­dings sei die­se durch den Tarif­ver­trag TV LeiZ gemäß § 1 Abs. 1b Satz 3 AÜG wirk­sam auf 48 Mona­te ver­län­gert wor­den. Die­se Rege­lung gel­te unab­hän­gig von der Tarif­bin­dung des Klä­gers, da sie ledig­lich die Tarif­bin­dung der Ent­lei­he­rin vor­aus­set­ze. Wei­ter­hin sei die Rege­lung sowohl mit dem Uni­ons­recht als auch mit dem Grund­ge­setz ver­ein­bar, da sie eine ange­mes­se­ne und fle­xi­ble Anpas­sung an die betrieb­li­chen Bedürf­nis­se ermög­li­che, ohne den Schutz der Leih­ar­beit­neh­mer zu gefähr­den.

https://www.bundesarbeitsgericht.de/entscheidung/4‑azr-83–21

Initiativrecht des Betriebsrats bezüglich elektronischer Arbeitszeiterfassung (BAG, Beschluss vom 13.09.2022, 1 ABR 22/21)

Zusam­men­fas­sung des Sach­ver­hal­tes:

Die Par­tei­en strei­ten dar­über, ob dem Betriebs­rat ein Initia­tiv­recht zur Ein­füh­rung eines elek­tro­ni­schen Sys­tems zur Erfas­sung der Arbeits­zei­ten zusteht. Die Arbeit­ge­be­rin­nen, Betrei­ber einer voll­sta­tio­nä­ren Wohn­ein­rich­tung, lehn­ten die Ein­füh­rung eines sol­chen Sys­tems ab, wor­auf­hin der Betriebs­rat die Ein­rich­tung einer Eini­gungs­stel­le bean­trag­te und anschlie­ßend kla­ge. Sowohl das Arbeits­ge­richt Min­den als auch das Lan­des­ar­beits­ge­richt Hamm wur­den in die­ser Ange­le­gen­heit bereits ange­ru­fen.

Zusam­men­fas­sung der Urteils­be­grün­dung:

Das Bun­des­ar­beits­ge­richt ent­schied, dass dem Betriebs­rat kein Initia­tiv­recht zusteht, ein elek­tro­ni­sches Zeit­er­fas­sungs­sys­tem ein­zu­füh­ren. Das Gericht stell­te klar, dass die Arbeit­ge­be­rin­nen bereits gesetz­lich dazu ver­pflich­tet sind, die Arbeits­zei­ten zu erfas­sen. Die Anfor­de­run­gen des Gesund­heits­schut­zes und der Sicher­heit der Arbeit­neh­mer sind durch das Arbeits­schutz­ge­setz (§ 3 Abs. 2 Nr. 1 ArbSchG) aus­rei­chend gere­gelt, wel­ches den Arbeit­ge­bern vor­schreibt, ein geeig­ne­tes Sys­tem zur Arbeits­zeit­er­fas­sung zu imple­men­tie­ren, um die Ein­hal­tung von Höchst­ar­beits­zei­ten und Ruhe­pau­sen sicher­zu­stel­len. Das Gericht hob her­vor, dass der Betriebs­rat nur dann ein Mit­be­stim­mungs­recht hat, wenn dem Arbeit­ge­ber ein Gestal­tungs­spiel­raum ver­bleibt, was hier jedoch durch die gesetz­li­che Ver­pflich­tung nicht der Fall ist. Somit war die Kla­ge des Betriebs­rats unbe­grün­det und die Ent­schei­dung des Lan­des­ar­beits­ge­richts wur­de auf­ge­ho­ben.

https://www.bundesarbeitsgericht.de/entscheidung/1‑abr-22–21

Sonderkündigungsschutz für betriebliche Datenschutzbeauftragte (BAG, Urteil vom 25.08.2022, 2 AZR 225/20)

Zusam­men­fas­sung des Sach­ver­hal­tes:

Die Klä­ge­rin war seit Janu­ar 2018 bei der Beklag­ten als „Team­lei­ter Recht“ beschäf­tigt und wur­de zusätz­lich zur betrieb­li­chen Daten­schutz­be­auf­trag­ten bestellt. Die Beklag­te kün­dig­te das Arbeits­ver­hält­nis zum 15. August 2018 auf­grund einer Umstruk­tu­rie­rung und dem dadurch ent­fal­le­nen Beschäf­ti­gungs­be­darf. Die Klä­ge­rin erhob Kla­ge gegen die Kün­di­gung, da sie sich auf den Son­der­kün­di­gungs­schutz für Daten­schutz­be­auf­trag­te berief, der eine Kün­di­gung nur aus wich­ti­gem Grund zulässt.

Zusam­men­fas­sung der Urteils­be­grün­dung:

Das Bun­des­ar­beits­ge­richt bestä­tig­te die Ent­schei­dun­gen der Vor­in­stan­zen und wies die Revi­si­on der Beklag­ten zurück. Die ordent­li­che Kün­di­gung war gemäß § 38 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 iVm. § 6 Abs. 4 Satz 2 BDSG sowie § 134 BGB nich­tig, da die Klä­ge­rin als bestell­te Daten­schutz­be­auf­trag­te nur aus wich­ti­gem Grund gekün­digt wer­den darf. Das Gericht stell­te klar, dass der Son­der­kün­di­gungs­schutz des BDSG mit dem Uni­ons­recht und dem natio­na­len Ver­fas­sungs­recht ver­ein­bar ist. Es wur­de betont, dass Art. 38 Abs. 3 Satz 2 DSGVO einer stren­ge­ren natio­na­len Rege­lung, die eine Kün­di­gung nur aus wich­ti­gem Grund erlaubt, nicht ent­ge­gen­steht. Die Rege­lung beein­träch­tigt nicht die Zie­le der DSGVO und gewähr­leis­tet die funk­tio­nel­le Unab­hän­gig­keit des Daten­schutz­be­auf­trag­ten, was zur Wirk­sam­keit der DSGVO bei­trägt. Das Gericht wies auch dar­auf hin, dass die nor­ma­ti­ve Aus­ge­stal­tung des Son­der­kün­di­gungs­schut­zes kei­ne Beein­träch­ti­gung der Grund­rech­te der Beklag­ten dar­stellt.

https://www.bundesarbeitsgericht.de/entscheidung/2‑azr-225–20

Vergütung von Überstunden und Anforderungen an deren Darlegung (BAG, Urteil vom 04.05.2022, 5 AZR 359/21)

Zusam­men­fas­sung des Sach­ver­hal­tes:

Der Klä­ger, ehe­mals als Aus­lie­fe­rungs­fah­rer bei der Beklag­ten, einem Ein­zel­han­dels­un­ter­neh­men, beschäf­tigt, begehrt die Ver­gü­tung für 348 Über­stun­den. Die­se For­de­rung basiert auf den mit­tels tech­ni­scher Zeit­auf­zeich­nung erfass­ten Arbeits­zei­ten, die einen posi­ti­ven Sal­do von 348 Stun­den auf­wei­sen. Der Klä­ger argu­men­tiert, dass er kei­ne Pau­sen genom­men hat und daher die gesam­te auf­ge­zeich­ne­te Zeit als Arbeits­zeit zu ver­gü­ten sei.

Zusam­men­fas­sung der Urteils­be­grün­dung:

Das Bun­des­ar­beits­ge­richt wies die Revi­si­on des Klä­gers zurück und bestä­tig­te damit die Ent­schei­dung des Lan­des­ar­beits­ge­richts Nie­der­sach­sen, wel­che die Kla­ge größ­ten­teils abwies. Es beton­te, dass der Klä­ger zwar den Umfang der geleis­te­ten Über­stun­den schlüs­sig dar­ge­legt hat, jedoch nicht aus­rei­chend dar­leg­te, dass die Über­stun­den durch die Beklag­te ver­an­lasst wur­den.

  1. Arbeits­zeit und Dar­le­gungs­last: Der Klä­ger erfüll­te sei­ne Dar­le­gungs­last hin­sicht­lich der Arbeits­zei­ten, indem er kon­kret angab, wann er gear­bei­tet habe. Der Vor­trag, kei­ne Pau­sen gemacht zu haben, wur­de vom Gericht als aus­rei­chend für die Behaup­tung ange­se­hen, dass alle auf­ge­zeich­ne­ten Zei­ten Arbeits­zei­ten sei­en.
  2. Ver­an­las­sung durch den Arbeit­ge­ber: Das Gericht stell­te klar, dass Über­stun­den­ver­gü­tun­gen eine Ver­an­las­sung durch den Arbeit­ge­ber vor­aus­set­zen. Hier­zu gehört, dass Über­stun­den ent­we­der vom Arbeit­ge­ber ange­ord­net, gebil­ligt oder zur Erle­di­gung der geschul­de­ten Arbeit not­wen­dig waren. Der Klä­ger konn­te nicht hin­rei­chend dar­le­gen, dass die geleis­te­ten Über­stun­den durch die Beklag­te ver­an­lasst wur­den.
  3. Recht­li­che Ein­ord­nung der Über­stun­den: Über­stun­den müs­sen vom Arbeit­ge­ber ver­an­lasst sein, damit sie ver­gü­tet wer­den. Der Klä­ger trug nicht sub­stan­ti­iert vor, dass eine bestimm­te Arbeits­men­ge inner­halb der Nor­mal­ar­beits­zeit nicht zu schaf­fen war oder dass der Arbeit­ge­ber durch das Abzeich­nen von Arbeits­zeit­nach­wei­sen die Über­stun­den­leis­tung gebil­ligt hät­te.

Das Urteil unter­streicht die Not­wen­dig­keit einer genau­en Dar­le­gung der Ver­an­las­sung von Über­stun­den durch den Arbeit­ge­ber, um einen Anspruch auf Über­stun­den­ver­gü­tung erfolg­reich gel­tend machen zu kön­nen.

https://www.bundesarbeitsgericht.de/entscheidung/5‑azr-359–21

Fairness von Aufhebungsvertragsverhandlungen (BAG, Urteil vom 24.02.2022, 6 AZR 333/21)

Zusam­men­fas­sung des Sach­ver­hal­tes:

Die Klä­ge­rin, seit dem 1. Juni 2015 als Team­ko­or­di­na­to­rin des Ver­kaufs im Bereich Haus­tech­nik beschäf­tigt, wur­de am 22. Novem­ber 2019 von ihrem Arbeit­ge­ber und des­sen Rechts­an­walt beschul­digt, unbe­rech­tigt Ein­kaufs­prei­se redu­ziert zu haben, um einen höhe­ren Ver­kaufs­ge­winn vor­zu­täu­schen. Ihr wur­de ohne Vor­ankün­di­gung des Gesprächs­the­mas ein Auf­he­bungs­ver­trag vor­ge­legt, der ihr Aus­schei­den aus dem Unter­neh­men vor­sah. Nach einer kur­zen Bedenk­zeit unter­schrieb sie den Ver­trag, focht die­sen jedoch spä­ter wegen wider­recht­li­cher Dro­hung an. Sie behaup­te­te, man habe ihr für den Fall der Nicht­un­ter­zeich­nung mit einer außer­or­dent­li­chen Kün­di­gung und einer Straf­an­zei­ge gedroht und ihr kei­ne aus­rei­chen­de Bedenk­zeit gewährt.

Zusam­men­fas­sung der Urteils­be­grün­dung:

Das Bun­des­ar­beits­ge­richt wies die Revi­si­on der Klä­ge­rin zurück und bestä­tig­te damit das Urteil des Lan­des­ar­beits­ge­richts, das den Auf­he­bungs­ver­trag als wirk­sam ansah. Das Gericht fand, dass die Dro­hung mit Kün­di­gung und Straf­an­zei­ge nicht wider­recht­lich war, da aus Sicht eines ver­stän­di­gen Arbeit­ge­bers ange­nom­men wer­den konn­te, dass ein hin­rei­chen­der Anlass für die­se Maß­nah­men bestand. Zudem urteil­te das Gericht, dass die Vor­ge­hens­wei­se des Arbeit­ge­bers bei den Ver­trags­ver­hand­lun­gen fair war. Ein Auf­he­bungs­ver­trag, der zur sofor­ti­gen Annah­me unter­brei­tet wird, ver­stößt nicht gegen das Gebot fai­ren Ver­han­delns, solan­ge dem Arbeit­neh­mer die Mög­lich­keit bleibt, das Ange­bot abzu­leh­nen. Die Klä­ge­rin hat­te die Opti­on, den Raum zu ver­las­sen und das Ange­bot nicht anzu­neh­men, wodurch kei­ne unfai­re Druck­si­tua­ti­on ent­stand, die ihre Ent­schei­dungs­frei­heit erheb­lich ein­ge­schränkt hät­te.

https://www.bundesarbeitsgericht.de/entscheidung/6‑azr-333–21

Anspruch auf Nachgewährung von Freistellungstagen bei Krankheit (BAG, Urteil vom 23.02.2022, 10 AZR 99/21)

Zusam­men­fas­sung des Sach­ver­hal­tes:

Der Klä­ger, ein voll­zeit­be­schäf­tig­ter Arbeit­neh­mer und Mit­glied der IG Metall, bean­spruch­te auf Grund­la­ge des Tarif­ver­trags Tarif­li­ches Zusatz­geld (TV T‑ZUG) für das Jahr 2019 zusätz­li­che Frei­stel­lungs­ta­ge. Die­se Frei­stel­lungs­ta­ge waren als Alter­na­ti­ve zum tarif­li­chen Zusatz­geld gewährt wor­den und soll­ten am 11. und 12. Juni 2019 statt­fin­den. Der Klä­ger war jedoch vom 5. bis ein­schließ­lich 12. Juni 2019 krank­heits­be­dingt arbeits­un­fä­hig. Er for­der­te dar­auf­hin die Nach­ge­wäh­rung der zwei Frei­stel­lungs­ta­ge, was die Beklag­te ablehn­te. Der Klä­ger argu­men­tier­te, dass der Anspruch auf die Frei­stel­lungs­ta­ge nicht erfüllt sei, da er sie auf­grund sei­ner Krank­heit nicht nut­zen konn­te.

Zusam­men­fas­sung der Urteils­be­grün­dung:

Das Bun­des­ar­beits­ge­richt wies die Revi­si­on der Beklag­ten zurück und bestä­tig­te damit die Ent­schei­dun­gen der Vor­in­stan­zen, die dem Klä­ger Recht gaben. Es stell­te fest, dass der Anspruch auf die Frei­stel­lungs­ta­ge nicht erlo­schen ist, da die­se auf­grund der krank­heits­be­ding­ten Arbeits­un­fä­hig­keit des Klä­gers nicht rea­li­siert wer­den konn­ten. Das Gericht erläu­ter­te, dass die Frei­stel­lungs­ta­ge erst dann als „genom­men“ gel­ten, wenn sie tat­säch­lich genutzt wer­den kön­nen, was hier durch die Krank­heit des Klä­gers ver­hin­dert wur­de. Die Tarif­ver­trags­par­tei­en hät­ten mit der Rege­lung bezweckt, den Arbeit­neh­mern tat­säch­lich nutz­ba­re freie Tage zu gewäh­ren. Daher sei der Anspruch auf die Frei­stel­lungs­ta­ge erhal­ten geblie­ben und der Klä­ger kön­ne ihre Nach­ge­wäh­rung ver­lan­gen. Das Gericht führ­te wei­ter aus, dass die tarif­li­che Rege­lung nicht dazu führt, dass der Anspruch auf die Frei­stel­lungs­ta­ge mit dem Jah­res­en­de erlischt, solan­ge die Frei­stel­lung aus per­so­nen­be­ding­ten Grün­den nicht mög­lich war. Das Gericht lehn­te somit die Argu­men­ta­ti­on der Beklag­ten ab, die Frei­stel­lung sei bereits durch die blo­ße zeit­li­che Fest­le­gung der Frei­stel­lungs­ta­ge erfüllt wor­den.

https://www.bundesarbeitsgericht.de/entscheidung/10-azr-99–21

Kein Anspruch auf Dankes- und Wunschformel im Arbeitszeugnis (BAG, Urteil vom 25.01.2022, 9 AZR 146/21)

Zusam­men­fas­sung des Sach­ver­hal­tes:

Der Klä­ger, ehe­mals tätig als Per­so­nal­dis­po­nent bei der Beklag­ten, einem Per­so­nal­dienst­leis­ter, begehr­te die Ergän­zung sei­nes Arbeits­zeug­nis­ses um eine Dan­kes- und Wunsch­for­mel. Die Beklag­te hat­te ihm ein Arbeits­zeug­nis ohne die­se For­mel aus­ge­stellt. Der Klä­ger argu­men­tier­te, dass das Feh­len einer sol­chen For­mel sein Zeug­nis min­der­wer­tig erschei­nen lie­ße.

Zusammenfassung der Urteilsbegründung:

Das Bun­des­ar­beits­ge­richt ent­schied, dass der Klä­ger kei­nen Anspruch auf die Auf­nah­me einer Dan­kes- und Wunsch­for­mel in sein Arbeits­zeug­nis hat. Das Gericht stell­te klar, dass ein qua­li­fi­zier­tes Arbeits­zeug­nis laut § 109 Abs. 1 Satz 3 GewO ledig­lich Anga­ben über Leis­tung und Ver­hal­ten des Arbeit­neh­mers ent­hal­ten muss. Die Hin­zu­fü­gung von Dan­kes- und Wunsch­for­meln ist nicht ver­pflich­tend und kann nicht aus der gesetz­li­chen Rege­lung her­ge­lei­tet wer­den.

Das Gericht beton­te wei­ter­hin, dass der Anspruch auf ein qua­li­fi­zier­tes Zeug­nis den Arbeit­ge­ber nicht dazu ver­pflich­ten kann, sei­ne inne­re Ein­stel­lung zu äußern oder posi­ti­ve Wün­sche für die Zukunft aus­zu­spre­chen, die er mög­li­cher­wei­se nicht hegt. Die nega­ti­ve Mei­nungs­frei­heit des Arbeit­ge­bers schützt ihn davor, zu Aus­sa­gen gezwun­gen zu wer­den, die er nicht täti­gen möch­te. Dies gilt auch für for­mel­haf­te Dan­kes- und Wunsch­for­meln, die nicht die tat­säch­li­che Mei­nung des Arbeit­ge­bers wider­spie­geln müs­sen.

Zusam­men­fas­send wies das Gericht dar­auf hin, dass die Beru­fungs­ent­schei­dung, die dem Klä­ger zunächst Recht gab, auf einer feh­ler­haf­ten Rechts­auf­fas­sung beruh­te. Daher wur­de die­se Ent­schei­dung auf­ge­ho­ben und die ursprüng­li­che Ent­schei­dung des Arbeits­ge­richts wie­der­her­ge­stellt, wel­che die Kla­ge des Klä­gers abge­wie­sen hat­te.

https://www.bundesarbeitsgericht.de/entscheidung/9‑azr-146–21

Kein individueller Anspruch auf Durchführung eines betrieblichen Eingliederungsmanagements (BAG, Urteil vom 07.09.2021, 9 AZR 571/20)

Zusam­men­fas­sung des Sach­ver­hal­tes:

Der Klä­ger, ein bei der beklag­ten Gemein­de beschäf­tig­ter Arbeit­neh­mer mit einem Grad der Behin­de­rung von 30, ver­lang­te die Durch­füh­rung eines betrieb­li­chen Ein­glie­de­rungs­ma­nage­ments (bEM), nach­dem er in den Jah­ren 2018 und 2019 jeweils mehr als sechs Wochen krank­heits­be­dingt arbeits­un­fä­hig war. Die Beklag­te lehn­te die Durch­füh­rung eines bEM ab, wor­auf­hin der Klä­ger klag­te.

Zusam­men­fas­sung der Urteils­be­grün­dung:

Das Bun­des­ar­beits­ge­richt ent­schied, dass § 167 Abs. 2 Satz 1 SGB IX kei­nen indi­vi­du­el­len Anspruch eines Arbeit­neh­mers auf die Ein­lei­tung und Durch­füh­rung eines bEM begrün­det. Das Gericht führ­te aus, dass ein bEM ein ver­laufs- und ergeb­nis­of­fe­ner Pro­zess sei, der dar­auf abzielt, Lösun­gen zu fin­den, um die Arbeits­un­fä­hig­keit zu über­win­den und zukünf­ti­ge Arbeits­un­fä­hig­keit zu ver­mei­den. Die Norm ver­pflich­tet den Arbeit­ge­ber zur Initia­ti­ve, gibt aber dem Arbeit­neh­mer kei­nen ein­klag­ba­ren Anspruch auf die Durch­füh­rung des Ver­fah­rens.

Das Gericht beton­te, dass die gesetz­li­che Rege­lung des bEM umfas­send und abschlie­ßend sei und dass all­ge­mei­ne arbeits­ver­trag­li­che Pflich­ten wie das Rück­sicht­nah­me­ge­bot nicht dazu genutzt wer­den kön­nen, um dar­über hin­aus­ge­hen­de Ansprü­che zu begrün­den.

Wei­ter­hin stell­te das Gericht klar, dass auch die UN-Behin­der­ten­rechts­kon­ven­ti­on und die EU-Richt­li­nie 2000/78/EG, wel­che die Gleich­be­hand­lung im Beruf und die Beschäf­ti­gung von Men­schen mit Behin­de­run­gen the­ma­ti­sie­ren, kei­nen dar­über­hin­aus­ge­hen­den indi­vi­du­el­len Anspruch auf ein bEM begrün­den.

Ins­ge­samt wur­de die Revi­si­on des Klä­gers gegen das Urteil des Lan­des­ar­beits­ge­richts zurück­ge­wie­sen und die Kla­ge abge­wie­sen.

https://www.bundesarbeitsgericht.de/entscheidung/9‑azr-571–20

Kein Mitbestimmungsrecht bei Fürsorgegesprächen (LAG Nürnberg, Beschluss vom 02.03.2021, 7 TaBV 5/20)

Zusam­men­fas­sung des Sach­ver­hal­tes:

Die Par­tei­en strei­ten über die Mit­be­stim­mungs­rech­te des Betriebs­rats (Betei­lig­ter zu 1) bei der Durch­füh­rung von Für­sor­ge­ge­sprä­chen in einem Unter­neh­men, das bun­des­weit Nie­ren­zen­tren betreibt. Die Geschäfts­füh­rung (Betei­lig­ter zu 2) kün­dig­te an, Für­sor­ge­ge­sprä­che mit Mit­ar­bei­tern füh­ren zu wol­len, die ver­mehrt Krank­heits­ta­ge auf­wei­sen. Der Betriebs­rat mach­te ein Mit­be­stim­mungs­recht gel­tend und bean­trag­te gericht­lich, dem Arbeit­ge­ber die Durch­füh­rung sol­cher Gesprä­che ohne Zustim­mung des Betriebs­rats zu unter­sa­gen.

Zusam­men­fas­sung der Urteils­be­grün­dung:

Das Lan­des­ar­beits­ge­richt Nürn­berg bestä­tig­te den Beschluss des Arbeits­ge­richts Würz­burg, der die Anträ­ge des Betriebs­rats zurück­wies. Das Gericht urteil­te, dass die durch­ge­führ­ten Für­sor­ge­ge­sprä­che nicht der Mit­be­stim­mung des Betriebs­rats unter­lie­gen, da sie nicht nach einem abs­trak­ten Sche­ma aus­ge­wählt oder for­ma­li­siert durch­ge­führt wur­den und sich pri­mär auf das indi­vi­du­el­le Arbeits­ver­hal­ten und nicht auf das Ord­nungs­ver­hal­ten im Betrieb bezo­gen.

Es wur­de fest­ge­stellt, dass kei­ne abs­trak­te Rege­lung für die Aus­wahl der Gesprächs­teil­neh­mer bestand und die Gesprä­che unter­schied­lich ver­lie­fen, abhän­gig von den indi­vi­du­el­len Umstän­den der Mit­ar­bei­ter. Zudem waren die Gesprä­che dar­auf aus­ge­rich­tet, indi­vi­du­el­le Lösun­gen zur Über­win­dung von Arbeits­un­fä­hig­keit zu ermit­teln und nicht, das kol­lek­ti­ve Ord­nungs­ver­hal­ten zu regeln oder zu stan­dar­di­sie­ren.

Das Gericht wies dar­auf hin, dass das Mit­be­stim­mungs­recht des Betriebs­rats sich nicht auf Maß­nah­men erstreckt, die das indi­vi­du­el­le Arbeits­ver­hal­ten betref­fen und nicht auf eine kol­lek­ti­ve Rege­lung abzie­len. Die Beschwer­de des Betriebs­rats wur­de zurück­ge­wie­sen, und es wur­de kei­ne Rechts­be­schwer­de zuge­las­sen.

https://www.iww.de/quellenmaterial/id/222958

4.17 BVerfG-Entscheidung zu rassistischen Beleidigungen im Betriebsrat“

Das Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt (BVerfG) hat in einer Ent­schei­dung vom 2. Novem­ber 2020 (1 BvR 2727/19) über eine erfolg­lo­se Ver­fas­sungs­be­schwer­de zur Kün­di­gung eines Betriebs­rats­mit­glieds wegen ras­sis­ti­scher Belei­di­gung ent­schie­den. Die Ent­schei­dung hat erheb­li­che Auf­merk­sam­keit in Medi­en und Fach­pres­se erregt.

Im vor­lie­gen­den Fall wur­de einem Betriebs­rats­mit­glied vor­ge­wor­fen, wäh­rend einer Betriebs­rats­sit­zung sei­nem schwar­zen Kol­le­gen im Rah­men eines Dia­logs über die Her­an­ge­hens­wei­se an ein bestimm­tes The­ma Affen­lau­te in Form von „Ugah, Ugah“ ent­geg­net zu haben. Der Betriebs­rat stimm­te der frist­lo­sen Kün­di­gung des Klä­gers zu.

Das Lan­des­ar­beits­ge­richt (LAG) Köln, das in der Vor­in­stanz ent­schie­den hat­te, setz­te sich in sei­ner Ent­schei­dung dezi­diert mit dem Unter­schied zwi­schen einer schlich­ten for­ma­len Belei­di­gung, auch in ihren kru­des­ten For­men, und einer ras­sis­ti­schen Belei­di­gung aus­ein­an­der. Dabei bedien­te es sich der Grund­la­gen der Kom­mu­ni­ka­ti­ons­psy­cho­lo­gie.

Das Gericht kam zu dem Schluss, dass die Äuße­rung des Klä­gers nicht nur eine schlich­te Belei­di­gung dar­stell­te, son­dern eine Selbst­of­fen­ba­rung eines dis­kri­mi­nie­ren­den und in die­sem spe­zi­el­len Fall eines ras­sis­ti­schen Welt­bil­des.

Die Ent­schei­dung des BVerfG bestä­tig­te die Ansicht des LAG Köln und wies die Ver­fas­sungs­be­schwer­de des Klä­gers zurück. Die Ent­schei­dung des BVerfG ist ein wich­ti­ger Mei­len­stein im Arbeits­recht und unter­streicht die Not­wen­dig­keit, Ras­sis­mus und Dis­kri­mi­nie­rung am Arbeits­platz ent­schie­den ent­ge­gen­zu­tre­ten.

Kündigung eines Betriebsratsmitglieds bei Betriebsstilllegung (BAG, Urteil vom 27.06.2019, 2 AZR 38/19)

Zusam­men­fas­sung des Sach­ver­hal­tes:

Die Par­tei­en strei­ten über die Wirk­sam­keit einer ordent­li­chen Kün­di­gung eines Betriebs­rats­mit­glieds. Die Beklag­te, ein Unter­neh­men des N‑Konzerns, hat­te im März 2016 mit der IG Metall einen Struk­tur­ta­rif­ver­trag geschlos­sen, um die Betriebs­stät­ten in H, B und L zu einer betriebs­ver­fas­sungs­recht­li­chen Orga­ni­sa­ti­ons­ein­heit zusam­men­zu­fas­sen. Der Klä­ger war dem Betrieb in B zuge­ord­net und nahm 2017 als Nach­rü­cker an einer Betriebs­rats­sit­zung teil. Nach­dem der Betrieb in B am 7. Juni 2017 geschlos­sen wur­de, kün­dig­te die Beklag­te das Arbeits­ver­hält­nis ordent­lich zum 30. Juni 2018. Der Klä­ger erhob dar­auf­hin Kün­di­gungs­schutz­kla­ge.

Zusam­men­fas­sung der Urteils­be­grün­dung:

Das Bun­des­ar­beits­ge­richt hob das Urteil des Lan­des­ar­beits­ge­richts Ber­lin-Bran­den­burg auf, das die Kün­di­gung für unwirk­sam erklärt hat­te, und ver­wies die Sache zur neu­en Ver­hand­lung zurück. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat­te fälsch­li­cher­wei­se ange­nom­men, dass der nach dem Struk­tur­ta­rif­ver­trag gebil­de­te „Gemein­schafts­be­trieb“ nicht ins­ge­samt still­ge­legt wor­den sei, was jedoch nicht der Fall war. Das BAG stell­te klar, dass die betriebs­ver­fas­sungs­recht­li­che Orga­ni­sa­ti­ons­ein­heit kei­nen „Betrieb“ im Sin­ne des KSchG dar­stellt und die Kün­di­gung eines Betriebs­rats­mit­glieds gemäß § 15 Abs. 4 KSchG zuläs­sig ist, wenn der Betrieb, in dem das Mit­glied beschäf­tigt war, still­ge­legt wird. Das Gericht beton­te, dass der Schutz des Kün­di­gungs­schutz­ge­set­zes auf den Betrieb beschränkt ist, in dem der Arbeit­neh­mer beschäf­tigt ist, und nicht auf ande­re Betriebs­tei­le oder Betrie­be des Unter­neh­mens aus­ge­dehnt wird.

https://www.bundesarbeitsgericht.de/entscheidung/2‑azr-38–19

Freizeitausgleich für Betriebsratstätigkeit außerhalb der Arbeitszeit (BAG, Urteil vom 15.05.2019, 7 AZR 396/17)

Zusam­men­fas­sung des Sach­ver­hal­tes:

Der Klä­ger, ein Mit­glied des Betriebs­rats und in voll­kon­ti­nu­ier­li­cher Wech­sel­schicht tätig, wur­de von der Beklag­ten, sei­nem Arbeit­ge­ber, für die Dau­er von Betriebs­rats­sit­zun­gen von der Arbeit frei­ge­stellt. Die­se Sit­zun­gen fan­den jeweils am ers­ten Tag sei­ner Frei­wo­che statt, einem Zeit­raum, der außer­halb sei­ner regu­lä­ren Arbeits­zei­ten lag. Für sei­ne Betriebs­rats­tä­tig­kei­ten an die­sen Tagen for­der­te der Klä­ger einen Frei­zeit­aus­gleich, da sie außer­halb sei­ner Arbeits­zeit statt­fan­den. Der Arbeit­ge­ber lehn­te dies ab, mit der Begrün­dung, dass kei­ne zusätz­li­che zeit­li­che Belas­tung für den Klä­ger ent­stan­den sei, da er in der vor­her­ge­hen­den Schicht frei­ge­stellt wor­den war.

Zusam­men­fas­sung der Urteils­be­grün­dung:

Das Bun­des­ar­beits­ge­richt gab der Revi­si­on des Klä­gers statt und ver­ur­teil­te den Arbeit­ge­ber zur Gut­schrift von zusätz­li­chen 15 Stun­den und 29 Minu­ten auf das Arbeits­zeit­kon­to des Klä­gers. Das Gericht führ­te aus, dass gemäß § 37 Abs. 3 BetrVG ein Anspruch auf Frei­zeit­aus­gleich besteht, wenn Betriebs­rats­tä­tig­kei­ten aus betriebs­be­ding­ten Grün­den außer­halb der regu­lä­ren Arbeits­zeit statt­fin­den. Die Frei­stel­lung des Klä­gers in der vor­an­ge­gan­ge­nen Nacht sei kein aus­rei­chen­der Aus­gleich für die geleis­te­te Betriebs­rats­tä­tig­keit, da die­se unab­hän­gig von der Frei­stel­lung eine Auf­op­fe­rung per­sön­li­cher Frei­zeit dar­stel­le. Der Frei­zeit­aus­gleich sol­le nicht eine über­mä­ßi­ge Arbeits­be­las­tung kom­pen­sie­ren, son­dern den Ver­lust an per­sön­li­cher Frei­zeit aus­glei­chen. Die Tätig­keit des Klä­gers in sei­ner frei­en Zeit begrün­de daher einen Anspruch auf ent­spre­chen­den Frei­zeit­aus­gleich, auch wenn er für die Schicht vor der Betriebs­rats­tä­tig­keit frei­ge­stellt wur­de.

https://www.bundesarbeitsgericht.de/entscheidung/7‑azr-396–17

Pflicht zur Einführung eines Systems zur Arbeitszeiterfassung (EuGH, Urteil vom 14.05.2019, C‑55/18)

Zusam­men­fas­sung des Sach­ver­hal­tes:

Die Federa­ción de Ser­vici­os de Comi­sio­nes Obre­ras (CCOO) klag­te gegen die Deut­sche Bank SAE vor der Audi­en­cia Nacio­nal (Spa­ni­en), um die Ein­füh­rung eines Sys­tems zur Erfas­sung der täg­li­chen Arbeits­zeit der Mit­ar­bei­ter durch­zu­set­zen. Dies soll­te die Ein­hal­tung der vor­ge­se­he­nen Arbeits­zei­ten sowie die Über­prü­fung der Über­stun­den ermög­li­chen. Die Deut­sche Bank hat­te trotz meh­re­rer Auf­for­de­run­gen durch die spa­ni­sche Arbeits­in­spek­ti­on kein sol­ches Sys­tem ein­ge­führt. Statt­des­sen nutz­te die Bank eine Soft­ware, die nur Abwe­sen­hei­ten wie Urlaubs­ta­ge erfass­te, jedoch nicht die tat­säch­li­che Arbeits­zeit und Über­stun­den der Mit­ar­bei­ter. Die spa­ni­schen Gerich­te hat­ten zuvor ent­schie­den, dass das spa­ni­sche Recht nicht die Ein­rich­tung eines sol­chen Sys­tems for­de­re.

Zusam­men­fas­sung der Urteils­be­grün­dung:

Der EuGH ent­schied, dass die Mit­glied­staa­ten nach der Arbeits­zeit­richt­li­nie (2003/88/EG) und der Richt­li­nie über Sicher­heit und Gesund­heits­schutz der Arbeit­neh­mer (89/391/EWG) ver­pflich­tet sind, die Ein­füh­rung eines Sys­tems zu gewähr­leis­ten, mit dem die täg­li­che Arbeits­zeit jedes Arbeit­neh­mers gemes­sen wer­den kann. Dies sei not­wen­dig, um die Ein­hal­tung der täg­li­chen und wöchent­li­chen Höchst­ar­beits­zei­ten sowie der Ruhe­zei­ten sicher­zu­stel­len. Ein sol­ches Sys­tem bie­tet eine objek­ti­ve und ver­läss­li­che Grund­la­ge zur Über­prü­fung der Arbeits­zei­ten und ist essen­ti­ell, um die Rech­te der Arbeit­neh­mer effek­tiv zu schüt­zen und zu gewähr­leis­ten, dass die­se nicht durch über­lan­ge Arbeits­zei­ten oder unzu­rei­chen­de Ruhe­zei­ten gefähr­det wer­den. Die Mit­glied­staa­ten sind daher ver­pflich­tet, Arbeit­ge­ber zur Ein­rich­tung eines sol­chen Sys­tems zu ver­pflich­ten, und kön­nen sich nicht auf natio­na­le Rege­lun­gen beru­fen, die dies nicht vor­se­hen.

https://www.iww.de/quellenmaterial/id/215595

Einblicksrecht des Betriebsrats in Bruttoentgeltlisten (BAG, Beschluss vom 07.05.2019, 1 ABR 53/17)

Zusam­men­fas­sung des Sach­ver­hal­tes:

Die Arbeit­ge­be­rin, die eine Kli­nik betreibt, führ­te Brut­to­ent­gelt­lis­ten der Arbeit­neh­mer in elek­tro­ni­scher Form, die diver­se Ver­gü­tungs­kom­po­nen­ten ent­hiel­ten. Anfang Febru­ar 2017 gewähr­te sie Betriebs­rats­mit­glie­dern Ein­sicht in eine anony­mi­sier­te Fas­sung die­ser Lis­ten. Der Betriebs­rat for­der­te jedoch Ein­sicht in die nicht anony­mi­sier­ten Lis­ten, um zu über­prü­fen, ob nach der Kün­di­gung eines Tarif­ver­trags Son­der­zah­lun­gen oder Lohn­er­hö­hun­gen gerecht und nach­voll­zieh­bar ver­teilt wur­den und um mög­li­che Ver­stö­ße gegen das Gleich­be­hand­lungs­ge­setz fest­zu­stel­len. Die Arbeit­ge­be­rin lehn­te dies unter Beru­fung auf Daten­schutz und Per­sön­lich­keits­rech­te ab.

Zusam­men­fas­sung der Urteils­be­grün­dung:

Das Bun­des­ar­beits­ge­richt ent­schied, dass der Betriebs­rat ein Recht auf Ein­sicht in die nicht anony­mi­sier­ten Brut­to­ent­gelt­lis­ten hat. Die­ses Recht ergibt sich aus § 80 Abs. 2 Satz 2 BetrVG, wonach dem Betriebs­rat die zur Durch­füh­rung sei­ner Auf­ga­ben erfor­der­li­chen Unter­la­gen zur Ver­fü­gung zu stel­len sind. Der Betriebs­rat benö­tigt die detail­lier­ten Infor­ma­tio­nen, um sei­ne Über­wa­chungs­auf­ga­ben hin­sicht­lich der Ein­hal­tung von Geset­zen und Tarif­ver­trä­gen sowie des all­ge­mei­nen Gleich­be­hand­lungs­grund­sat­zes wahr­zu­neh­men. Daten­schutz­recht­li­che Beden­ken ste­hen dem Ein­blicks­recht nicht ent­ge­gen, da die Ver­ar­bei­tung per­so­nen­be­zo­ge­ner Daten in die­sem Kon­text nach § 26 BDSG zuläs­sig ist. Die Ein­sicht­nah­me sei auf die Erfül­lung der recht­li­chen Auf­ga­ben des Betriebs­rats beschränkt und recht­fer­tigt daher kei­nen gene­rel­len Zugriff auf alle Daten ohne sach­li­chen Grund. Das all­ge­mei­ne Per­sön­lich­keits­recht der Arbeit­neh­mer sei durch die daten­schutz­recht­li­che Prü­fung und die gesetz­li­che Rege­lung aus­rei­chend geschützt.

https://www.bundesarbeitsgericht.de/entscheidung/1‑abr-53–17

Auskunftsanspruch des Betriebsrats bei Widerspruch der Arbeitnehmerin gegen die Mitteilung ihrer Schwangerschaft (BAG, Beschluss vom 09.04.2019, 1 ABR 51/17)

Zusam­men­fas­sung des Sach­ver­hal­tes:

Die Arbeit­ge­be­rin, ein Unter­neh­men im Bereich der Luft- und Raum­fahrt, infor­mier­te bis­her den Betriebs­rat über gemel­de­te Schwan­ger­schaf­ten der Arbeit­neh­me­rin­nen, es sei denn, die­se wider­spra­chen der Infor­ma­ti­ons­wei­ter­ga­be. Der Betriebs­rat ver­trat die Ansicht, dass er auch bei einem Wider­spruch der betrof­fe­nen Arbeit­neh­me­rin infor­miert wer­den müs­se, um die Ein­hal­tung des Mut­ter­schutz­ge­set­zes sicher­zu­stel­len. Die Arbeit­ge­be­rin wider­sprach und argu­men­tier­te, dass eine anony­mi­sier­te Infor­ma­ti­on aus­rei­chend sei und das Recht auf infor­ma­tio­nel­le Selbst­be­stim­mung der Schwan­ge­ren dem Aus­kunfts­an­spruch ent­ge­gen­ste­he.

Zusam­men­fas­sung der Urteils­be­grün­dung:

Das BAG hob den Beschluss des Lan­des­ar­beits­ge­richts Mün­chen auf und ver­wies den Fall zurück. Es beton­te, dass der Betriebs­rat sei­ne Über­wa­chungs­auf­ga­ben nur dann effek­tiv wahr­neh­men kann, wenn er genau weiß, wel­che kon­kre­ten mut­ter­schutz­recht­li­chen Bestim­mun­gen er über­wa­chen will und war­um dafür die Nen­nung der Namen der schwan­ge­ren Arbeit­neh­me­rin­nen not­wen­dig ist. Die all­ge­mei­ne Beru­fung auf die Über­wa­chung der Ein­hal­tung von Arbeits­schutz­vor­schrif­ten genügt nicht, um den Aus­kunfts­an­spruch zu begrün­den. Zusätz­lich wies das BAG dar­auf hin, dass der Anspruch auf daten­schutz­recht­li­che Grund­la­ge gestellt wer­den muss und geeig­ne­te Schutz­maß­nah­men für die betrof­fe­nen Arbeit­neh­me­rin­nen erfor­der­lich sind. Der Kon­flikt zwi­schen Daten­schutz und der Infor­ma­ti­ons­pflicht des Betriebs­rats müs­se noch ein­ge­hend geprüft wer­den.

https://www.bundesarbeitsgericht.de/entscheidung/1‑abr-51–17

Unterlassungsansprüche des Betriebsrats bei Dienstplangestaltung und der Einwand der unzulässigen Rechtsausübung (BAG, Beschluss vom 12.03.2019, 1 ABR 42/17)

Zusam­men­fas­sung des Sach­ver­hal­tes:

Die Arbeit­ge­be­rin, eine Kli­nik in Nie­der­sach­sen, und der Betriebs­rat strit­ten über die kor­rek­te Auf­stel­lung von Dienst­plä­nen. Der Betriebs­rat for­der­te, dass Dienst­plä­ne sei­ne vor­he­ri­ge Zustim­mung benö­ti­gen und klag­te auf Unter­las­sung ver­schie­de­ner Prak­ti­ken der Arbeit­ge­be­rin, die sei­ner Mei­nung nach sein Mit­be­stim­mungs­recht ver­letz­ten. Die Arbeit­ge­be­rin wie­der­um argu­men­tier­te, der Betriebs­rat han­de­le treu­wid­rig, indem er ohne aus­rei­chen­de Begrün­dung die Dienst­plä­ne ableh­ne und sich den Ver­hand­lun­gen in der Eini­gungs­stel­le ent­zie­he. Das Arbeits­ge­richt und das Lan­des­ar­beits­ge­richt gaben dem Betriebs­rat Recht. Die Arbeit­ge­be­rin leg­te Rechts­be­schwer­de beim Bun­des­ar­beits­ge­richt ein.

Zusam­men­fas­sung der Urteils­be­grün­dung:

Das Bun­des­ar­beits­ge­richt gab der Rechts­be­schwer­de der Arbeit­ge­be­rin statt und hob die Ent­schei­dun­gen der Vor­in­stan­zen auf. Das Gericht führ­te aus, dass der Ein­wand der unzu­läs­si­gen Rechts­aus­übung nach § 2 Abs. 1 BetrVG in die­sem Fall grei­fe. Der Betriebs­rat habe durch sein Ver­hal­ten in erheb­li­chem Maße gegen sei­ne Mit­wir­kungs­pflich­ten ver­sto­ßen, indem er sich den Ver­hand­lun­gen und der Bil­dung einer Eini­gungs­stel­le wie­der­holt ver­wei­ger­te. Die­se Ver­wei­ge­rungs­hal­tung kön­ne nicht mit dem blo­ßen Ver­weis auf eine angeb­li­che Geset­zes- und Tarif­wid­rig­keit der Dienst­plä­ne gerecht­fer­tigt wer­den. Wei­ter­hin stell­te das BAG klar, dass der all­ge­mei­ne Unter­las­sungs­an­spruch aus § 87 Abs. 1 BetrVG auf die Wie­der­her­stel­lung eines betriebs­ver­fas­sungs­ge­mä­ßen Zustands abzielt und nicht dar­auf, einen betriebs­ver­fas­sungs­wid­ri­gen Zustand auf­recht­zu­er­hal­ten. Daher kön­ne der Betriebs­rat nicht ver­lan­gen, dass die Arbeit­ge­be­rin sich an nicht mit­be­stimm­te Dienst­plä­ne hält.

https://www.bundesarbeitsgericht.de/entscheidung/1‑abr-42–17

Unterrichtung des Betriebsrats über Arbeitsunfälle Dritter (BAG, Beschluss vom 12.03.2019, 1 ABR 48/17)

Zusam­men­fas­sung des Sach­ver­hal­tes:

Die Arbeit­ge­be­rin, ein deutsch­land­weit täti­ger Kurier- und Express­dienst, beschäf­tigt neben eige­nen Arbeit­neh­mern auch Fremd­per­so­nal über Ser­vice­part­ner­ver­trä­ge. Der Betriebs­rat for­der­te Infor­ma­tio­nen und Doku­men­te zu Arbeits­un­fäl­len von Beschäf­tig­ten der Ser­vice­part­ner, die sich im Betriebs­ge­bäu­de oder auf dem Betriebs­ge­län­de ereig­ne­ten, und ver­lang­te zudem, dass ihm Unfall­an­zei­gen zur Kennt­nis­nah­me und Mit­un­ter­zeich­nung vor­ge­legt wer­den. Die Arbeit­ge­be­rin lehn­te ab, da sie nicht für die Erstel­lung der Unfall­an­zei­gen zustän­dig sei und kei­ne sol­chen Doku­men­te von den Ser­vice­part­nern erhal­ten habe.

Zusam­men­fas­sung der Urteils­be­grün­dung:

Das Bun­des­ar­beits­ge­richt ent­schied teil­wei­se zuguns­ten des Betriebs­rats. Es wur­de fest­ge­stellt, dass der Betriebs­rat ein berech­tig­tes Inter­es­se an Infor­ma­tio­nen über Arbeits­un­fäl­le des Fremd­per­so­nals hat, die auf dem Betriebs­ge­län­de oder im Betriebs­ge­bäu­de der Arbeit­ge­be­rin auf­tre­ten. Die­se Infor­ma­tio­nen sind für den Betriebs­rat erfor­der­lich, um sei­ne Auf­ga­ben im Bereich des Arbeits­schut­zes und der Unfall­ver­hü­tung wahr­zu­neh­men. Dazu gehö­ren Datum, Uhr­zeit, Ort des Unfalls, Unfall­her­gang und die Art der erlit­te­nen Ver­let­zun­gen. Infor­ma­tio­nen über den Namen des betrof­fe­nen Arbeit­neh­mers, das betei­lig­te Ser­vice­part­ner­un­ter­neh­men und wei­te­re Details wie Anschrift, Arbeits­un­fä­hig­keit und Namen von Unfall­zeu­gen wur­den jedoch als nicht erfor­der­lich für die Auf­ga­ben­wahr­neh­mung des Betriebs­rats ange­se­hen und folg­lich abge­wie­sen. Wei­ter­hin hat der Betriebs­rat kei­nen Anspruch auf Vor­la­ge der Unfall­an­zei­gen, da die Arbeit­ge­be­rin kei­ne Pflicht zur Erstel­lung die­ser Anzei­gen hat.